BERLIN/NEW YORK (dpa) — Der Tod einer Radfah­re­rin in Berlin entfacht eine Debat­te um die Protes­te von Klima­ak­ti­vis­ten. Sogar ein Sprecher der Verein­ten Natio­nen meldet sich zu Wort.

Ungeach­tet des Todes einer Radfah­re­rin nach einem Lastwa­gen-Unfall in Berlin haben Klima­de­mons­tran­ten ihren Protest in der Haupt­stadt mit Straßen­blo­cka­den fortge­setzt. Die Gruppe «Letzte Genera­ti­on» veröf­fent­lich­te gestern bei Twitter Fotos zu den Aktio­nen und schrieb: «Wir setzen die Blocka­den in Berlin fort.» Zugleich bat sie: «Habt Coura­ge. Unter­stützt uns!».

Die Gruppe steht nach dem Unfall, in dessen Folge die Frau starb, stark in der Kritik. Zahlrei­che Politi­ker fordern ein härte­res Vorge­hen, in sozia­len Netzwer­ken werden die Aktivis­ten angefeindet.

Hinter­grund ist, dass ein Spezi­al­fahr­zeug, das am vergan­ge­nen Montag helfen sollte, die Verletz­te unter dem Lkw zu befrei­en, nach Angaben der Feuer­wehr in einem Stau stand. Dieser soll durch eine Aktion der «Letzten Genera­ti­on» ausge­löst worden sein.

SZ: Notärz­tin schätzt Lage ein

Die «Süddeut­sche Zeitung» berich­te­te jedoch unter Berufung auf einen Einsatz-Vermerk, dass es nach Einschät­zung der behan­deln­den Notärz­tin keine Auswir­kun­gen auf die Rettung der verletz­ten Frau hatte, dass der sogenann­te Rüstwa­gen nicht zur Verfü­gung stand. Die Notärz­tin habe unabhän­gig davon, dass das Fahrzeug im Stau stand, entschie­den, auf das Anheben des Lastwa­gens zu verzichten.

Der drei Seiten lange Vermerk sei unter­zeich­net vom ärztli­chen Leiter des Rettungs­diens­tes und liegt nach dem Bericht der Senats­in­nen­ver­wal­tung seit Anfang der Woche vor. Nach Angaben des Sprechers der Innen­ver­wal­tung, Thilo Cablitz, liegt der Behör­de kein umfas­sen­der Bericht vor, sondern ledig­lich eine Erstin­for­ma­ti­on zu dem Einsatz. Diese beinhal­te erste Angaben zur Verzö­ge­rung des Rüstwa­gens, erklär­te Cablitz. Die vorlie­gen­de Erstin­for­ma­ti­on werde der Staats­an­wal­schaft zur Verfü­gung gestellt.

Zugleich verwies der Sprecher auf die laufen­den Ermitt­lun­gen. «Die abschlie­ßen­de Klärung des gesam­ten Sachver­halts auf Basis des beauf­trag­ten Gutach­tens und der weite­ren objek­ti­ven Bewei­se obliegt der Justiz», so Cablitz. Innen­se­na­to­rin Iris Spran­ger (SPD) hatte bereits am Unfall­tag erklärt: «Ob die Blockierer:innen recht­lich eine Schuld daran tragen, bleibt durch die Justiz zu klären.» Anders verhal­te es sich bei der morali­schen Frage.

Aktivis­ten kündig­ten weite­re Aktio­nen an

Die Gruppe «Letzte Genera­ti­on» sprach den Angehö­ri­gen der Radfah­re­rin ihr Beileid aus. «Wir sind geschockt», sagte Spreche­rin Carla Hinrichs. Zugleich kündig­ten die Aktivis­ten weite­re Aktio­nen an. «Die Bundes­re­gie­rung soll unseren Protest beenden – jetzt, indem sie die Krise in den Griff bekommt. Bis dahin geht der Wider­stand weiter», hieß es in einer Mittei­lung. Zur Kritik an ihrem Protest hieß es von der «Letzten Genera­ti­on»: «Was immer uns als Menschen an öffent­li­cher Hetze entge­gen­schla­gen mag, wird uns nicht davon abbrin­gen, das einzig moralisch Richti­ge zu tun: In einer alles entschei­den­den Krise nicht zu verhar­ren, sondern loszugehen.»

Der stell­ver­tre­ten­de Regie­rungs­spre­cher Wolfgang Büchner sagte, die Grenze des legiti­men Protests sei dann erreicht, wenn die Gefähr­dung von Menschen­le­ben in Kauf genom­men werde. Grund­sätz­lich unter­stüt­ze Kanzler Olaf Scholz (SPD) jedes demokra­ti­sche Engage­ment. «Die Form des Protests, die wir jetzt sehen, gerade in dieser Woche, ist aber nicht zielfüh­rend oder konstruktiv.»

«Wenn Protest­ak­tio­nen dazu führen, dass die Sicher­heit oder das Leben von Menschen gefähr­det werden, ist das schlicht­weg nicht akzep­ta­bel», sagte Grünen-Chefin Ricar­da Lang. Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck sagte der Funke Medien­grup­pe: «Wer mit seinem Protest Gesund­heit und Leben von anderen riskiert, büßt damit jede Legiti­mi­tät ein und schadet auch der Klima­be­we­gung selbst.» Protest­for­men, die Menschen gefähr­den, seien falsch.

Giffey bekun­det Trauer

Polizei und Staats­an­walt­schaft teilten gestern mit, dass die bei dem Unfall lebens­ge­fähr­lich verletz­te Radfah­re­rin Donners­tag­abend gestor­ben war. Zuvor war die 44-Jähri­ge laut Polizei für hirntot erklärt worden. Berlins Regie­ren­de Bürger­meis­te­rin Franzis­ka Giffey bekun­de­te ihre Trauer. Zugleich erklär­te die SPD-Politi­ke­rin bei Twitter. «Es bleibt die Aufga­be der Polizei und der Gerich­te, die Umstän­de ihres Todes rasch und sorgfäl­tig aufzuklären.»

Die Polizei ermit­telt gegen zwei 63 und 59 Jahre alte Aktivis­ten wegen unter­las­se­ner Hilfe­leis­tung bezie­hungs­wei­se der Behin­de­rung hilfe­leis­ten­der Perso­nen. Nach dem Tod der Frau werde geprüft, ob auch der Vorwurf einer fahrläs­si­gen Tötung in Betracht komme, sagte eine Spreche­rin der Staats­an­walt­schaft. Es werde eine Obduk­ti­on der Leiche der 44-Jähri­gen angeord­net, um zu klären, was konkret zu deren Tod geführt habe. Ein wesent­li­cher Punkt sei dabei die Frage der Kausa­li­tät und wem was zuzurech­nen sei, erklär­te die Sprecherin.

Die Berli­ner Feuer­wehr geht davon aus, dass sich die Rettung der Frau um mehre­re Minuten verzö­gert hat, weil das Spezi­al­fahr­zeug im Stau stand. Aller­dings räumte ein Sprecher ein, auch die Bildung einer Rettungs­gas­se sei proble­ma­tisch gewesen. Da die Technik nicht zur Verfü­gung stand, mussten die Retter am Unfall­ort laut Feuer­wehr impro­vi­sie­ren. Dadurch sei es zu Zeitver­zö­ge­run­gen gekom­men. Angaben dazu, ob dies Auswir­kun­gen auf den Gesund­heits­zu­stand der Radfah­re­rin hatte, machte die Feuer­wehr nicht.

UN schal­ten sich ein

Ein UN-Sprecher mahnte derweil Verant­wor­tungs­be­wusst­sein bei Klima­pro­tes­ten an — aber zeigte auch Verständ­nis für die Demos. «Menschen müssen engagiert sein, aber natür­lich müssen sie in jeder Situa­ti­on verant­wor­tungs­be­wusst sein, um anderen keinen körper­li­chen Schaden zuzufü­gen», sagte UN-Sprecher Stepha­ne Dujar­ric gestern in New York. «Aber ich bezweif­le, dass es die Absicht jegli­cher Protes­te gewesen ist, die medizi­ni­sche Versor­gung zu verzögern.»

UN-General­se­kre­tär António Guter­res teile die Wut und Frustra­ti­on von Demons­tran­tin­nen und Demons­tran­ten über den Mangel an Fortschrit­ten im Kampf gegen die Erder­hit­zung — Protes­te seien wichtig. «Wir haben die Jugend­be­we­gun­gen vor ein paar Jahren gesehen. Und ich denke, ohne diese Bewegun­gen hätten wir nicht die Fortschrit­te erzielt, die wir erzielt haben», so Dujar­ric weiter.