BERLIN (dpa) — Morgens arbei­ten, in der Hitze ruhen — das könnte heiße Sommer auch in Deutsch­land erträg­li­cher machen. Die Siesta kennen viele Urlau­ber aus Spani­en. Dort fordert derzeit eine Hitze­wel­le die Menschen.

Die Menschen am Mittel­meer stöhnen an vielen Orten weiter unter der Hitze. In Itali­en wurden am Diens­tag teils über 40 Grad gemes­sen, auch die spani­sche Urlaubs­in­sel Mallor­ca erwisch­ten die heißen Tempe­ra­tu­ren. Dort sind es die Leute gewohnt, auch bei Hitze ihren Alltag zu meistern. Die Siesta, also die Ruhezeit in der heißes­ten Zeit des Tages, könnte man sich auch in Deutsch­land abgucken, finden manche.

«Wir sollten uns bei Hitze an den Arbeits­wei­sen südli­cher Länder orien­tie­ren: Früh aufste­hen, morgens produk­tiv arbei­ten und mittags Siesta machen, ist ein Konzept, das wir in den Sommer­mo­na­ten überneh­men sollten», sagte der Vorsit­zen­de des Bundes­ver­bands der Ärztin­nen und Ärzte des öffent­li­chen Gesund­heits­diens­tes (BVÖGD), Johan­nes Nießen, dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND).

Arzt: Schwie­ri­ge Aufga­ben besser am Morgen — und später Siesta

«Bei starker Hitze sind Menschen nicht so leistungs­fä­hig wie sonst. Schlech­ter Schlaf bei fehlen­der Abküh­lung in der Nacht führt zusätz­lich zu Konzen­tra­ti­ons­pro­ble­men», sagte Nießen. Komple­xe Arbeits­an­for­de­run­gen sollte man daher lieber in die frühen Morgen­stun­den verschie­ben, rät der Mediziner.

Zu Spani­en gehört die Siesta wie die Paella und der Stier­kampf. Wenn die Sonne beson­ders heiß vom Himmel knallt — so zwischen 14 und 18 Uhr -, dann zieht man sich zurück. Büros machen dann länge­re Pausen, in den meisten Läden werden «Geschlossen»-Schilder nach draußen gehängt. Anders als früher gibt es inzwi­schen in Spani­en zwar fast überall Klima­an­la­gen, aber die Tradi­ti­on hält sich. Während der Siesta halten aller­dings heutzu­ta­ge die wenigs­ten Spani­er noch wie früher ein Nicker­chen. Man geht ins Fitness­stu­dio oder ins Schwimm­bad oder isst mit Familie oder Kolle­gen länger zu Mittag. Dafür muss man abends natür­lich länger arbeiten.

Gesund­heits­me­teo­ro­lo­ge: Siesta ist eine tolle Sache

Eine Siesta, wie in südli­chen Ländern üblich, habe vor allem einen Zweck: «So kann man tagsüber, wenn es heiß ist, die Aktivi­tä­ten reduzie­ren und die Sonnen­ex­po­si­ti­on verrin­gern», erklär­te Andre­as Matzara­kis, Leiter des Zentrums für Medizin-Meteo­ro­lo­gi­sche Forschung des Deutscher Wetter­diens­tes (DWD). Aus seiner Sicht wäre sie auch in Deutsch­land an heißen Tagen eine «tolle Sache».

Die Menschen müssten es lernen, sich bei Hitze anders zu verhal­ten, beton­te der Gesund­heits­me­teo­ro­lo­ge. «Da muss eine Kultur­än­de­rung statt­fin­den», sagte Matzara­kis. Es gelte etwa zu prüfen, ob Arbeits­zei­ten entspre­chend angepasst werden könnten. Doch schon Gleit­zeit­re­ge­lun­gen mit beson­ders frühem Arbeits­be­ginn könnten helfen. Auch Ernäh­rung sollte heißen Tempe­ra­tu­ren angepasst werden: «Lieber Salat oder Wasser­me­lo­ne — und nicht etwa eine Schweinshaxe.»

Exper­ten sehen je nach Beruf Schwierigkeiten

Sollte es zur Einfüh­rung einer Siesta kommen, müssten aber auch noch weite­re Fragen bedacht werden: «Was ist mit den Rettungs­diens­ten? Was ist mit Betreu­en­den und Pflege­kräf­ten — und mit den Betreu­ten, wenn die auch in die Siesta gehen?», sagte Matzarakis.

Schwie­rig würde es zum Beispiel auch für Bauar­bei­ter, die lange Anfahr­ten haben und den Lärmschutz beach­ten müssen, wie der Bundes­vor­sit­zen­de der Indus­trie­ge­werk­schaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, anmerk­te. Trotz­dem: «Bei diesen Tempe­ra­tu­ren, bei denen das Thermo­me­ter mittler­wei­le die 40-Grad-Grenze immer wieder schrammt, gibt es nur eines: runter vom Bau, vom Feld, von der verschmutz­ten Dachter­ras­se», sagte der Gewerk­schaf­ter laut Mittei­lung. Für die fehlen­de Arbeits­zeit solle dann mit staat­li­chen Hilfen Ausfall­geld bezahlt werden.

Gesund­heits­mi­nis­ter sieht Arbeit­ge­ber und Beschäf­tig­te gefragt

«Siesta in der Hitze ist sicher­lich kein schlech­ter Vorschlag», schrieb Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach dazu auf Twitter. Der SPD-Politi­ker sieht in der Frage aller­dings nicht die Politik gefor­dert. Das sollten «Arbeit­ge­ber und Arbeit­neh­mer selbst aushan­deln», so der Gesund­heits­mi­nis­ter. «Medizi­nisch sicher für viele Berufe sinnvoll.» Auch FDP-Gesund­heits­po­li­ti­ker Lars Linde­mann sprach sich gegen eine Einmi­schung der Politik aus.

Der Arbeit­ge­ber­ver­band BDA sieht dagegen Poten­zi­al für den Gesetz­ge­ber: Schon jetzt nähmen die Arbeit­ge­ber ihre Fürsor­ge­pflicht sehr ernst. Aber: «Unter­stüt­zend kann bei länge­ren Pausen eine Reform des Arbeits­zeit­rechts helfen, um Beschäf­tig­ten die Chance zu geben, flexi­bler zu arbei­ten», hieß es in der Stellung­nah­me für das RND. «Dazu können auch länge­re Mittags­pau­sen gehören, wenn es von den betrieb­li­chen Abläu­fen her möglich ist und Arbeit­neh­mer und Arbeit­ge­ber sich einig sind.» Die Politik müsse den Rahmen für indivi­du­el­le und flexi­ble Arbeits­zeit­lö­sun­gen schaffen.

Mehr als 40 Grad auf Mallor­ca, Sizili­en und Sardi­ni­en erwartet

In Spani­en hat der Höhepunkt der dritten Hitze­wel­le des Sommers am Diens­tag Einhei­mi­sche und auch Touris­ten mächtig ins Schwit­zen gebracht. Am schlimms­ten erwisch­te es diesmal unter anderem die Urlau­ber­hoch­burg Mallor­ca: Für den Norden und Osten der Insel kündig­te der natio­na­le Wetter­dienst Aemet Höchst­tem­pe­ra­tu­ren von mindes­tens 43 Grad an. Am Baller­mann wurden am frühen Nachmit­tag bereits 38 Grad gemes­sen. In Spani­en werden laut Aemet immer mehr und immer inten­si­ve­re Hitze­wel­len regis­triert. Exper­ten führen das auf den vom Menschen verur­sach­ten Klima­wan­del zurück.

In der italie­ni­schen Haupt­stadt Rom wurden nach Daten des Wetter­diens­tes der Luftwaf­fe mittags 41 Grad gemes­sen, auf Sardi­ni­en und Sizili­en in einigen Gegen­den 43 bis 44 Grad. Entspan­nung ist vorerst nicht in Sicht. Für Mittwoch hat das Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um für 23 größe­re Städte die höchs­te Alarm­stu­fe für Hitze ausge­ru­fen. Die Hitze­wel­le dürfte noch die ganze Woche andauern.

Bei Hitze­wel­len ist vor allem die hohe Nacht­tem­pe­ra­tur ein Gesund­heits­ri­si­ko, wie der Extrem-Wetter-Exper­te John Nairn von der Weltwet­ter­or­ga­ni­sa­ti­on (WMO) sagte. «Der Körper kann sich dann nicht erholen.»

Tempe­ra­tu­ren in Deutsch­land wieder gemäßigter

In Deutsch­land erwar­ten die DWD-Meteo­ro­lo­gen in den kommen­den Tagen eine geteil­te Wetter­la­ge — mit kühle­rer Meeres­luft im Norden und schwül­war­mem Wetter im Süden. Im Norden und Nordwes­ten soll es am Mittwoch bis zu 25 Grad warm werden, sonst liegen die Höchst­wer­te bei 24 bis 30 Grad.

Von Ann-Kristin Wenzel, Emilio Rappold, und Eva Krafc­zyk, dpa