WIESBADEN (dpa) — Verbrau­cher bekom­men die Teuerung immer stärker zu spüren. Die Infla­ti­ons­ra­te überschritt im Septem­ber erstmals nach knapp 28 Jahren die Vier-Prozent-Marke. Droht eine langan­hal­ten­de Preisspirale?

Für Verbrau­cher und Sparer ist die Nachricht bitter: Erstmals seit knapp 28 Jahren hat die Infla­ti­on in Deutsch­land wieder die Vier-Prozent-Marke überschritten.

Angeheizt vor allem von höheren Energie­kos­ten legten die Verbrau­cher­prei­se im Septem­ber gegen­über dem Vorjah­res­mo­nat nach ersten Berech­nun­gen des Statis­ti­schen Bundes­am­tes um 4,1 Prozent zu. Volks­wir­te sehen dennoch aktuell keinen Anlass zur Beunru­hi­gung. Im kommen­den Jahr dürfte sich der Preis­auf­trieb nach ihrer Einschät­zung wieder abschwächen.

Eine Vier vor dem Komma bei der Teuerungs­ra­te hatte die Wiesba­de­ner Behör­de zuletzt im Dezem­ber 1993 mit damals 4,3 Prozent ermit­telt. Gegen­über dem Vormo­nat August blieben die Verbrau­cher­prei­se im Septem­ber unver­än­dert, wie die Statis­ti­ker mitteilten.

Eine höhere Infla­ti­on schwächt die Kaufkraft von Verbrau­chern, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor. Auch für Sparer, die Geld beispiels­wei­se auf mickrig verzins­ten Tages­geld­kon­ten parken, sind steigen­de Infla­ti­ons­ra­ten bitter. Ihre Gutha­ben verlie­ren unter dem Strich an Wert.

Nach Berech­nun­gen der Commerz­bank-Tochter Comdi­rect liegt der Realzins — also der Zins für Sparein­la­gen nach Abzug der Teuerungs­ra­te — aktuell auf dem histo­ri­schen Tief von minus 3,82 Prozent. In den ersten neun Monaten verlo­ren Sparer­ein­la­gen in Deutsch­land demnach insge­samt rund 47 Milli­ar­den Euro an Wert wegen niedrig verzins­ter Einlagen.

Energie­prei­se steigen seit Monaten

Die Teuerung wird seit Monaten von steigen­den Energie­prei­sen angeheizt. Im Zuge der Konjunk­tur­er­ho­lung nach der Corona-Krise ist die Nachfra­ge nach Rohöl deutlich gestie­gen, das treibt die Preise nach oben. In Deutsch­land sind zudem seit Januar 25 Euro je Tonne Kohlen­di­oxid (CO2) fällig, das beim Verbren­nen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht. Beides lässt die Energie­prei­se steigen.

Im Septem­ber mussten die Verbrau­cher für Haushalts­en­er­gie und Kraft­stof­fe nach den vorläu­fi­gen Daten 14,3 Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor. KfW-Chefvolks­wir­tin Fritzi Köhler-Geib rechnet damit, dass die Energie­prei­se bis Ende des Jahres hoch bleiben, auch weil der kalte zurück­lie­gen­de Winter Lager­be­stän­de leer gefegt habe.

«Vor allem der Energie­preis­schock kostet Kaufkraft und tut vielen Haushal­ten weh», sagte Jörg Zeuner, Chefvolks­wirt des Fonds­an­bie­ters Union Invest­ment. «Auf eine lange Zeit derart hoher Infla­ti­ons­ra­ten werden sich die Bürger trotz­dem nicht einstel­len müssen.»

Auch weil zu Beginn des Jahres 2022 Sonder­ef­fek­te auslau­fen wie die Rücknah­me der tempo­rä­ren Mehrwert­steu­er­sen­kung, die derzeit voll durch­schlägt. Um den Konsum in der Corona-Krise anzukur­beln, hatte der Bund die Mehrwert­steu­er befris­tet vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezem­ber 2020 gesenkt. Seit Januar 2021 gelten wieder die regulä­ren Mehrwert­steu­er­sät­ze, Waren und Dienst­leis­tun­gen werden also tenden­zi­ell wieder teurer.

Infla­ti­ons­ra­ten von an die fünf Prozent in Europas größter Volks­wirt­schaft gelten in diesem Jahr als möglich. Ökono­men werten den Anstieg der Teuerung aber weiter als vorüber­ge­hen­des Phäno­men. «Auch wenn jetzt schon eine Vier vor dem Komma steht, darf man diese Entwick­lung vorläu­fig nicht drama­ti­sie­ren», sagte ZEW-Ökonom Fried­rich Heine­mann. «Der Preis­schub reflek­tiert zunächst einmal die erfreu­lich kräfti­ge und umfas­sen­de Erholung der Binnen- und Weltwirt­schaft nach dem tiefen Absturz in der Pandemie.»

Infla­ti­on zieht auch in Frank­reich an

In anderen Ländern des Euro-Raumes zieht die Infla­ti­on ebenfalls an. So stiegen die nach europäi­scher Metho­de (HVPI) berech­ne­ten Verbrau­cher­prei­se in Frank­reich im Septem­ber gegen­über dem Vorjah­res­mo­nat um 2,7 Prozent. Das ist die höchs­te Rate seit 2011.

Die Infla­ti­on ist ein wichti­ger Gradmes­ser für die Geldpo­li­tik der Europäi­schen Zentral­bank (EZB). Die Noten­bank strebt neuer­dings für den Währungs­raum der 19 Länder eine jährli­che Teuerungs­ra­te von zwei Prozent an und ist zumin­dest zeitwei­se bereit, eine modera­tes Über- oder Unter­schrei­ten der Zwei-Prozent-Marke zu akzeptieren.

Auch aus Sicht der EZB ist der Anstieg der Verbrau­cher­prei­se vorüber­ge­hend und auf Sonder­fak­to­ren infol­ge der Corona-Krise zurück­zu­füh­ren. Es brauche nach wie vor einen unter­stüt­zen­den geldpo­li­ti­schen Kurs, «um die Pande­mie sicher zu überwin­den und die Infla­ti­on nachhal­tig auf zwei Prozent zurück­zu­füh­ren», bekräf­tig­te EZB-Präsi­den­tin Chris­ti­ne Lagar­de jüngst. Dauer­haft niedri­ge Preise gelten als Risiko für die Konjunk­tur: Unter­neh­men und Verbrau­cher könnten dann Inves­ti­tio­nen aufschie­ben — in der Hoffnung, dass es bald noch billi­ger wird.

Der harmo­ni­sier­te Verbrau­cher­preis­in­dex HVPI, den die EZB für ihre Geldpo­li­tik heran­zieht, lag in Deutsch­land im Septem­ber um 4,1 Prozent über dem Niveau des Vorjah­res­mo­nats und um 0,3 Prozent über dem Stand von August 2021.

Von Friede­ri­ke Marx, dpa