LEUTKIRCH — Inter­view mit Maria Söllner, Integra­ti­ons­be­auf­trag­te der Stadt Leutkirch und Petra Lutz vom Verein „Frauen und Kinder in Not“, Beratungs­stel­le Wangen, zum Weltfrau­en­tag am 8. März.

Wie wirkt sich aus Ihrer Sicht die Corona-Pande­mie auf Frauen­rech­te aus?

Söllner: Die Pande­mie hat uns immer noch voll im Griff. Die Grenzen zwischen Leben und Arbeit verschwim­men wieder mehr und das verän­der­te Leben kostet uns alle (noch mehr) Kraft. Der Lockdown zeigt bereits zum zweiten Mal, dass insbe­son­de­re die Frauen mit einer höheren Arbeits­be­las­tung zu kämpfen haben. Viele Frauen arbei­ten paral­lel, Kinder und/oder pflege­be­dürf­ti­ge Angehö­ri­ge werden versorgt, häusli­che Aufga­ben werden übernom­men und sie haben kaum Zeit für sich und ihre Selbst­für­sor­ge. Die Sozio­lo­gin Prof. Allmen­din­ger geht sogar so weit zu sagen: „Diese Pande­mie und die Situa­ti­on für arbei­ten­de Mütter wirft uns gleich­stel­lungs­po­li­tisch um Jahre zurück.“

Und welche Auswir­kun­gen erleben Sie vor Ort?

Söllner: Eine Leutkir­che­rin, Unter­neh­me­rin und Mutter, erzähl­te mir: „Im letzten Monat musste ich aufgrund von Corona mein Geschäft aufge­ben. Aktuell bin ich wieder Hausfrau und haupt­säch­lich für meine Kinder zustän­dig. Vor meiner Geschäfts­schlie­ßung laste­te die pande­mie­be­ding­te Mehrar­beit und Doppel­be­las­tung mehr auf meinen Schul­tern als auf denen meines Mannes.“

Wie ist der Weltfrau­en­tag entstanden?

Söllner: Ursprüng­lich wurde der Inter­na­tio­na­le Frauentag/Weltfrauentag von den Sozial­de­mo­kra­tin­nen Clara Zetkin und Käte Duncker 1911 ins Leben gerufen. Neben dem Frauen­wahl­recht forder­ten die Aktivis­tin­nen Anfang des 20. Jahrhun­derts besse­re Arbeits­be­din­gun­gen für erwerbs­tä­ti­ge Frauen. Auch wenn vieles in der Zwischen­zeit besser gewor­den ist, gibt es gerade bei der Bezah­lung immer noch gravie­ren­de Unter­schie­de zwischen Männern und Frauen.

Der Grund­ge­dan­ke des Weltfrau­en­ta­ges sollte auf die immer noch bestehen­den Ungleich­hei­ten zwischen den Geschlech­tern gerich­tet werden. Auf diese Ungleich­heit sollte aller­dings nicht mit Präsen­ten, die eine sexis­ti­sche Einstel­lung unter­stüt­zen – wie Rabatt­codes für Putzmit­tel, Küchen­ge­rä­te, Windeln oder auch der Klassi­ker das Vertei­len von Rosen – aufmerk­sam gemacht werden.

Bis heute engagie­ren sich Frauen vieler Länder am Inter­na­tio­na­len Frauen­tag gemein­sam für ihre Rechte: Chancen­gleich­heit im Erwerbs­le­ben, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Verbes­se­rung der Situa­ti­on von Migran­tin­nen, Kampf gegen Gewalt an Frauen und gegen Zwangs­pro­sti­tu­ti­on oder Frauenhandel.

Zum Weltfrau­en­tag werden gerne Rosen oder andere Blumen verschenkt. Was halten Sie davon?

Söllner: Die Rose fühlt sich für mich wie ein Tätscheln über den Kopf an. Es sollte aber eher der Fokus auf die weltwei­ten Missstän­de und Chancen­un­gleich­hei­ten von Frauen gerich­tet werden; denn Allein­er­zie­hen­de z. B. brauchen mehr Geld und Unter­stüt­zung und keine Rosen. Laut einer Bertels­mann-Studie hängt die Kinder­ar­mut in Deutsch­land ganz wesent­lich mit der Armut von Allein­er­zie­hen­den zusam­men. Auch was Online-Gewalt angeht sind weltweit Frauen und Mädchen 27-mal häufi­ger betrof­fen als Männer (wie aus einem Bericht der UN Broad­band Commis­si­on for Digital Develo­p­ment hervor­geht). Auch ist es mir wichtig darauf hinzu­wei­sen, dass die schäd­li­chen Auswir­kun­gen von Chancen­un­gleich­heit für viele Frauen aufgrund ihrer ethni­schen Zugehö­rig­keit, ihres Alters, einer Behin­de­rung, ihrer sozia­len Herkunft, Religi­on oder anderer Fakto­ren meist noch verstärkt werden.

Lutz: Ich sehe den Inter­na­tio­na­len Frauen­tag als wichti­gen Tag an, um auch auf die Gewalt an Frauen hinzu­wei­sen: Gewalt darf keine gesell­schaft­li­che Norma­li­tät sein. Es ist wichtig, dass sich Frauen auch stell­ver­tre­tend für Gewalt­be­trof­fe­ne und für Gleich­be­rech­ti­gung und Gewalt­frei­heit stark machen. Das hat Einfluss auf die Selbst­wahr­neh­mung der Betrof­fe­nen und auf das Umfeld und kann Verän­de­run­gen ansto­ßen. Frei leben ohne Gewalt ist ein Menschenrecht.
Natür­lich können Blumen aber ein Zeichen von Wertschät­zung und Anerken­nung sein, wenn sowohl Sende­rIn als auch Empfän­ge­rIn dies so sehen.

Was haben die Bedin­gun­gen der Beschäf­tig­ten in der Blumen- und Pflan­zen­in­dus­trie mit Frauen­rech­ten, Gleich­be­rech­ti­gung und dem Weltfrau­en­tag zu tun? 

Söllner:
Die Hälfte der Beschäf­tig­ten sind Frauen und als Pflücker­in­nen auf den Planta­gen tätig. Die Bedin­gun­gen auf konven­tio­nel­len Blumen­far­men beson­ders für Frauen sind widrig: Etwa 80 %, der in Deutsch­land verkauf­ten Schnitt­blu­men kommen aus Anbau­län­dern des globa­len Südens, vor allem aus Ostafri­ka. Für viele Frauen gehören schlech­te Bezah­lung, sexuel­le Beläs­ti­gung und Diskri­mi­nie­rung dort zum Alltag.


Wie könnte diese Situa­ti­on verbes­sert werden?

Söllner: Mit dem Verkauf von „Fairtrade-Blumen“ werden Beschäf­tig­te mit den Fairtrade-Standards geschützt. Sie erhal­ten feste Arbeits­ver­trä­ge, eine einheit­li­che Bezah­lung von Frauen und Männern bei gleicher Tätig­keit und sozia­le Regelun­gen wie Mutter­schutz werden garantiert. 

Die Große Kreis­stadt Leutkirch im Allgäu strebt dieses Jahr den Titel „Fairtrade-Town“ an. Das Ziel ist es, den fairen Handel in der Region weiter auszu­bau­en und sich mit engagier­ten Perso­nen, Verei­nen und Unter­neh­men zu diesem Thema besser zu vernetz­ten. Mit dem Verschen­ken von Fairtrade-Blumen verbes­sert sich ein kleines bisschen das Leben für einige Frauen im Globa­len Süden, jedoch braucht es für wirkli­che Chancen­gleich­heit natür­lich ganz andere Wege.

„Wenn ich mir für den Weltfrau­en­tag neben Blumen etwas wünschen könnte, würde ich mir mehr Gleich­be­rech­ti­gung und mehr Unter­stüt­zung für Frauen wünschen. Und aktuell wünsche ich uns allen, dass wir gesund bleiben,“ sagte mir kürzlich eine Leutkircherin.

Wer sich mit der Thema­tik weiter befas­sen möchte, siehe folgen­de Veranstaltungshinweise.

Online Training: Für mehr Zivil­cou­ra­ge im Netz.
Am 08.03.2021 um 17:00 Uhr
„Hate Speech/Hassrede gegen Frauen* im Netz betrifft uns alle! In diesem LOVE-Storm Training lernt ihr, wie wir gemein­sam Hasskom­men­ta­ren effek­tiv entge­gen­tre­ten können.
Schwer­punkt des Trainings ist ein Rollen­spiel. Dort lernt ihr verschie­de­ne Strate­gien kennen, um sexis­ti­scher und antife­mi­nis­ti­scher Hetze im Netz zu begegnen.“
Für das kosten­lo­se Training sind keine Vorkennt­nis­se erfor­der­lich. Ab 16 Jahren.
Anmel­dung unter: https://app.love-storm.de/trainings

Inter­na­tio­na­ler Frauen­tag: Ein Schritt vorwärts, zwei Schrit­te zurück – Corona: Krise der Frauen?
08.03.2021
Uhrzeit: 19 bis ca.20:30Uhr
Referen­tin: Prof. Dr. Marle­ne Haupt, Profes­so­rin für Sozial­wirt­schaft und Sozial­po­li­tik und Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­te an der Hochschu­le Ravensburg-Weingarten
Anmel­dung erforderlich
Kosten­frei­er Online Vortrag:
https://www.ravensburg.de/rv/veranstaltungen/?id=15928

Podcasts zu „Weiblich­kei­ten“ mit Katha­ri­na Debus.
Der Podcast ist zu finden unter: https://www.dissens.de/podcast
Podcast zu Schule und Geschlecht:
„Jungs sind klug und Mädchen fleißig?“ Schule-Leitung-Geschlecht
Der Podcast ist zu finden unter:
https://mosaik-deutschland.de/2020/11/25/heidelberger-antidiskriminierungsge-spraeche-podcastreihe-teil-i-ii/