BERLIN (dpa) — Die Infla­ti­on hat Gas, Benzin, Lebens­mit­tel und andere Waren erfasst. Der Kanzler spricht von «sozia­lem Spreng­stoff» und will gegen­steu­ern. Konfron­tiert wird er mit zahlrei­chen Forderungen.

Im Bundes­kanz­ler­amt in Berlin hat die sogenann­te konzer­tier­te Aktion gegen die Infla­ti­on in Deutsch­land begon­nen. Bei Kanzler Olaf Scholz (SPD) kamen Spitzen­ver­tre­ter von Arbeit­ge­bern und Gewerk­schaf­ten zusammen.

Auch Ökono­men und Bundes­bank waren einge­la­den. Unter anderem wollten auch Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne), Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner (FDP) und Arbeits­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) teilnehmen.

Scholz hatte das Gesprächs­for­mat initi­iert. Das Ziel sind gemein­sa­me Maßnah­men, um den Preis­stei­ge­run­gen in Deutsch­land etwas entge­gen­zu­set­zen. Ergeb­nis­se waren zum Auftakt noch nicht vorge­se­hen. Geplant ist vielmehr ein länge­rer Prozess mit mehre­ren Treffen. Ergeb­nis­se solle es im Herbst geben, hatte ein Regie­rungs­spre­cher vor dem Treffen mitgeteilt.

Scholz macht sich große Sorgen über die steigen­den Energie­prei­se, wie er in einem ARD-Inter­view sagte. «Wenn plötz­lich die Heizrech­nung um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewäl­ti­gen können. Das ist sozia­ler Spreng­stoff.» Der Kanzler strebt einen länger­fris­ti­gen Prozess an.

Das drängends­te Problem ist derzeit der Gaspreis

Das drängends­te Problem ist derzeit der Gaspreis. Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) warnte vor einer Preis­explo­si­on bei Stadt­wer­ken, falls Russland den Gashahn zudreht und große Versor­ger weiter in Not geraten. Eine Ketten­re­ak­ti­on mit weitrei­chen­den negati­ven Folgen erscheint möglich.

Die größten Heraus­for­de­run­gen bei den Preisen insge­samt aber — so sagte es Scholz — folge erst im nächs­ten Jahr. «Für dieses Jahr sagen fast alle, die nachge­rech­net haben, dass wir bei den unteren und mittle­ren Einkom­men ungefähr 90 Prozent der Preis­stei­ge­run­gen durch die vielen Maßnah­men, die wir ergrif­fen haben, aufge­fan­gen haben.»

Histo­ri­sches Vorbild

1967 gab es den ersten Abschwung im Wirtschafts­wun­der­land Deutsch­land. Der SPD-Wirtschafts­mi­nis­ter Karl Schil­ler wollte deshalb die Anti-Krisen­po­li­tik in einer Konzer­tier­ten Aktion mit Arbeit­ge­bern und Gewerk­schaf­ten abstimmen.

Der Staat wollte also mit eigenen Maßnah­men Preis­ent­wick­lung und Wirtschaft beein­flus­sen. Konsens mit den Sozial­part­nern sollte in der Sache helfen — und Demokra­tie und Gemein­sinn festi­gen. Das will auch Scholz — sein Motto: «Wir müssen uns unter­ha­ken und zusammenhalten.»

Forde­run­gen der Gewerkschaften

DGB-Chefin Yasmin Fahimi machte sich für eine Preis­ga­ran­tie für einen Grund­be­darf an Strom und Gas stark. Der «Bild am Sonntag» sagte sie, der Grund­be­darf solle für jeden Erwach­se­nen und jedes Kind im Vorhin­ein festge­legt werden. Ähnli­ches forder­te Links­frak­ti­ons­chef Dietmar Bartsch beim Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND).

Grund­sätz­lich wehren sich die Gewerk­schaf­ten gegen die Vorstel­lung, Preis­stei­ge­run­gen würden durch höhere Löhne angeheizt. So sagte Verdi-Chef Frank Werne­ke: «Dauer­haft steigen­de Preise müssen durch dauer­haft wirken­de Tarif­lohn­stei­ge­run­gen vollum­fäng­lich ausge­gli­chen werden.» Das gelte in der Folge auch für Renten­an­pas­sun­gen und den Mindest­lohn. Bei den Entlas­tun­gen müsse nachge­lie­fert werden.

Einwurf des Bundespräsidenten

Auch Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er warb für weite­re Entlas­tun­gen. «Das haben wir noch nicht erlebt, vierfach höhere Preise, nicht nur an den Tankstel­len, sondern auch vor allen Dingen für das Gas», sagte Stein­mei­er am Wochen­en­de im ZDF. Man werde Instru­men­te überle­gen müssen, wie man vor allem Gering­ver­die­nern das Leben erleichtere.

Der Kanzler zeigt sich zurück­hal­tend. Scholz wies auf die bishe­ri­gen Entlas­tungs­maß­nah­men in Höhe von 30 Milli­ar­den Euro hin. «Gerade in diesem Augen­blick werden alle diese Maßnah­men ausge­rollt», sagte er. «Das wird jetzt nicht gehen, indem man ein 30-Milli­ar­den-Euro-Paket beschließt (…) und dann disku­tie­ren wir schon wieder die nächsten.»

Umstrit­te­ne Einmalzahlung

Wenig Begeis­te­rung hatte es bei den Gewerk­schaf­ten ausge­löst, als berich­tet wurde, Scholz wolle die Beschäf­tig­ten mit einer Einmal­zah­lung entlas­ten — zu zahlen durch die Unter­neh­men, flankiert durch den Staat, der auf Steuern und Abgaben auf die Geldsprit­ze verzich­ten würde, und ein Stück weit ausge­gli­chen durch gewerk­schaft­li­che Lohnzu­rück­hal­tung in Tarifverhandlungen.

Scholz wies entspre­chen­de Berich­te nun aber als «eine freie Erfin­dung» zurück. «Wir haben uns natür­lich Gedan­ken gemacht, wie wir Aktivi­tä­ten von Gewerk­schaf­ten unter­stüt­zen können, gerade wenn die Preise im nächs­ten Jahr steigen», sagte er. «Aber niemand schlägt vor, dass deshalb die eigent­li­chen Lohner­hö­hun­gen ausblei­ben sollen.»

Grüne für Umverteilung

Grund­si­che­rungs­be­zie­hen­de und generell kleine und mittle­re Einkom­men müssten entlas­tet werden — so fordern es die Grünen. Ihr stell­ver­tre­ten­der Frakti­ons­vor­sit­zen­der Andre­as Audretsch hat dafür einen Beitrag durch die beson­ders Wohlha­ben­den ins Spiel gebracht.

«Alle müssen sich nun die Frage stellen, wie sie einen Beitrag leisten können», sagte Audretsch. «Das gilt vor allem für die, die sehr viel haben, für die Reichsten.»

FDP gegen mehr Ausga­ben und höhere Steuern

Bundes­fi­nanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner lehnt mehr Schul­den und höhere Steuern aber ab. Dies «wäre toxisch und ein Verar­mungs­pro­gramm», sagte der FDP-Chef der Deutschen Presse-Agentur. Auch massi­ve Erhöhun­gen der Staats­aus­ga­ben kommen für ihn nicht in Frage.

«Ein zentra­ler Beitrag des Staates ist, durch solide Finan­zen zusätz­li­chen Preis­druck zu vermei­den.» Statt nur die Folgen der Infla­ti­on zu dämpfen, müsse der Staat die Ursachen bekämp­fen. «Zugleich sollten wir preis­trei­ben­de Subven­tio­nen reduzie­ren und alles tun für günsti­ge­re Energie.»

Unter­schied­li­che Akzen­te der Ökonomen

«Nur höhere Löhne und Sozial­leis­tun­gen können nachhal­tig den Schaden für Menschen mit mittle­ren und gerin­gen Einkom­men kompen­sie­ren», sagte der Präsi­dent des Deutschen Insti­tuts für Wirtschafts­for­schung (DIW), Marcel Fratz­scher, der dpa. Der Wirtschafts­wei­se Achim Truger sagte der Medien­grup­pe Bayern hinge­gen, es sollte keine übermä­ßi­gen Lohnstei­ge­run­gen geben. Eine Fortset­zung der Corona-beding­ten Lohnzu­rück­hal­tung sei aller­dings auch nicht sinnvoll.

«Grund­sätz­lich wäre es auch möglich, durch befris­te­te Energie­steu­er­sen­kun­gen oder Preis­de­ckel die Infla­ti­on zu dämpfen», so Truger. «Das wäre aber kontra­pro­duk­tiv, weil dadurch die aktuell so wichti­gen Einspar­an­rei­ze vermin­dert würden.»

Den Arbeit­ge­bern ist am meisten daran gelegen, dass die Unter­neh­men nicht in noch schwe­re­res Fahrwas­ser geraten — auch wenn sie unter Liefer­eng­päs­sen und Energie­prei­sen leiden.

Weite­re Vorschläge

Das von Arbeits­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) vorge­schla­ge­ne sozia­le Klima­geld dürfte bei der Konzer­tier­ten Aktion wieder auf den Tisch kommen. Einmal im Jahr soll dem Vorschlag zufol­ge so ein Klima­geld gezahlt werden — für Allein­ste­hen­de, die weniger als 4000 Euro brutto im Monat verdie­nen, und für Verhei­ra­te­te mit zusam­men weniger als 8000 Euro.

Der CDU-Sozial­flü­gel forder­te eine Senkung der Mehrwert­steu­er auf Grund­nah­rungs­mit­tel. Die neuen Linke-Vorsit­zen­den Janine Wissler und Martin Schir­de­wan verlang­ten in der «Süddeut­schen Zeitung» einen Preis­de­ckel für Grundnahrungsmittel.

Von Basil Wegener, dpa