STUTTGART (dpa/lsw) — Es ist ein Presti­ge­pro­jekt der Grünen: Der Umstieg der Menschen auf Busse und Bahnen in großem Stil. Um das zu errei­chen, soll der Nahver­kehr mehr leisten und günsti­ger werden. Doch der Minis­ter braucht dafür Geld und die Unter­stüt­zung der Kommunen.

Verkehrs­mi­nis­ter Winfried Hermann (Grüne) will die im grün-schwar­zen Koali­ti­ons­ver­trag verspro­che­ne «Mobili­täts­ga­ran­tie» für den öffent­li­chen Nahver­kehr schritt­wei­se umset­zen. Das Konzept sieht eigent­lich vor, dass alle Orte im Südwes­ten von 5.00 Uhr früh bis Mitter­nacht mit dem öffent­li­chen Nahver­kehr erreich­bar sein sollen. «Zu der Mobili­täts­ga­ran­tie wollen wir in zwei Schrit­ten kommen. Der erste Schritt ist bis 2026 und der zweite bis 2030», sagte der Grüne der Deutschen Presse-Agentur.

Volle Garan­tie soll erst 2030 gelten

In dieser Legis­la­tur­pe­ri­ode — also bis 2026 — wolle man es schaf­fen, «dass im ländli­chen Raum in den Haupt­ver­kehrs­zei­ten der Halbstun­den­takt gilt und im Ballungs­raum der Viertel­stun­den­takt. In der zweiten Stufe nach 2026 soll es dann den ganzen Tag gelten, dass im Ballungs­raum der Viertel­stun­den­takt gemacht wird und in dem ländli­chen Raum der Halbstun­den­takt.» Doch diese Pläne sind teuer und Hermann muss dafür die Kommu­nen ins Boot holen. Denn: Für Busse und Stadt­bah­nen sind die Landkrei­se zuständig.

Im Endaus­bau würde die «Mobili­täts­ga­ran­tie» etwa 600 Millio­nen Euro kosten. Um das Vorha­ben zu finan­zie­ren, will das Land unter anderem den Kommu­nen die Möglich­keit geben, eine Nahver­kehrs­ab­ga­be — auch «Mobili­täts­pass» genannt — einzu­füh­ren. Dann könnten die Kommu­nen entschei­den, ob sie alle Einwoh­ner oder nur die Autofah­rer zur Kasse bitten. Bei einem Modell­ver­such in vier Kommu­nen waren Monats­bei­trä­ge von 10 bis 57 Euro im Gespräch. Das Land rechnet damit, dass mit der Abgabe 800 Millio­nen Euro in die kommu­na­len Kassen gespült werden könnten. Damit könnten die Kommu­nen das Angebot im Nahver­kehr auswei­ten und die Tickets verbilligen.

Mit «Mobili­täts­pass» soll nicht abkas­siert werden

Hermann will noch dieses Jahr die Geset­zes­än­de­rung ansto­ßen, mit der die Kommu­nen dann die Nahver­kehrs­ab­ga­be einfüh­ren können. «Meine Zielvor­stel­lung ist, dass wir 2023 mit den ersten Kommu­nen, die einen Mobili­täts­pass einfüh­ren wollen, starten können. Wir können nicht endlos warten, bis wir mal mit Klima­schutz anfan­gen.» Die Einnah­men sollen nach seinen Worten eins zu eins zurück­ge­ge­ben werden. Wenn man etwa eine Abgabe von 20 Euro im Monat zahlen müsste, bekäme man im Gegen­zug ein Gutha­ben, das man beim Kauf einer Monats- oder Jahres­kar­te einlö­sen könne.

Der Minis­ter sagte, die kommu­na­len Spitzen­ver­bän­de «sind im Grund­satz dafür». Er sagte aber auch: «Es gibt Kritik oder vorsorg­li­che Kritik, dass sie nicht den Büttel spielen wollen, dass sie nicht als Kommu­nen finan­zie­ren wollen, was das Land oder der Bund finan­zie­ren sollte.» Dennoch sei klar, dass es eine weite­re Finan­zie­rungs­quel­le für den öffent­li­chen Nahver­kehr brauche. «Natür­lich könnten theore­tisch alle Kommu­nen sagen: Sowas wollen wir nicht.» Er schät­ze die Kommu­nen aber anders ein. «Es geht eben nicht um das Abkas­sie­ren, sondern um das Ermög­li­chen von besse­rem ÖPNV.» Gleich­wohl brauche man natür­lich Mehrhei­ten auf kommu­na­ler Ebene. «Die Diskus­sio­nen vor Ort werden dann natür­lich nicht leicht sein.» Nicht alle würden gleich mitma­chen, er rechnet mit Pilot­kom­mu­nen. «Wenn’s gut läuft, wird das den Effekt haben, dass die anderen sagen: Wow, das wollen wir auch.»

Hermann will in Haushalts­ver­hand­lun­gen für mehr Geld kämpfen

Klar sei aber auch, dass das Land mehr Geld in die Verkehrs­wen­de inves­tie­ren müsse. Das Land habe in den vergan­ge­nen Jahren schon einiges getan für den ÖPNV — «aber für die Klima­zie­le reicht das noch nicht aus». Der Mobili­täts­pass und die ‑garan­tie seien priori­tä­re Projek­te im Koali­ti­ons­ver­trag. «Das Land muss da auch liefern», sagte der Grüne. «Hierfür werde ich mich in den kommen­den Haushalts­ver­hand­lun­gen einset­zen.» Weil das Land wegen Corona nur knappe Finanz­mit­tel habe, stehe man vor einer schwie­ri­gen Aufgabe.

Lkw-Maut auf Landes- und Kreis­stra­ßen soll 200 Millio­nen bringen

Als zusätz­li­che Einnah­me­quel­le für den ÖPNV-Ausbau will Grün-Schwarz eine Lkw-Maut auf Landes- und Kreis­stra­ßen einfüh­ren. Hier soll Hermann zunächst im Bundes­rat und in der Verkehrs­mi­nis­ter­kon­fe­renz versu­chen, die anderen Länder davon zu überzeu­gen, ebenfalls eine solche Maut einzu­füh­ren. «Wenn mir das bis zur Mitte der Legis­la­tur­pe­ri­ode nicht gelun­gen ist, dann habe ich den Auftrag, eine Landes­lö­sung auszu­ar­bei­ten.» Er plane das Mautsys­tem zu überneh­men, das auch auf den Bundes­fern­stra­ßen angewandt wird. «Wir würden es auf jeden Fall mit denen gerne machen, die das System technisch schon beherr­schen, ohne weite­ren bürokra­ti­schen Aufwand.»

Der Grünen-Politi­ker erklär­te zu den Einnah­men: «Wir gehen davon aus, dass wir die gleichen Mautsät­ze nehmen wie der Bund für seine Bundes­stra­ßen. Damit würden wir rechne­risch für Landes- und Kommu­nal­stra­ßen ungefähr 200 Millio­nen Euro einspie­len und davon sollen 100 Millio­nen Euro an die Kommu­nen bezie­hungs­wei­se Landkrei­se gehen. Das wäre auch nochmal eine echte Einnah­me­quel­le für die Verkehrswende.»

Der Umwelt­ver­band BUND nannte Mobili­täts­ga­ran­tie und Mobili­täts­pass dringend erfor­der­li­che Maßnah­men. Aller­dings werde die Mobili­täts­ga­ran­tie kaum aus dem Mobili­täts­pass zu finan­zie­ren sein, sagte die Landes­vor­sit­zen­de Sylvia Pilars­ky-Grosch. «Denn die Mobili­täts­ga­ran­tie richtet sich eher an den ländli­chen Raum während der Mobili­täts­pass eher städti­sche Regio­nen adres­siert, auch um den PKW-Verkehr in den Städten zu verringern.»

Die FDP hält gar nichts von Hermanns Presti­ge­pro­jekt. «Erst werden die Standards für den Nahver­kehr durch die Landes­re­gie­rung aus CDU und Grünen mit ideolo­gi­schen und pauscha­len Begrün­dun­gen hochge­schraubt und zahlen dürfen das dann die Kommu­nen, die Wirtschaft und am Ende die Bürge­rin­nen und Bürger mit Gebüh­ren, Abgaben und Mautbe­trä­gen», kriti­sier­te Frakti­ons­chef Hans-Ulrich Rülke. «Dass die CDU aber alle Straßen zu diesen hefti­gen Belas­tun­gen bereit­wil­lig ebnet und alle Abzock­tricks von Winfried Hermann mitträgt, wird sie in den kommen­den Jahren immer und immer wieder erklä­ren müssen.»