BERLIN (dpa) — Die Klima­ex­tre­me und ‑rekor­de überschla­gen sich in diesem Sommer. Ist alles schon schlim­mer als bisher vorhergesagt?

Verhee­ren­de Waldbrän­de, überra­schend warme Weltmee­re und ein Juli, der global mit Abstand der heißes­te bisher gemes­se­ne Monat war: Klima­for­scher haben viele der aktuell zu beobach­ten­den Entwick­lun­gen prognos­ti­ziert, sind aber dennoch von einzel­nen Ereig­nis­sen überrascht.

Der Juli 2023 war nach Angaben des EU-Erdbe­ob­ach­tungs­pro­gramms Coper­ni­cus im globa­len Mittel gut 16,95 Grad warm und damit etwa 0,33 Grad heißer als der Juli 2019 (16,63 Grad), der nach Coper­ni­cus-Daten bishe­ri­ge Rekord­hal­ter. Ein Überblick über einige Extreme:

Die Tempe­ra­tur­ent­wick­lung

Die globa­le Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur hat sich insbe­son­de­re in den vergan­ge­nen Jahrzehn­ten deutlich erhöht. «Seit den 1980er Jahren ist sie um fast 0,2 Grad Celsi­us pro Jahrzehnt gestie­gen und liegt derzeit etwa 1,2 Grad über dem Niveau von 1850 bis 1900», sagte Dieter Gerten vom Potsdam-Insti­tut für Klima­fol­gen­for­schung. «Die zehn wärms­ten Jahre traten alle seit 2010 auf.» Haupt­ur­sa­che der Erwär­mung seien menschen­ge­mach­te Treibhausgase.

Die Konzen­tra­ti­on der drei bedeu­tends­ten davon — Kohlen­di­oxid, Methan und Lachgas — hat in der Atmosphä­re nach jüngs­ten Daten der Weltwet­ter­or­ga­ni­sa­ti­on (WMO) selbst während der Corona-Pande­mie 2021 zugelegt. Alle drei erreich­ten in dem Jahr Rekordwerte.

Inten­si­ve Ereig­nis­se wie Feuer, Metha­n­aus­ga­sung, Eisschmel­ze und Waldster­ben könnten die Erwär­mung sogar weiter verstär­ken, sagte Gerten. Die Umset­zung des Klima­ab­kom­mens von Paris, nach dem die Erwär­mung möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden sollte, sei entschei­dend, um eine gefähr­li­che Erder­wär­mung zu vermeiden.

Das Land

So starke Hitze­wel­len wie im Juli in Südeu­ro­pa und dem Südwes­ten der USA wären ohne den vom Menschen gemach­ten Klima­wan­del so gut wie unmög­lich. Zu diesem Ergeb­nis kam die Initia­ti­ve World Weather Attri­bu­ti­on, die den Zusam­men­hang von Extrem­ereig­nis­sen und Erder­hit­zung inten­siv unter­sucht. Die analy­sier­te Hitze­wel­le in Südeu­ro­pa war demnach um 2,5 Grad wärmer als sie ohne den menschen­ge­mach­ten Klima­wan­del gewesen wäre, die in Nordame­ri­ka um 2 Grad und eine in China um rund 1 Grad.

Laut Gerten sind praktisch alle Gegen­den von der Erwär­mung betrof­fen. Beson­ders für subtro­pi­sche Zonen wie etwa Südeu­ro­pa seien trocke­ne­re Bedin­gun­gen zu erwar­ten, während viele küsten­na­hen Gebie­te zuneh­mend mit Überflu­tun­gen durch den Meeres­spie­gel­an­stieg zu kämpfen hätten. «Diese Erkennt­nis­se verdeut­li­chen die Dring­lich­keit globa­ler Anstren­gun­gen zur Eindäm­mung des Klima­wan­dels und zur Anpas­sung an die bereits unver­meid­ba­ren Veränderungen.»

In Deutsch­land trete die sogenann­te hydro­lo­gi­sche Dürre bereits jetzt häufi­ger auf, erläu­ter­te Jakob Zscheisch­ler vom Helmholtz-Zentrum für Umwelt­for­schung. Dies ist ein Wasser­man­gel in Brunnen, Flüssen oder anderen Reser­voi­ren. «Das lässt sich auf die Tempe­ra­tur­stei­ge­rung zurück­füh­ren, die zu höherer Wasser­ver­duns­tung aus dem Boden führt.»

Dass die Stärke von Dürren und Extrem­nie­der­schlä­gen global zunimmt, haben unter anderem zwei Forscher aufgrund von 1056 Extrem­ereig­nis­sen gezeigt («Nature Water», 2023). Die Gesamt­in­ten­si­tät aller analy­sier­ten Ereig­nis­se korre­lier­te demnach stark mit der weltwei­ten Mittel­tem­pe­ra­tur. Die Forscher ermit­tel­ten mit Hilfe von Satel­li­ten­da­ten Änderun­gen im Gesamt­was­ser­spei­cher. Die Studie bestä­ti­ge nicht nur die Progno­sen der Klima­mo­del­le, sondern auch die Hypothe­se für Erdre­gio­nen «trocken wird trocke­ner, nass wird nasser», kommen­tier­te Melis­sa Rohde von der State Univer­si­ty of New York.

Die Meere

Die durch­schnitt­li­che Oberflä­chen­tem­pe­ra­tur der Meere liegt schon seit Mitte März auf Rekord­ni­veau: Nach Daten der Platt­form «Clima­te Reana­ly­zer» ist jeder einzel­ne Tag bislang der wärms­te für sein jewei­li­ges Datum gewesen — seit Messbe­ginn 1982, und zwar meist mit Abstand. Anfang August betrug die Tempe­ra­tur rund 21 Grad und damit rund 0,8 Grad mehr als im Mittel der Jahre 1982 bis 2011 zu der Jahreszeit.

«Grund ist die menschen­ge­mach­te Erder­wär­mung», sagte Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozean­for­schung Kiel. «Über 90 Prozent der Wärme, die durch die menschen­ge­mach­ten Treib­haus­ga­se entsteht, speichern die Ozeane.» Derzeit komme allmäh­lich das Klima­phä­no­men El Niño hinzu. Das natür­li­che Wetter­phä­no­men könne die im Zuge der Klima­kri­se steigen­den Tempe­ra­tu­ren zusätz­lich in die Höhe treiben. «Es gibt ein Mitein­an­der von kurzfris­ti­gen natür­li­chen Schwan­kun­gen und langfris­ti­ger anthro­po­ge­ner Erwär­mung», sagte er. Deswe­gen gehe die Tempe­ra­tur­kur­ve nicht gleich­mä­ßig nach oben.

Zahlrei­che Koral­len drohen nach Angaben mehre­rer Forscher in diesem Jahr angesichts der Tempe­ra­tu­ren auszu­blei­chen. Die Lebens­räu­me vieler Meeres­le­be­we­sen verla­gern sich Analy­sen zufol­ge teils mehre­re Dutzend Kilome­ter pro Jahrzehnt Richtung Süd- oder Nordpol.

Weite­re Folge des wärme­ren Wassers: Der Meeres­spie­gel steigt, weil sich Wasser bei Erwär­mung ausdehnt. Das ist laut Latif neben dem Schmel­zen der konti­nen­ta­len Eismas­sen ein Haupt­grund für den Anstieg von bislang rund 20 Zenti­me­tern. Warme Ozeane haben auch einen großen Einfluss auf das Wetter: «Durch die Verduns­tung gelangt mehr Energie in die Atmosphä­re, was zu stärke­ren Wetter­ex­tre­men führt», erklär­te Latif.

Warmes Wasser kann zudem weniger Sauer­stoff speichern, so dass Meeres­le­be­we­sen mit weniger Sauer­stoff auskom­men müssen. Zudem nehmen die Ozeane laut Latif etwa ein Viertel des menschen­ge­mach­ten CO2 auf und werden dadurch saurer — eine weite­re Belas­tung für Koral­len und andere kalkbil­den­de Lebewe­sen, aber etwa auch für Dorschlarven.

Und die Erwär­mung könnte sich künftig beschleu­ni­gen: «Da wärmer und saurer werden­de Meere zudem einen weniger großen Anteil des menschen­ge­mach­ten Kohlen­di­oxids aufneh­men können, müssen wir die Emissio­nen langfris­tig noch stärker reduzie­ren als ohnehin schon berech­net, um eine bestimm­te globa­le Erwär­mung nicht zu überschrei­ten», erklär­te Latif. «Die marine CO2-Senke beginnt bereits zu schwä­cheln und hat in den letzten Jahren nicht mehr in dem Maße zugelegt wie die CO2-Konzen­tra­tio­nen in der Atmosphä­re.» Bei Landsen­ken wie Wäldern, die CO2 aufneh­men, sei das Problem sogar noch gravierender.

Antark­tis

Neue Daten zum Meereis in der Antark­tis beunru­hi­gen Exper­ten. Laut Chris­ti­an Haas, Leiter der Sekti­on Meereis­phy­sik am Alfred-Wegener-Insti­tut (AWI), ist die von Eis bedeck­te Fläche des Meeres in der Antark­tis derzeit deutlich kleiner als im Durch­schnitt der letzten 40 Jahre. «Sowas hat es noch nie gegeben, seit wir Satel­li­ten haben», sagte Haas. Bisher habe sich die Meereis-Fläche im antark­ti­schen Winter immer wieder erholt. Die aktuel­le Situa­ti­on könne weitrei­chen­de Konse­quen­zen haben. «Die Frage ist, ob es der Anfang vom Ende des Meerei­ses in der Antark­tis ist. Wenn es so weiter­geht, wird es im Sommer gar kein Meereis mehr geben.» Noch sei aller­dings unklar, ob dies tatsäch­lich auf den menschen­ge­mach­ten Klima­wan­del zurück­zu­füh­ren sei oder eher auf natür­li­che Variabilität.

Die mögli­chen Folgen für die Weltmee­re könnten jeden­falls gravie­rend sein, da der Rückgang des Meerei­ses zu einem Anstieg der Meeres­ober­flä­chen­tem­pe­ra­tur und Verän­de­run­gen in den Meeres­strö­mun­gen führen könnte. Haas verweist auf die Eis-Albedo-Rückkopp­lung: Eis reflek­tiert Sonnen­strah­len sehr gut, das Meer dagegen nimmt sie eher auf und erwärmt sich dadurch. Durch den Rückgang des Eises wird das Meer daher wärmer, so dass noch mehr Eis schmilzt.

Gibt es Hoffnung?

«Ich bin der Meinung, dass wir die 1,5 Grad globa­le Erwär­mung überschrei­ten werden. Unter 2 Grad zu bleiben wäre noch möglich, aber eine Herku­les­auf­ga­be», sagte Latif. «Doch selbst, wenn wir die reißen sollten: Jedes Zehntel Grad, das wir vermei­den können, wäre die Mühen wert.»

Von Jessi­ca Lichetz­ki und Simone Humml, dpa