BERLIN (dpa) — Im Herbst kommen auf Millio­nen Haushal­te wegen einer staat­li­chen Gasum­la­ge deutlich höhere Preise zu. Aber gibt es zugleich auch zusätz­li­che Entlas­tun­gen? Die Koali­ti­on ringt um die sozia­le Frage.

Angesichts deutli­cher Preis­stei­ge­run­gen für Haushal­te wegen der neuen staat­li­chen Gasum­la­ge steigt der Druck auf die Bundes­re­gie­rung für zusätz­li­che Entlas­tun­gen schon zum Herbst. Thürin­gens Minis­ter­prä­si­dent Bodo Ramelow (Linke) forder­te die Bundes­re­gie­rung auf, ein neues Entlas­tungs­pa­ket für die Bürger zu schnü­ren. Die SPD-Vorsit­zen­de Saskia Esken kündig­te an, ihre Partei werde «einen neuen Anlauf nehmen, eine Überge­winn­steu­er für Konzer­ne einzu­füh­ren, die sich an der Krise bereichern».

Die Chefin des Verbrau­cher­zen­tra­le-Bundes­ver­bands, Ramona Pop, sagte dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land, es sei ein Entlas­tungs­pa­ket für einkom­mens­schwa­che Haushal­te notwen­dig, bis die Gasum­la­ge komme: »Am wichtigs­ten ist schnel­les Handeln: Wenn die Gasum­la­ge kommt, muss das Hilfs­pa­ket stehen.»

Miersch für passge­naue Maßnahmen

SPD-Frakti­ons­vi­ze Matthi­as Miersch sagte der Deutschen Presse-Agentur am Samstag, es werde nicht das eine weite­re Entlas­tungs­pa­ket geben können. «Sondern es bedarf einer Vielzahl an passge­nau­en Maßnah­men der verschie­de­nen Ebenen. Diese sollten bereits begin­nen, im Herbst zu wirken.»

Die staat­li­che Gas-Umlage soll im Oktober für Firmen und Privat­haus­hal­te einge­führt werden. Sie soll Gasver­sor­gern zugute kommen, die zu hohen Preisen Ersatz für ausblei­ben­de Gasmen­gen aus Russland kaufen müssen. Die Bundes­re­gie­rung hatte die Umlage im Zuge des Rettungs­pa­kets für den Versor­ger Uniper beschlossen.

Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) nannte zuletzt eine Spanne von 1,5 bis 5 Cent pro Kilowatt­stun­de, in der sich die Gas-Umlage bewegen werde. Bei einem durch­schnitt­li­chen Vier-Perso­nen-Haushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowatt­stun­den im Jahr wären das 300 bis 1000 Euro. Dazu kommen markt­ge­trie­be­ne drasti­sche Preis­stei­ge­run­gen ohnehin schritt­wei­se bei den Kunden an.

Ramelow sagte der dpa in Erfurt: ««Die sozia­le Arith­me­tik hat die Ampel-Regie­rung derzeit kaum im Blick. Grund ist vor allem die Blocka­de der FDP.» Er forder­te eine Sonder-Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz mit der Bundesregierung.

Die Regie­rung hatte bei der Verkün­dung der Umlage weite­re Entlas­tun­gen angekün­digt. Zu Beginn kommen­den Jahres soll es eine Wohngeld­re­form geben, der Kreis der Berech­tig­ten soll ausge­wei­tet werden. Ebenfalls zum 1. Januar 2023 soll ein Bürger­geld kommen, welches das bishe­ri­ge Hartz-IV-System ablösen soll. In der Koali­ti­on sind aber die genau­en Kondi­tio­nen noch umstrit­ten. Die Regie­rung will außer­dem Kündi­gungs­schutz­re­geln überprü­fen, so dass überfor­der­ten Mietern der Mietver­trag oder Energie­kun­den der Liefer­ver­trag nicht gekün­digt werden kann.

Miersch sagte, zunächst würden weite­re Teile der bereits beschlos­se­nen Entlas­tungs­pa­ke­te in den kommen­den Wochen die Bürge­rin­nen und Bürger errei­chen. «Viele werden die Mehrbe­las­tun­gen im Herbst und Winter spüren, so dass jetzt alle Stellen immer wieder aufklä­ren müssen, dass alle zum sparsa­men Umgang mit Energie beitra­gen. Betrof­fen sind Bürger und Unter­neh­men, aber auch alle anderen Einrich­tun­gen wie zum Beispiel Sport- und Bildungsstätten.»

Wer Hartz IV bezieht und beim Heizen spart, soll nach einem Vorschlag des stell­ver­tre­ten­den Vorsit­zen­den der FDP-Bundes­tags­frak­ti­on, Lukas Köhler, finan­zi­ell profi­tie­ren. «Die deutlich gestie­ge­nen Preise sind für viele Menschen der wichtigs­te Anreiz, um Gas einzu­spa­ren», sagte Köhler dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. «Wer jedoch Arbeits­lo­sen­geld II bezieht, hat diesen Anreiz nicht, da die Kosten in der Regel vollstän­dig vom Jobcen­ter übernom­men werden.»

Köhler sagte weiter: «Um das zu ändern, schla­ge ich vor, dass die ALG-II-Empfän­ger künftig finan­zi­ell an den einge­spar­ten Heizkos­ten betei­ligt werden.» Wer weniger Gas verbrau­che als in den Vorjah­ren, bekom­me dann einen Großteil der dadurch einge­spar­ten Heizkos­ten ausge­zahlt. «Somit würde sich sparsa­mes Heizen nicht nur beim Gasver­brauch, sondern auch unmit­tel­bar auf dem Konto der ALG-II-Empfän­ger bemerk­bar machen.» Köhler sprach von einer «Finanz­sprit­ze ohne zusätz­li­che Kosten für die Steuer­zah­ler — im Gegen­teil, denn auch der Staat würde schließ­lich davon profi­tie­ren, wenn ein Teil des einge­spar­ten Geldes in seiner Kasse verbliebe».

Der Paritä­ti­sche Gesamt­ver­band zeigte sich verär­gert über die geplan­te Gasum­la­ge. «Es kann nicht angehen, dass Krisen­ge­win­ner nunmehr auch noch von jedem Einkaufs­ri­si­ko freige­stellt werden», sagte der Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Wohlfahrts­ver­bands, Ulrich Schnei­der, dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. Gasver­sor­ger wie Winters­hall Dea wiesen einen Gewinn von 1,3 Milli­ar­den Euro im ersten Halbjahr 2022 aus, RWE sogar 5 bis 5,5 Milli­ar­den Euro. Schnei­der plädier­te für eine «Überge­winn­steu­er für Unter­neh­men, die mit Krieg und Krisen außer­ge­wöhn­lich hohe Erträ­ge erwirt­schaf­tet haben und weiter erwirtschaften».

Die SPD-Vorsit­zen­de Esken sagte der «Neuen Osnabrü­cker Zeitung», es sei «nicht hinzu­neh­men, dass Energie­kon­zer­ne Krisen­ge­win­ne einfah­ren in einer Zeit, in der der Staat Gasver­sor­ger mit einer solida­ri­schen Preis­um­la­ge stabi­li­siert oder gar mit Steuer­gel­dern». Das werde zu Recht als große Ungerech­tig­keit empfun­den. Die FDP lehnt eine Überge­winn­steu­er ab, unter anderem weil sie nicht passge­nau anzuwen­den sei. Für eine Überge­winn­steu­er ist auch Habeck.