WÜRZBURG (dpa) — Ein Kaufhaus, eine Bank, mitten auf der Straße: Mitten in Würzburg sticht ein Mann auf ihm unbekann­te Menschen ein. War es ein islamis­ti­scher Anschlag? Oder war der Mann geistig verwirrt?

Am Tag nach der tödli­chen Messer­at­ta­cke von Würzburg sind die Ermitt­ler bei der Suche nach einem Motiv noch nicht endgül­tig fündig geworden.

Unklar sei, inwie­fern die Psyche des 24 Jahre alten Somaliers eine Rolle gespielt habe und inwie­fern islamis­ti­sche Einstel­lun­gen zur Tat beigetra­gen hätten, sagte Bayerns Innen­mi­nis­ter Joachim Herrmann (CSU) am Samstag in Würzburg. Die Beamten gingen weiter davon aus, dass es sich um einen Einzel­tä­ter handelt. Der Somali­er wurde nach dem Verbre­chen, das sich in einem Kaufhaus, einer Bank und auf der Straße abgespielt hatte, von der Polizei angeschos­sen und festgenommen.

Amokla­ge

Das bayeri­sche Landes­kri­mi­nal­amt übernahm in Zusam­men­ar­beit mit der General­staats­an­walt­schaft München die Ermitt­lun­gen zu den Hinter­grün­den von den lokalen Behör­den. Die Überga­be an die überge­ord­ne­ten Behör­den erfol­ge, weil es sich um eine «Amokla­ge» gehan­delt habe, erklär­te Würzburgs Leiten­der Oberstaats­an­walt Frank Gosselke.

Bei dem Angriff am Freitag­nach­mit­tag in der Innen­stadt hatte der Mann drei Frauen in einem Kaufhaus getötet. Auf der Straße und in einer Bank verletz­te er danach sechs weite­re Frauen schwer und einen männli­chen Jugend­li­chen leicht. Eine Frau befand sich auch am Samstag noch in Lebens­ge­fahr. Der Somali­er hatte nach Darstel­lung der Polizei offen­bar grund­los auf die ihm unbekann­ten Menschen eingestochen.

Bei den Opfern handelt es sich fast ausschließ­lich um Frauen. Ob der Verdäch­ti­ge bewusst Frauen ausge­wählt hat, ist der Polizei zufol­ge noch nicht bekannt. Nach gegen­wär­ti­gem Ermitt­lungs­stand könne es sich auch um einen Zufall handeln.

Hassbot­schaf­ten gefunden

Ermitt­ler fanden in dem Obdach­lo­sen­heim, in dem der mutmaß­li­che Angrei­fer zuletzt lebte, Hassbot­schaf­ten. Das sagte der Leiten­de Krimi­nal­di­rek­tor Armin Kühnert. Das Materi­al sei sicher­ge­stellt, aber noch nicht ausge­wer­tet worden. Auch Nachrich­ten auf einem entdeck­ten Handy müssten noch unter­sucht werden, was wegen der dabei genutz­ten Fremd­spra­che etwas dauere.

Der 24-Jähri­ge war schon vor der Tat polizei­be­kannt. Er soll im Januar bei einem Streit in einer Obdach­lo­sen­un­ter­kunft zu einem Messer gegrif­fen und es bedroh­lich in der Hand gehal­ten haben, wie Wolfgang Gründ­ler von der General­staats­an­walt­schaft Bamberg sagte. Worum es bei der Ausein­an­der­set­zung mit Mitbe­woh­nern und Verwal­tern ging, sagte er nicht. Verletzt worden sei niemand.

Die Polizei leite­te aber ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren wegen Bedro­hung und Belei­di­gung ein, der Somali­er kam zunächst vorüber­ge­hend in eine Psych­ia­trie. Das Verfah­ren laufe weiter, ein psych­ia­tri­sches Gutach­ten steht demnach noch aus.

Im Juni soll der 24-Jähri­ge zudem einen Verkehrs­teil­neh­mer in der Würzbur­ger Innen­stadt beläs­tigt haben. «Da hat der Beschul­dig­te ein verstör­tes Verhal­ten mit psychi­schen Auffäl­lig­kei­ten gezeigt», sagte Gründ­ler. Der Mann sei erneut in eine Psych­ia­trie gekom­men, aber nach einem Tag wegen fehlen­den Behand­lungs­be­dar­fes entlas­sen worden.

Seit 2015 in Deutschland

Der Mann aus dem Bürger­kriegs­land Somalia sei am 6. Mai 2015 nach Deutsch­land einge­reist, erläu­ter­te Unter­fran­kens Polizei­prä­si­dent Gerhard Kallert. Seit dem 4. Septem­ber 2019 war der Asylbe­wer­ber in Würzburg erfasst und erhielt später subsi­diä­ren Schutz — er hält sich also legal in Deutsch­land auf.

Auf Weisung des Amtsge­richts Würzburg sitzt der Verdäch­ti­ge mittler­wei­le in Unter­su­chungs­haft — wegen dreifa­chen Mordes, versuch­ten Mordes und gefähr­li­cher Körper­ver­let­zung in sechs weite­ren Fällen und vorsätz­li­cher Körper­ver­let­zung in einem weite­ren Fall.

Der Pflicht­ver­tei­di­ger des Somaliers, Hanjo Schre­p­fer, sagte, sein Mandant sei trotz einer Beinschuss­ver­let­zung als haftfä­hig einge­stuft worden. Nach Gesprä­chen mit dem 24-Jähri­gen könne er bisher kein islamis­ti­sches Motiv erken­nen. «Offizi­ell hat er sich noch nicht zur Sache einge­las­sen», sagte Schrepfer.

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder (CSU) bezeich­ne­te die Bluttat als Amoklauf. Aus Sicher­heits­krei­sen hieß es, der junge Mann habe bei seiner Verneh­mung eine Äußerung gemacht, die auf religiö­sen Fanatis­mus schlie­ßen lasse. Hinwei­se auf Kontak­te zu militan­ten Salafis­ten gibt es dem Verneh­men nach bisher jedoch nicht. «Ich bin von dieser unfass­bar bruta­len Tat tief erschüt­tert», sagte Bundes­in­nen­mi­nis­ter Horst Seeho­fer (CSU).

Trauer und Entsetzen

Söder kündig­te für Bayern Trauer­be­flag­gung an. «Die Ereig­nis­se sind unfass­bar und schockie­rend», sagte er in Nürnberg. Bayern traue­re um die Opfer. «Wir bangen, beten und hoffen mit den Verletz­ten und den Angehö­ri­gen.» Beson­ders dankte Söder den Bürgern, die am Freitag versucht hätten, den Täter zu stellen und in Schach zu halten: «Das war ein ganz beein­dru­cken­des Engagement.»

Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er äußer­te sich «erschüt­tert» über die Ereig­nis­se. «Der Täter hat mit äußers­ter Bruta­li­tät gehan­delt. Für diese menschen­ver­ach­ten­de Tat wird er durch den Rechts­staat zur Verant­wor­tung gezogen.» Zudem drück­ten Vertre­ter verschie­de­ner Partei­en vor allem per Twitter ihr Mitge­fühl aus.

In der Univer­si­täts­stadt Würzburg herrsch­te auch am Tag danach Entset­zen. Menschen stell­ten in der Nähe des Tatorts brennen­de Kerzen in Geden­ken an die Opfer auf. In den Blick­punkt gerie­ten auch die coura­gier­ten Bürger, die sich dem Angrei­fer in den Weg stell­ten. Dank kam unter anderem von vielen Politi­kern, die offen­sicht­lich die kurzen Video­clips in sozia­len Netzwer­ken gesehen hatten, in den Passan­ten den Somali­er attackierten.

Die Tat erinnert an einen islamis­ti­schen Anschlag vor knapp fünf Jahren in Würzburg. Am 18. Juli 2016 waren in einem Zug vier Menschen schwer verletzt worden. Ein 17-jähri­ger afgha­ni­scher Flücht­ling hatte mit einer Axt und einem Messer in einem Regio­nal­zug auf dem Weg nach Würzburg die Reisen­den angegrif­fen. Anschlie­ßend flüch­te­te er zu Fuß, attackier­te eine Spazier­gän­ge­rin und wurde schließ­lich von Polizis­ten erschossen.

Von Carolin Gißibl, Micha­el Donhau­ser und Angeli­ka Resen­hoeft, dpa