BERLIN (dpa) — Weniger heizen gilt als Gebot der Stunde. Doch was, wenn man eine fürch­ter­li­che Frost­beu­le ist? Zwar sind einige Fakto­ren dafür unabän­der­lich festge­legt — andere aber lassen sich sehr wohl beein­flus­sen. Und das sogar recht schnell.

Geschlecht, Alter, Statur, Stoff­wech­sel: Ab wann jemand friert, hängt von vielen Fakto­ren ab. Während manche davon unver­än­der­lich sind, können andere durch­aus beein­flusst und der Körper so kälte­to­le­ran­ter gemacht werden. Die Lösung lautet: Training.

Tatsäch­lich schickt sich unser Kälte­emp­fin­den ohnehin schon jedes Jahr selbst ins Trainings­la­ger — und zwar durch den Wechsel der Jahres­zei­ten. «Wenn wir im April 13 oder 14 Grad haben, finden wir das warm und gehen ohne Jacke raus. Sinken im Herbst die Tempe­ra­tu­ren auf 13 oder 14 Grad, frieren wir», erklärt Ralf Brandes, Profes­sor für Physio­lo­gie an der Goethe-Univer­si­tät in Frank­furt. Inner­halb relativ kurzer Zeit stelle sich unser Körper um.

Diese Anpas­sungs­fä­hig­keit kann man sich nun auch dafür zunut­ze machen, sich in einer weniger stark beheiz­ten Wohnung wohlzu­füh­len. Eine länger­fris­ti­ge Erhöhung der Kälte­to­le­ranz sei durch regel­mä­ßi­ge und idealer­wei­se tägli­che Exposi­ti­on möglich, sagt Thomas Korff, Profes­sor am Insti­tut für Physio­lo­gie und Patho­phy­sio­lo­gie der Univer­si­tät Heidel­berg. «Das sehen wir beispiels­wei­se bei Menschen, die im Freien arbei­ten. Sie bewegen sich in der Regel mehr, haben deswe­gen vermut­lich auch mehr Muskeln und einen höheren Grund­um­satz.» Unbewusst passten sie zudem ihr Verhal­ten an: «Jemand, der viel draußen arbei­tet, ändert wahrschein­lich auch seine Ernäh­rung, weil ein erhöh­ter Grund­um­satz nach mehr Kalorien verlangt.»

Braunes Fett wirkt wie eine körper­ei­ge­ne Heizung

Insge­samt verbes­sert sich so die Fähig­keit des Körpers, kühle Tempe­ra­tu­ren noch als angenehm wahrzu­neh­men. Vom Anfut­tern einer schüt­zen­den Speck­schicht rät Korff hinge­gen ab: Weißes Körper­fett sei etwas anderes als das tatsäch­lich schüt­zen­de Unter­haut­fett. «Natür­lich hat auch weißes Körper­fett eine isolie­ren­de Wirkung, aber eben nur da, wo es sich befindet.»

Daneben gibt es indes auch braunes Fett, von dem lange Zeit angenom­men wurde, dass nur Säuglin­ge darüber verfü­gen. Statt­des­sen haben auch Erwach­se­ne diese Art von Fettge­we­be, das wie eine körper­ei­ge­ne Heizung wirkt — wenn auch meist nur noch in gerin­ger Menge. Babys, die noch zu wenig Muskeln haben, um ausrei­chend Wärme zu erzeu­gen, und noch dazu viel kälte­emp­find­li­cher sind, brauchen braunes Fett, um ihre Kerntem­pe­ra­tur zu erhalten.

Unter­su­chun­gen zeigen, dass sich durch Kälte­rei­ze der Anteil des braunen, wärmen­den Fetts bei Erwach­se­nen erhöhen lässt. Die Forschung dazu sei aller­dings noch nicht ausge­reift, erklärt Korff. Klar sei, dass schon kleine Änderun­gen im Verhal­ten etwas dafür bewir­ken können, weniger kälte­emp­find­lich zu sein: «Es kann schon helfen, mit dem Auto nicht ganz zum Büro zu fahren, sondern den letzten Kilome­ter zu laufen oder gleich das Fahrrad zu nehmen.» Wer sich mehr fordern wolle, könne sich schritt­wei­se über länge­re Zeit an Wechsel­du­schen gewöh­nen, sagt der Physio­lo­ge. Diese härten einer nieder­län­di­schen Studie zufol­ge nicht nur ab, sondern schei­nen sich auch positiv auf das Immun­sys­tem auszuwirken.

Frauen neigen häufig eher zum Frieren

Doch alle Anpas­sung hat Grenzen — eben auch, weil vieles beim Kälte­emp­fin­den von nicht verän­der­ba­ren Fakto­ren abhängt. 37 Grad: Das ist grob die Kerntem­pe­ra­tur, die unser Körper um jeden Preis aufrecht­erhal­ten will. Rezep­to­ren auf unserer Haut messen ständig, ob die Tempe­ra­tur unserer Umgebung davon abweicht. Ist es kalt, machen wir uns unbewusst kleiner, um unsere Oberflä­che zu verrin­gern und so weniger Wärme abzugeben.

Bei anhal­ten­der Kälte springt unser vegeta­ti­ves Nerven­sys­tem — genau­er: der Sympa­thi­kus — an. Er beginnt, die Blutge­fä­ße in der Periphe­rie zu veren­gen, also etwa in den Händen oder Füßen. Ein Vorgang, der Zentra­li­sa­ti­on genannt wird. In dessen Verlauf wird das Blut von außen nach innen gelei­tet. Fangen wir an zu zittern, ist das ein Versuch des Körpers, Wärme zu produzieren.

Diese Reaktio­nen auf Kälte sind bei den meisten Menschen gleich — nicht aber der Punkt, an dem sie einset­zen. «Bei der Kälte­emp­find­lich­keit gibt es indivi­du­ell sehr große Unter­schie­de», sagt Ralf Brandes von der Goethe-Univer­si­tät in Frank­furt. Diffe­ren­zen gebe es zudem auch zwischen Körper­re­gio­nen: «Wer ins kalte Wasser geht, merkt, dass die Beine etwa weniger kälte­emp­find­lich sind als der Bauch», sagt Brandes, der auch General­se­kre­tär der Deutschen Physio­lo­gi­schen Gesell­schaft ist.

Frauen neigen häufig eher zum Frieren. «Männer haben hinge­gen meist einen höheren Anteil an Muskel­mas­se, eine dicke­re Haut und ein besse­res Oberflä­chen-Volumen-Verhält­nis», erklärt Thomas Korff von der Univer­si­tät Heidel­berg. Ebenso spiele das Alter eine Rolle. «In der Regel können junge Erwach­se­ne am besten mit niedri­gen Tempe­ra­tu­ren umgehen, da sie einen höheren Grund­um­satz haben.»

Ältere Menschen haben niedri­ge­ren Grundumsatz

Der Grund­um­satz beschreibt, wie viel Energie ein Mensch grund­sätz­lich über den Tag produ­ziert — ein Prozess, der bei älteren Menschen eher vermin­dert sei, da sie im Durch­schnitt weniger Muskel­mas­se hätten, erklärt der Physio­lo­ge. «Ein höherer Muskel­an­teil sorgt dafür, dass mehr Wärme im Körper produ­ziert wird.»

Ein anderer Faktor könnten bestimm­te Gene sein. So stell­te ein Forschungs­team unter Leitung des schwe­di­schen Karolins­ka Insti­tu­tet fest, dass jedem fünften Menschen weltweit das Prote­in α‑Actinin‑3 in den Muskel­fa­sern fehlt. Ein solcher Mangel verbes­sert die Kälte­to­le­ranz. Wie die Wissen­schaft­ler vermu­ten, bedeu­te­te die Genmu­ta­ti­on wahrschein­lich einen evolu­tio­nä­ren Vorteil, als die Menschen vor mehr als 50.000 Jahren von Afrika nach Europa migrierten.

Bei aller Adapti­ons­fä­hig­keit bleibe das Tempe­ra­tur­emp­fin­den somit höchst indivi­du­ell, unter­streicht Korff — und verweist in diesem Zusam­men­hang auf die neue Verord­nung zum Energie­spa­ren, in deren Zuge seit 1. Oktober viele Büros nur noch auf 19 Grad geheizt werden dürfen: «Es gibt Menschen, die bei solchen Tempe­ra­tu­ren wegen der Zentra­li­sa­ti­on steife Finger bekom­men und schlech­ter tippen können, während bei anderen die Aufmerk­sam­keit leidet. All das geht zu Lasten der Leistungs­fä­hig­keit.» Pauscha­le Verord­nun­gen wie diese nähmen keine Rücksicht auf die indivi­du­el­le Wärme- und Kälte­emp­find­lich­keit, kriti­siert Korff. «Aus physio­lo­gi­scher Sicht sind sie daher Unsinn.»

Von Alice Lanzke, dpa