BIBERACH — Offene Jugend­ar­beit, Schul­so­zi­al­ar­beit, Street­work und vieles mehr: Der Verein „Jugend Aktiv“ ist in Biber­ach einer der wichtigs­ten Ansprech­part­ner in Fragen der Kinder- und Jugend­ar­beit. Und das seit drei Jahrzehn­ten. „Wir haben uns von einem Modell­pro­jekt zu einem erwach­se­nen Jugend­hil­fe­trä­ger entwi­ckelt“, sagt Geschäfts­füh­rer Wolf König. 

Gemein­sam mit dem stell­ver­tre­ten­den Geschäfts­füh­rer Andre­as Heinzel spricht er anläss­lich des 30. Geburts­tags im Inter­view unter anderem über die Anfän­ge des freien Jugend­hil­fe­trä­gers, dessen Entwick­lung die beiden seit Langem beglei­ten und maßgeb­lich mitge­stal­ten. König ist seit 23 Jahren dabei, Heinzel seit 28. 

Herr König, Herr Heinzel, wir treffen uns für dieses Gespräch im Jugend­haus 9teen in der Breslau­stra­ße, wo auch die Geschäfts­stel­le von „Jugend Aktiv“ ist. War die Eröff­nung des Jugend­hau­ses im April 2017 einer der wichtigs­ten Meilen­stei­ne der vergan­ge­nen 30 Jahre? 

König: Defini­tiv. Für „Jugend Aktiv“ ist es etwas Beson­de­res, diesen Stand­ort zu haben. Jeder, der eine Frage rund um die Kinder- und Jugend­ar­beit hat, weiß, dass er hier richtig ist. Früher waren wir über die Stadt verteilt, jetzt kommen die Leute einfach vorbei und finden den richti­gen Ansprechpartner. 

Heinzel: Dabei war der Weg bis zur Eröff­nung ja durch­aus lang und steinig. Elf Jahre dauer­te es vom Antrag des Jugend­par­la­ments bis zur Fertig­stel­lung. Mittler­wei­le ist das Jugend­haus nicht nur Sitz von „Jugend Aktiv“, sondern für viele Jugend­li­che eine Heimat, ihr Wohnzim­mer. Manche kommen täglich. Diese Homeba­se gab es vorher nicht. 

Nicht nur die räumli­chen Gegeben­hei­ten haben sich in den vergan­ge­nen Jahren verän­dert, auch das Tätig­keits­feld wurde nach und nach angepasst und erweitert. 

König: Gestar­tet ist der Verein im Jahr 1993 als Modell­pro­jekt der Jugend­ar­beit im Zusam­men­spiel mit der Stadt und den Kirchen. Das erste Jugend-Aktiv-Team bestand aus drei Mitar­bei­tern: einem Sozial­ar­bei­ter, einem Arbeits­er­zie­her und einem Zivi. Ihre Aufga­be war es, für auffäl­li­ge Jugend­li­che eine Lösung zu finden, sie zu beschäf­ti­gen. Aufsu­chen­de Jugend­ar­beit steck­te in den 90er-Jahren noch in den Kinder­schu­hen. Dass es dafür in einer Stadt der Größe Biberachs ein geför­der­tes Modell­pro­jekt gab, war etwas Besonderes. 

Heinzel: Für das Modell­pro­jekt wurden drei Lastwa­gen aus den ehema­li­gen Bestän­den der Natio­na­len Volks­ar­mee der DDR beschafft. Diese sollten gemein­sam mit den Jugend­li­chen für einen Hilfs­kon­voi nach Telawi fitge­macht werden. Die Jugend­li­chen wurden zum „Schrau­ben“ ins „Abseitz“ einge­la­den, man kam ins Gespräch, es wurden Kontak­te geknüpft. Auch wenn der Konvoi letzt­lich nicht zustan­de kam – in Georgi­en herrsch­te seiner­zeit noch Bürger­krieg – war das Projekt der Grund­stein für eine andere Art von offener Kinder- und Jugend­ar­beit in Biber­ach. Ein erstes, nieder­schwel­li­ges erleb­nis­päd­ago­gi­sches Angebot, das auch mit der Hoffnung verbun­den war, die Jugend­li­chen in den Arbeits­markt integrie­ren zu können. 

Damals wie heute ist ein zentra­ler Punkt Ihrer Arbeit, an die Jugend­li­chen heranzukommen. 

Heinzel: Und wir sind dabei auch schon viele ungewöhn­li­che Wege gegan­gen. So haben wir mal ein Buden­kon­zept für die Stadt Biber­ach erarbei­tet, darüber gab es sogar eine Diplom­ar­beit. Wir haben Bauwa­gen im Stadt­ge­biet aufge­stellt, die Akzep­tanz war aber nicht nachhal­tig. Letzt­lich hat es nicht funktioniert. 

Ist das nicht frustrierend? 

Heinzel: Nein. Die Lebens­welt junger Menschen steht im Mittel­punkt unseres Handelns. Und durch solche Versu­che haben wir die Bedar­fe über die Jahre hinweg immer besser versor­gen können. 

Eines der ersten Projek­te, das auf Wunsch von Jugend­li­chen angesto­ßen wurde, war der Skate­platz beim frühe­ren Hallen­bad im Jahr 1994. 

Heinzel: Bereits ein Jahr zuvor waren Skater auf den Arbeits­er­zie­her mit der Bitte zugegan­gen, irgend­wo eine Halfpipe zu ermög­li­chen. So entstand Biberachs erster Skate­platz. Ein weite­res Beispiel, wie gut Jugend­ar­beit funktio­nie­ren kann, ist der BMX-Platz. Die Jugend­li­chen wollten unbedingt einen Platz mit Dirtjumps und einer Halfpipe in Biber­ach, wir haben diesen Wunsch unter­stützt und beglei­tet. Daraus hervor ging ein eigen­stän­di­ger Verein, der bis heute den Platz betreibt und inzwi­schen sogar einen profes­sio­nel­len geteer­ten Pumptrack-Parcours reali­siert hat. 

Ein Schwer­punkt Ihres Leistungs­spek­trums ist heutzu­ta­ge die Schul­so­zi­al­ar­beit. Wann fiel dafür der Startschuss? 

König: Die ersten Versu­che machten wir 1995 mit einer ABM-Stelle (Arbeits­be­schaf­fungs­maß­nah­me) an der Mali-Schule. Diese lief 1996 wieder aus – neben­bei auch jenes Jahr, in dem die städti­sche Jugend­ar­beit und die Tätig­kei­ten von „Jugend Aktiv“ unter dem Dach von „Jugend Aktiv“ zusam­men­ge­legt wurden. An der Mail-Schule wurde nach dem Ende der ABM-Stelle zwar präven­tiv weiter­ge­ar­bei­tet, offizi­ell weiter ging es mit der Schul­so­zi­al­ar­beit aber erst 2003. Ein Jahr zuvor war die Schul­so­zi­al­ar­beit bereits an der Pflug­schu­le gestar­tet. Seither ist viel passiert. Heute haben wir 16 Schul­so­zi­al­ar­bei­ter, die schwer­punkt­mä­ßig in Biber­ach tätig sind. Vier Schulen betreu­en wir außer­halb der Stadt­gren­zen: in Mittel­bi­ber­ach, Schem­mer­ho­fen, Ummen­dorf und Warthausen. 

Anläss­lich der Diskus­sio­nen um das Alkohol­kon­sum­ver­bot am Busbahn­hof ging es auch um die dorti­gen Jugend­li­chen und die Arbeit der Street­wor­ker. Was hat sich hier, seit das Verbot gilt, getan? 

Heinzel: Mit der aufsu­chen­den Arbeit/Streetwork sind wir auch in diesem Bereich unter­wegs. Das Verbot hat dazu geführt, dass sich viele Jugend­li­che nicht mehr am Bahnhof aufhal­ten. Manche verhal­tens­auf­fäl­li­ge, zu denen wir vorher Kontakt hatten, treffen wir leider gar nicht mehr an. Wir machen mit unserer mobilen Jugend­ar­beit ein Angebot, das freiwil­lig ist und bei dem der Kontakt von den Jugend­li­chen bestimmt wird. 

Sind Jugend­li­che im Jahr 2023 anders als es jene 1993 waren? 

Heinzel: Grund­sätz­lich sehe ich keine großen Unter­schie­de. Jugend­li­che wollen gesehen und gehört werden und sich mit der Erwach­se­nen­welt reiben. Das gilt für damals und heute. Die Rahmen­be­din­gun­gen sind heute teils erschwert. Sei es mit Blick auf die Sozia­len Medien, diver­se Entwick­lun­gen im Bildungs­be­reich, die Erwar­tungs­hal­tung in der Schule. 

König: Heute dürfen die Jugend­li­chen viel weniger als früher. Es tauchen immer gleich Fragen zur Haftung oder Verkehrs­si­che­rung auf. Sich einfach mal auszu­pro­bie­ren war in den 90er-Jahren sicher­lich unkom­pli­zier­ter. Früher wurde den Jugend­li­chen mehr Selbst­ver­ant­wor­tung zugetraut. 

Abschlie­ßend ein Blick nach vorne: Wie sehen Sie die Rolle von „Jugend Aktiv“ in den nächs­ten Jahren, welche Schwer­punk­te gibt es? 

Heinzel: Wir werden es auch künftig nicht scheu­en, uns für unser Klien­tel einzu­set­zen, auch wenn das mitun­ter konfron­ta­tiv wirken mag. 

König: Insge­samt scheint sich die sozia­le Lage für Kinder und Jugend­li­che im Zuge der vielen gesell­schaft­li­chen Krisen zu verschlech­tern. Dies hat zuneh­mend Auswir­kun­gen auf die Inanspruch­nah­me auch unserer Diens­te und der Bedarf steigt. In allen Arbeits­fel­dern könnte es daher punktu­ell nötig sein, noch nachzu­jus­tie­ren. Grund­sätz­lich reagie­ren wird mit unseren Angebo­ten aber immer auf den Bedarf, den wir dann mit den Kosten­trä­gern disku­tie­ren. Angesichts aktuel­ler Entwick­lun­gen könnte es auch sein, dass wir versu­chen, mit Projek­ten das Heimat- und Demokra­tie­ver­ständ­nis zu fördern. Hier scheint sich ein Bedarf abzuzeichnen. 

Jubilä­ums- und Mitmachtag am 10. November 

„Jugend Aktiv“ feiert den 30. Geburts­tag am Freitag, 10. Novem­ber, von 14 bis 18 Uhr mit einem Jubilä­ums- und Mitmachtag im Jugend­haus in der Breslau­stra­ße. Neben Mitmach­ak­tio­nen gibt es auch Präsen­ta­tio­nen der Angebo­te und Arbeits­be­rei­che. Die Mitar­bei­ten­den stehen für Fragen zur Verfü­gung, die Wirkung von „Jugend Aktiv“ in Biber­ach und dem Umland wird deutlich gemacht und die Geschich­te vom kleinen Jugend­hil­fe­trä­ger mit drei Mitar­bei­ten­den 1993 zum heute wichti­gen Akteur in der Jugend­hil­fe­land­schaft mit 47 Mitar­bei­ten­den wird aufgezeigt.