Nach einem Jahr Corona sehnen sich die Menschen nach Norma­li­tät. Der Start der größten Impfak­ti­on in der Geschich­te Deutsch­lands gibt Hoffnung. Ganz reibungs­los lief er aller­dings nicht ab.

Knapp ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pande­mie in Deutsch­land hat die größte Impfak­ti­on in der Geschich­te des Landes begon­nen. Hunder­te Impfteams rückten am Sonntag bundes­weit aus, um insge­samt mehre­re tausend beson­ders gefähr­de­te Menschen in Pflege- und Senio­ren­hei­men zu immunisieren.

In Bayern kam es in mehre­ren Landkrei­sen zu Pannen bei der Kühlung der Impfdo­sen, die dort zu einer Verzö­ge­rung der Aktion führten. Kompli­ka­tio­nen bei Geimpf­ten wurden zunächst nicht bekannt. Für Aufse­hen sorgte ein Senio­ren­heim in Halber­stadt in Sachsen-Anhalt, das am Samstag für einen Frühstart der Kampa­gne verant­wort­lich war.

Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) rief zu einem «natio­na­len Kraft­akt» im Kampf gegen die Pande­mie auf. «Dieser Impfstoff ist der entschei­den­de Schlüs­sel, diese Pande­mie zu besie­gen. Er ist der Schlüs­sel dafür, dass wir unser Leben zurück­be­kom­men können», sagte er. Jede Impfung mehr bedeu­te weniger Infek­tio­nen und weniger Todes­fäl­le. «Wer mitmacht, rettet Leben.»

Die 27 Mitglied­staa­ten der Europäi­schen Union hatten sich nach der Zulas­sung des Impfstof­fes der Mainzer Firma Biontech und des US-Pharma­rie­sen Pfizer darauf verstän­digt, dass die Impfkam­pa­gne überall gleich­zei­tig am Sonntag nach Weihnach­ten begin­nen soll. Ungarn und die Slowa­kei impften aber schon am Samstag.

Auch in Deutsch­land hielten sich nicht alle an die Termi­nie­rung aus Brüssel und Berlin. In einem Senio­ren­zen­trum in Halber­stadt am Rande des Harzes wurden bereits am Samstag die ersten Bewoh­ner und Mitar­bei­ter immuni­siert, allen voran die 101-jähri­ge Edith Kwoiz­al­la. Die Verant­wort­li­chen im Landkreis Harz und der Heimlei­ter wollten angesichts der drama­ti­schen Lage keine Zeit verlie­ren. 40 der 59 Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner sowie 10 von rund 40 Mitar­bei­tern ließen sich impfen.

Am Sonntag starte­te die Impfak­ti­on dann in allen 16 Bundes­län­dern. Der Schwer­punkt lag auf den über 80-Jähri­gen in Pflege- und Senio­ren­hei­men sowie auf Pflegern und medizi­ni­schem Perso­nal. Die mehr als 400 Impfzen­tren für die breite Masse der Bevöl­ke­rung öffnen größten­teils erst in den nächs­ten Tagen.

Proble­me wurden an Tag eins nur aus Bayern bekannt. In den sieben oberfrän­ki­schen Landkrei­sen sowie in den schwä­bi­schen Landkrei­sen Augsburg und Dillin­gen traten Ungereimt­hei­ten in der Kühlket­te für den Impfstoff auf, der bei minus 70 Grad tiefge­fro­ren gelagert wird. In Augsburg und Dillin­gen konnte das Problem binnen weniger Stunden gelöst werden. In Oberfran­ken war die Lage am Nachmit­tag noch unklar. Ein Sprecher des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums in München sagte auf dpa-Anfra­ge, die Ungereimt­hei­ten hätten mit der Herstel­ler­fir­ma Biontech geklärt werden können. Die Landkrei­se hätten die Infor­ma­ti­on erhal­ten, der Impfstoff sei einsatz­be­reit, mit dem Impfen könne begon­nen werden.

Die Bundes­re­gie­rung wirbt dafür, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen — auch um andere zu schüt­zen. Nach Einschät­zung von Exper­ten ist eine Impfquo­te von 60 bis 70 Prozent nötig, um die Pande­mie in den Griff zu bekom­men. Nach einer YouGov-Umfra­ge im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur haben 65 Prozent der Deutschen vor, sich impfen zu lassen.

Am 27. Januar 2020 war die erste Corona-Infek­ti­on in Deutsch­land bekannt­ge­wor­den. Seitdem wurden mehr als 1,6 Millio­nen Infek­tio­nen regis­triert. Bis Sonntag starben laut Robert Koch-Insti­tut in Deutsch­land 29.778 Infizierte.

Bundes­for­schungs­mi­nis­te­rin Anja Karlic­zek sieht im Beginn der bundes­wei­ten Corona-Impfun­gen in Deutsch­land die Chance für eine schritt­wei­se Rückkehr zur Norma­li­tät. «Das norma­le Leben wird Schritt für Schritt zurück­kom­men. Ein langer Atem ist aber noch nötig», sagte die CDU-Politi­ke­rin der dpa. So müsse die Massen­pro­duk­ti­on der Impfstof­fe gelin­gen und die Impfin­fra­struk­tur wie geplant funktionieren.

Zunächst steht bundes­weit aber nur eine sehr begrenz­te Zahl von Impfdo­sen bereit. Pro Bundes­land waren es bei der Vertei­lung am Samstag knapp 10.000, in Bremen knapp 5000 — insge­samt gut 150.000 Dosen. Bis Jahres­en­de sollen aber 1,3 Millio­nen Impfdo­sen ausge­lie­fert werden. Ende März sollen es schon über zehn Millio­nen sein. Damit die Impfung die volle Wirkung entfal­ten kann, muss sie nach drei Wochen ein zweites Mal verab­reicht werden.

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder warnte vor negati­ven Folgen durch Liefer­eng­päs­se. «Endlo­ses Warten reduziert auch die Bereit­schaft der Bevöl­ke­rung, sich impfen zu lassen», sagte der CSU-Chef der dpa in München. Leider sei noch nicht genügend Impfstoff vorhanden.

Außen­mi­nis­ter Heiko Maas rief dazu auf, bei den Corona-Impfun­gen über den natio­na­len Teller­rand hinaus­zu­schau­en. Zwar gehe es jetzt zunächst um eine gerech­te Vertei­lung im eigenen Land, sagte der SPD-Politi­ker der dpa. Aber man müsse gleich­zei­tig darauf achten, dass nicht ganze Weltre­gio­nen von der Impfstoff­ver­sor­gung abgeschnit­ten werden. «Es wird erst jeder einzel­ne auch von uns sicher sein, wenn wir alle sicher sind auf der Welt vor diesem Virus», beton­te der Minister.