MÜNCHEN (dpa) — Uli Hoeneß hat den FC Bayern als Macher über Jahrzehn­te geprägt. Im Novem­ber 2019 trat er als Präsi­dent ab. Zum 70. Geburts­tag spricht er über sein beweg­tes Leben, das Streit­the­ma Katar und ein Mikro ohne Saft, drei unver­zicht­ba­re Ü30-Stars, Corona und die Ampelregierung.

Auch zwei Jahre nach seinem Rückzug aus der ersten Reihe des FC Bayern München nimmt der Fußball-Rekord­meis­ter immer noch eine zentra­le Rolle im Leben von Uli Hoeneß ein. Das Wort des Ehren­prä­si­den­ten hat weiter intern und extern Gewicht. «Ich bin ein Glücks­kind», sagt Hoeneß im Inter­view der Deutschen Presse-Agentur zu seinem 70. Geburts­tag am kommen­den Mittwoch (5. Januar).

Frage: Herr Hoeneß, zu Ihrem 60. Geburts­tag hat der FC Bayern ein großes Fest im einsti­gen Münch­ner Postpa­last mit Thomas Gottschalk als Modera­tor ausge­rich­tet. Wie werden Sie Ihren 70. Geburts­tag in Corona-Zeiten feiern?

Antwort: Damals gab es zwei Feiern, eine des FC Bayern — ein tolles Fest. Da war alles da, was Rang und Namen hatte, nicht nur aus dem Sport, sondern auch aus der Wirtschaft, Kultur und Politik – unter anderem hat mir der damali­ge Minis­ter­prä­si­dent Horst Seeho­fer die Ehren­bür­ger­wür­de des Freistaa­tes Bayern verlie­hen, eine Kopie-Band der Beatles hat gespielt. Daneben hatte ich privat ein Fest mit 150 Leuten ausge­rich­tet. Das wird diesmal alles wegfallen.

Frage: Was hatten Sie geplant?

Antwort: Ich wollte wieder zu einem Fest einla­den, weil ich fand, dass die Menschen gerade in diesen Corona-Zeiten auch mal etwas zum Lachen haben sollten. Ich hatte die Kabaret­tis­tin Monika Gruber gebeten, aufzu­tre­ten. Sie hatte auch zugesagt. Sie hat ein neues Programm. Und bei ihr lachen auch die mit, die kein Bayerisch verste­hen. Alle diese Dinge kann man aber jetzt leider nicht machen.

Frage: Wie verbrin­gen Sie dann Ihren Ehrentag?

Antwort: Wir sind zuhau­se. Mein Bruder Dieter wird kommen. Wir werden die Regeln einhal­ten, kleiner Kreis, ein schönes Essen, das war’s. Aller­dings ist klar: Das wird nachge­holt. Meine Frau Susi wird auch 70 im kommen­den Juni. Und wenn dann die Verhält­nis­se so sind, wie wir uns das vorstel­len, gibt es ein Riesen­fest im priva­ten Bereich. Man muss auch mal innehal­ten, zurück­bli­cken und mit Freun­den feiern.

Frage: Wenn Sie auf 70 Lebens­jah­re zurück­bli­cken, fühlen Sie sich dann als ein Glückskind?

Antwort: Natür­lich bin ich ein Glücks­kind, wenn ich zum Beispiel allei­ne daran denke, dass ich mal als Einzi­ger einen Flugzeug­ab­sturz überlebt habe (1982). Und auch sonst, obwohl ich auch mit großen Schwie­rig­kei­ten zu kämpfen hatte, etwa in meiner Fußball-Karrie­re. Wer ist schon mit 23 Jahren praktisch fertig? Nach meiner schwe­ren Knieope­ra­ti­on 1975 habe ich zwar weiter­ge­spielt, bis ich 27 war. Aber das war nicht mehr der Uli Hoeneß, der ich vorher war, der wilde, schnel­le Uli Hoeneß. Das Knie wurde vor den Spielen punktiert — und danach war es meistens dick.

Frage: Was stimmt Sie im Ruhestand glücklich?

Antwort: Ich habe eine tolle Familie. Ohne sie wäre das Ganze im Fußball nicht möglich gewesen. Susi hat mir immer den Rücken freige­hal­ten. Als Manager habe ich oft morgens angeru­fen, dass ich abends mit Leuten zum Essen heimkom­me. Dann hat meine Frau etwas zum Essen gezau­bert. Ein Beispiel: Als 2010 die Geschich­te mit Franck Ribéry beim FC Bayern zu Ende zu gehen schien, weil seine Berater ihn mehr oder weniger an Real Madrid verkauft hatten, haben wir ihn mit seiner Frau Wahiba zu uns zum Essen einge­la­den. Susi hat extra für sie halal gekocht, wir hatten einen wunder­ba­ren Abend, und gegen Mitter­nacht hat Wahiba schließ­lich gesagt: «Franck, nous restons à Munich!» Wir bleiben in München.

Frage: Die Familie war und ist Ihnen also sehr wichtig?

Antwort: Ich bin stolz, dass meine Kinder die Wurst­fa­brik, die ich mit meinem verstor­be­nen Freund Werner Weiß aufge­baut hatte, vor fast acht Jahren übernom­men haben. Flori­an ist Geschäfts­füh­rer und macht einen super Job. Sabine ist auch betei­ligt. Ich habe schon Glück, dass ich so eine tolle Familie habe. Freun­de habe ich nicht so viele — aber auf die kann ich mich verlas­sen. Und sie können sich auf mich verlas­sen. Zuver­läs­sig­keit und Dankbar­keit sind mir in einer Freund­schaft ganz wichtig. Wer mir mal etwas Gutes getan hat, ist geschützt — ein Leben lang.

Frage: Gibt es Dinge, die Sie aus Ihrer Vita gerne strei­chen würden, etwa Ihre Haftstra­fe wegen Steuerhinterziehung?

Antwort: Das ist auf jeden Fall ein Makel, den ich selbst zu verant­wor­ten habe. Ich habe einen Riesen­feh­ler gemacht. Aber es haben damals viele Leute respek­tiert, auch solche, die mich kritisch sehen, dass ich nicht in Revisi­on gegan­gen bin – gegen den Rat meiner Anwäl­te. Das hätte Jahre dauern können, aber meine Familie und ich hatten in der Nacht nach dem Urteil entschie­den, dass ich ins Gefäng­nis gehe. Die Zeit dort hat mich stark geprägt, und ich glaube, auch noch stärker gemacht.

Frage: Sie sind im Anschluss sogar noch einmal Präsi­dent des FC Bayern gewor­den. Vor zwei Jahren haben Sie sich dann endgül­tig aus der ersten Reihe zurück­ge­zo­gen. Ein eigenes Büro haben Sie als Ehren­prä­si­dent auf der Geschäfts­stel­le nicht mehr. Wie schwer fiel Ihnen das Loslassen?

Antwort: Wenn man so eine Entschei­dung trifft, muss man sie konse­quent durch­zie­hen. Ich muss zugeben, dass es am Anfang nicht so einfach war. Ich bin zwei‑, dreimal wöchent­lich hierher­ge­kom­men. Aber im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, die Nachfol­ger schwim­men sich frei. Wenn ich mich zu sehr einmi­sche und zu oft sehen lasse, ist das nicht gut. Man macht es dann den neuen handeln­den Perso­nen, die ich selbst ausge­sucht und forciert habe, unnötig schwerer.

Frage: Wird Ihr Ratschlag noch gesucht?

Antwort: Natür­lich bin ich zur Stelle, wenn mein Nachfol­ger Herbert Hainer etwas bespre­chen möchte. Hasan Saliha­mid­zic lädt mich oft zum Kaffee­trin­ken ein. Mit Oliver Kahn habe ich aktuell weniger Kontakt, aber das ist normal. Er will einen eigenen Stil kreieren, und das ist gut so. Zudem ist er nicht mein Nachfol­ger, sondern der von Karl-Heinz (Rumme­nig­ge). Unser Verhält­nis ist ausgezeichnet.

Frage: Die Jahres­haupt­ver­samm­lung im Novem­ber eskalier­te am Streit­the­ma Katar. Sie haben sie später als «schlimms­te Veran­stal­tung» bezeich­net, die Sie beim FC Bayern erlebt haben. Sie gingen damals ganz am Ende ans Redner­pult, verlie­ßen das Podium aber wortlos…

Antwort: …ich bin froh, dass das Mikro keinen Saft mehr hatte…

Frage: Was hätten Sie den Mitglie­dern und Fans denn sagen wollen?

Antwort: Ich hätte Herbert Hainer und Oliver Kahn zur Seite stehen wollen. Ich hätte den Leuten sagen wollen, dass es berech­tigt ist, dass man Dinge kritisch sieht. Aber auch sie sind Teil des FC Bayern. Und das Bild, das der FC Bayern an diesem Abend abgege­ben hat, kann nieman­dem von uns gefal­len haben. Wie ich mich kenne, wären meine Worte emotio­nal aus mir heraus­ge­kom­men – und auch wenn ich es im Sinne des FC Bayern gut gemeint hätte, wäre es in diesem Ambien­te vermut­lich kontra­pro­duk­tiv gewesen. In der Zeit, die es dauer­te, das Mikro­fon wieder anzuschal­ten, ist in meinem Kopf der Impuls aufge­kom­men, nein, das passt jetzt nicht.

Frage: Wie würden denn Sie die Proble­ma­tik Katar und den Sponso­ren­ver­trag mit der staat­li­chen Flugli­nie lösen?

Antwort: Das ist ein ganz elemen­ta­res Thema auch für die Zukunft des Vereins. Ich habe neulich mit einem der größten deutschen Wirtschafts­bos­se gespro­chen, dessen Konzern eine Studie erstellt hat, laut der in nur sieben Prozent der Länder auf der Welt die Menschen­rech­te tatsäch­lich so sind, wie es sich die meisten vorstel­len. Man muss das realis­tisch sehen, wie klein die Welt allein nach diesen Maßstä­ben wäre. Aber dann würde es sehr schwer werden.

Frage: Als Verein?

Antwort: Ja, sport­lich gesehen. Wir haben in Deutsch­land gravie­ren­de wirtschaft­li­che Nachtei­le gegen­über den von Inves­to­ren und Staats­fonds finan­zier­ten inter­na­tio­na­len Verei­nen, in die Geld ohne Ende gepumpt wird. Irgend­wann könnte der Punkt kommen, an dem unsere Fans — und übrigens auch die Medien – akzep­tie­ren müssten, dass die deutschen Fußball­mann­schaf­ten inter­na­tio­nal keine Rolle mehr spielen.

Frage: Geld vor Moral, also?

Antwort: Ich glaube nicht, dass die Tatsa­che, dass der FC Bayern in Katar ein Trainings­la­ger abhält, so wie zum Beispiel jetzt im Winter unsere Frauen-Mannschaft, dazu führt, dass es dort schlech­ter wird. Im Gegen­teil. Der Besuch unserer FC Bayern Frauen treibt den Prozess der Gleich­be­rech­ti­gung voran. Die Devise lautet: Verän­de­rung durch Annähe­rung. Wenn der FC Bayern eines Tages vielleicht nicht mehr nach Katar fährt und auch die Fußball-WM vorbei ist, geht es dort weiter­hin um die Menschen. Die Menschen­rech­te werden nur besser, wenn man im Dialog immer wieder auf die Missstän­de hinweist. Nur das führt dazu, dass sich die Dinge verbes­sern. Meine Überzeu­gung ist, man muss dort präsent sein.

Frage: Sie würden also erwägen, die Partner­schaft mit Qatar Airways über 2023 hinaus zu verlängern?

Antwort: Das habe nicht ich zu entschei­den. Ich persön­lich würde zu einer Verlän­ge­rung tendie­ren, wenn wir das Gefühl haben, dass wir mit dieser Partner­schaft einen Beitrag leisten können, dass sich die Dinge vor Ort verbes­sern und weiter verbes­sern werden.

Frage: Themen­wech­sel. Wie erleben Sie seit zwei Jahren die Corona-Pande­mie. Sind Sie für eine Impfpflicht?

Antwort: Ich bin ganz klar für das Impfen, aber nicht für eine Impfpflicht. Zeitwei­se war ich dafür, aber ich habe mir dann vorge­stellt: Was macht man mit einem Menschen, der sich partout nicht impfen lassen will? Ich halte eine Impflicht ohne Wenn und Aber für ein zu großes Problem, das die Gesell­schaft eher spalten kann. Aber so, wie sich die Situa­ti­on gerade darstellt, bedeu­tet das auch, dass die Rechte für Ungeimpf­te einge­schränkt sein müssen.

Frage: Wie sind Sie mit den Impfbe­den­ken von Joshua Kimmich umgegan­gen, der dem FC Bayern erst als Kontakt­per­son und dann als selbst Infizier­ter länger fehlte und beim Pieks nun umgedacht hat?

Antwort: Joshua ist ein fantas­ti­sches Beispiel, dass man seine Meinung ändern kann. Ich habe das eine oder andere Mal mit ihm gespro­chen, ohne Druck zu machen. Ich rechne es ihm hoch an, dass er sich hinstellt und sagt: «Ich habe das falsch einge­schätzt.» Das würde ich mir bei mehr Menschen wünschen. Ich finde es gut, dass er sich, sobald es möglich ist, impfen lassen möchte. Das kann vielen Anders­den­ken­den einen Impuls geben.

Frage: Nach Lungen­pro­ble­men infol­ge der Covid-Erkran­kung hat sich Kimmi­chs Comeback verzö­gert. Kann er im neuen Jahr wieder loslegen?

Antwort: Das wird sich zeigen, wenn er unter Höchst­be­las­tung trainiert. Aber ich hoffe es sehr und gehe auch fest davon aus.

Frage: Glauben Sie, dass er wegen der Impfthe­ma­tik nun anders betrach­tet wird, womög­lich auch inner­halb der Mannschaft?

Antwort: Die Mannschaft hat die Kohlen auch ohne ihn gut aus dem Feuer geholt. Da braucht er sich also keine Vorwür­fe zu machen. Er kommt in eine Mannschaft zurück, die intakt ist und alle Ziele in der Hinrun­de — bis auf den DFB-Pokal, wo er noch dabei war — erreicht hat. Er wird vom Team sicher positiv aufge­nom­men, weil er nicht nur ein großar­ti­ger Spieler ist, sondern weil ihn alle als Persön­lich­keit insge­samt extrem schät­zen. Zudem hat er bei diesem Thema ja auch umgedacht.

Frage: Was halten Sie von Karl Lauter­bach als Gesundheitsminister?

Antwort: Solan­ge er nicht im Amt war, hatte ich meine Proble­me mit ihm. Ich fand, dass er alles besser weiß. Jetzt bin ich ein totaler Fan von Karl Lauter­bach, weil ich das Gefühl habe, dass er von der Sache sehr viel versteht und ein Macher ist. Er macht etwa eine Bestands­auf­nah­me beim Impfstoff und besorgt, was fehlt. Kaum ist das Medika­ment Paxlo­vid gegen schwe­re Covid-Verläu­fe akzep­tiert, bestellt er eine Milli­on Packun­gen. Sein Vorgän­ger Jens Spahn war Ankün­di­gungs­welt­meis­ter, hat aber wenig zustan­de­ge­bracht. Lauter­bach dagegen hat eine Vision, er hat eine Idee — und die setzt er um. Deswe­gen habe ich meine Meinung zu Lauter­bach total geändert. Er ist nicht jedem recht — aber er ist einer, der handelt, und so einer ist mir zehnmal lieber.

Frage: Durch Lauter­bach werden Sie am Ende womög­lich noch zum Fan der Ampel-Koalition?

Antwort: Ich habe anders gewählt. Aber ich bin im Moment glück­lich, dass diese neue Konstel­la­ti­on an der Regie­rung ist, weil ich ihr zutraue, die Proble­me, die wir jetzt haben, gut zu lösen. Solan­ge die CDU, ich sage bewusst die CDU, nicht CSU, immer noch mit sich selbst beschäf­tigt ist, würde ich ihr eine Regie­rung, die aktuell so viele Proble­me zu lösen hat, nicht zutrauen.

Frage: Sie sind ein neuer Fan von Karl Lauter­bach, waren aber schon vor seinem Wechsel zum FC Bayern ein großer Befür­wor­ter von Julian Nagels­mann. Ist er als Trainer ein Glücks­fall für Ihren Club?

Antwort: Ich saß schon vor Jahren mit Julian in meinem Büro. Damals hatte er mir als Jugend­trai­ner zugesagt. Er sagte dann aber: «Herr Hoeneß, ich habe ein Problem: Sie müssen den Herrn Hopp anrufen, denn in Hoffen­heim habe ich noch ein Jahr Vertrag.» Da habe ich in Julians Beisein Dietmar Hopp angeru­fen. Und er hat dann gesagt: «Uli, das kannst du nicht machen! Der soll unser Cheftrai­ner in der Bundes­li­ga werden.» Julian hat dann gesagt, das mit dem Wechsel zum FC Bayern könne er Dietmar nicht antun.

Frage: Jetzt ist Nagels­mann hier Cheftrai­ner der Profis. Und Sie sind glücklich?

Antwort: Ich habe ihm als Trainer viel zugetraut. Er hat einen Erfolgs­weg hinter sich. Aber dass er von der Persön­lich­keit her in dem jungen Alter so über den Teller­rand hinaus­schaut, ist sehr beein­dru­ckend. Er macht immer eine gute Figur und sagt auch bei schwie­ri­gen Themen stets das Richti­ge. Ich bin total happy, dass wir ihn haben.

Frage: Der FC Bayern musste dafür aller­dings viele Millio­nen Euro Ablöse an RB Leipzig überweisen…

Antwort: …jetzt warten wir mal ab, wie viel davon übrig ist, wenn das mit dem DFB verein­bar­te Spiel zwischen dem FC Bayern und der Natio­nal­mann­schaft statt­ge­fun­den hat als Kompen­sa­ti­on für Hansi Flick. Aber ich sage auch schon jetzt: Julian ist jeden Euro wert.

Frage: Werden Trainer-Trans­fers im Profi­fuß­ball womög­lich demnächst zur Norma­li­tät gehören wie Spieler-Transfers?

Antwort: Ich bin kein großer Freund davon. Der FC Bayern wurde attackiert dafür, dass wir den Leipzi­gern angeb­lich den Trainer wegge­nom­men haben. Aber dann könnten wir auch sagen, der DFB hat uns Hansi Flick wegge­nom­men. Er hatte vor seinem Wechsel ins Amt des Bundes­trai­ners bei uns auch noch einen gülti­gen Vertrag. Ich habe aber nie eine Kritik am DFB gelesen. Ich habe auch nie eine Kritik an Hansi Flick gelesen, der den FC Bayern aus eigenen Stücken verlas­sen hat. Da wird mit zweier­lei Maß gemes­sen. Es sollte aber nicht zur Norma­li­tät werden, dass Trainer ständig auf dem Trans­fer­markt gehan­delt werden.

Frage: Was zeich­net Nagels­mann aus im Umgang mit der Mannschaft?

Antwort: Ich hatte nur etwas Beden­ken, weil er so alt ist wie mancher Spieler bei uns. Aber was ich höre, trifft er immer den richti­gen Ton, nicht kumpel­haft, aber auch nicht wie ein stren­ger Lehrer. Er muss den Weg gefun­den haben, den Spielern als Respekts­per­son etwas beizu­brin­gen. Was wir beson­ders gut gefällt, ist, dass es ihm gelingt, fast jeden Spieler besser zu machen — und so die Mannschaft.

Frage: Wie gut ist diese? Was ist möglich in dieser Saison?

Antwort: Das weiß ich noch nicht. Wir dominie­ren in der Bundes­li­ga. In der Champi­ons League kommen die schwie­ri­gen Aufga­ben erst. Alle sechs Gruppen­spie­le zu gewin­nen, ist eine überra­gen­de Leistung. Salzburg im Achtel­fi­na­le ist ein schwie­ri­ges Los, weil wir als Top-Favorit gelten. Falls wir die Runde schaf­fen sollten, gibt es danach nur noch etablier­te Hochkaräter.

Frage: Mit neun Punkten Vorsprung startet der FC Bayern zwei Tage nach Ihrem Geburts­tag gegen Gladbach in die Rückrun­de. Der zehnte Meister­ti­tel am Stück scheint Formsa­che. Was sagt das über die Stärke des FC Bayern aus? Und was über die Schwä­che der Konkur­renz um den mal wieder abgehäng­ten Tabel­len­zwei­ten Borus­sia Dortmund?

Antwort: Eigent­lich sind es mit dem Torver­hält­nis sogar zehn Punkte Vorsprung. Trotz­dem sind das Moment­auf­nah­men. Vor der Saison hieß es, der FC Bayern habe keinen breiten Kader, der von Leipzig sei besser und der von Dortmund auch. Jetzt sind wir Herbst­meis­ter. Und plötz­lich heißt es: Der FC Bayern hat ja auch den viel besse­ren Kader. In Wirklich­keit wird hier einfach sehr gut gearbei­tet. Julian hat junge Spieler stark gemacht, Josip Stani­sic oder Marc Roca, der Ende des Jahres immer häufi­ger zum Einsatz kam. Da haben wir jetzt einen Spieler, den du jeder­zeit einset­zen kannst.

Frage: Bei drei Leitfi­gu­ren über 30 laufen Mitte 2023 zeitgleich die Verträ­ge aus. Würden Sie mit Manuel Neuer (35), Robert Lewan­dow­ski (33) und Thomas Müller (32) nochmals verlängern?

Antwort: Derzeit kann ich mir die Jahre 2024 und 2025 ohne dieses Trio nicht vorstel­len. Ich bin beim FC Bayern nicht mehr auf dem driver’s seat. Aber ich denke, dass Oliver, Hasan und Herbert Hainer sich der Thema­tik bewusst sind und versu­chen werden, mit diesen Spielern zu verlän­gern. Davon gehe ich aus.

Frage: Was zeich­net Neuer, Lewan­dow­ski und Müller aus?

Antwort: Das sind drei verschie­de­ne Persön­lich­kei­ten, aber sie alle eint, dass sie für den FC Bayern alles geben. Das Schöne an unserer Mannschaft ist, dass wir generell sehr viele verschie­de­ne Charak­te­re haben – und viele davon höchst intel­lek­tu­ell. Wenn ich höre, was Leon Goretz­ka zu gesell­schaft­li­chen Themen so von sich gibt. Oder ein Thomas Müller, der sagt ja immer das Richti­ge. Und Manuel oder Robert sind im Laufe der Jahre zu absolu­ten Führungs­fi­gu­ren geworden.

Frage: Konti­nui­tät als Erfolgsfaktor?

Antwort: Bei uns ist etwas Großes gewach­sen. Manches­ter United versucht, die Mannschaft nach der Verpflich­tung von Cristia­no Ronal­do auf ihn auszu­rich­ten. Paris Saint-Germain muss Lionel Messi neben Kylian Mbappé und Neymar instal­lie­ren — beim FC Barce­lo­na hat er jeden Ball gekriegt, das ist nun also eine große Umstel­lung. Das sind drei starke Typen und so außer­ge­wöhn­lich gute Spieler, dass man für sie eigent­lich drei Bälle bräuch­te… Bei uns hoffe ich jetzt, dass es auch gelingt, Kings­ley Coman oder Serge Gnabry, der ein ganz wichti­ger Spieler ist, über 2023 hinaus zu halten.

Frage: Wie schwie­rig wird das finan­zi­ell in Corona-Zeiten?

Antwort: Ganz kritisch wird es, wenn wir nicht irgend­wann wieder Zuschau­er im Stadi­on haben. Wenn das noch zwei Jahre so geht, können wir uns diese Mannschaft so nicht mehr leisten. Es sollte spätes­tens ab 1. Juli wieder ein volles Stadi­on geben.

Frage: Wie fühlen Sie sich eigent­lich bei Geister­spie­len als einsa­mer Tribünengast?

Antwort: Sport­lich gesehen ist der FC Bayern ehrli­cher­wei­se ein Profi­teur der Geister­spie­le. Denn ohne Zuschau­er ist die Quali­tät der Mannschaft noch wichti­ger als ohne, weil die Fans eine Mannschaft zu Höchst­leis­tun­gen treiben können. Ohne sie entschei­det die Quali­tät der beiden Mannschaf­ten — und da sind wir überra­gend. Aber wenn ich oben auf der Tribü­ne sitze und kein Mensch da ist, könnte ich weinen. Wir machen das ja alles für die Fans. Wenn ich so eine Orgie in Rot-Weiß in der Allianz Arena sehe, dann weiß ich, wofür wir arbeiten.

Zur Person: Uli Hoeneß ist am 5. Januar 1952 in Ulm geboren. Beim FC Bayern feier­te der Weltmeis­ter von 1974 seine größten Erfol­ge als Fußball-Profi. Als Manager, Vorstands­mit­glied und Vereins­prä­si­dent formte er den deutschen Rekord­meis­ter zu einem Topclub in der Welt. Seit 2019 ist er Ehren­prä­si­dent und weiter Mitglied im Aufsichts­rat. Hoeneß lebt mit seiner Frau Susi am Tegern­see. Er hat zwei Kinder und vier Enkel.

Von Klaus Bergmann, dpa