MESEBERG (dpa) — Stimmung: bestens. Ergeb­nis­se: kaum. Fragen: viele. So lässt sich die Bilanz der Kabinetts­klau­sur zusam­men­fas­sen. Die Ampel hat sich wieder zusam­men­ge­rauft. Die eigent­li­che Nagel­pro­be kommt aber erst noch.

Wenn dieses Treffen der Bundes­re­gie­rung ein überge­ord­ne­tes Ziel hatte, dann war es dieses: Möglichst viel Harmo­nie demons­trie­ren. «Das wird eine Klausur­ta­gung, wo es gute Stimmung gibt», hatte Kanzler Olaf Scholz schon zu Beginn am Diens­tag als Devise ausgegeben.

Am Mittwoch­vor­mit­tag, Viertel nach 11, marschiert er beschwingt Seite an Seite mit Vizekanz­ler Robert Habeck (Grüne) und Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner (FDP) den langen Weg vom Meseber­ger Schloss­por­tal zur Torein­fahrt, um den dort warten­den Journa­lis­ten vor allem eins zu sagen: Das mit der Stimmung, das hat geklappt.

Für Scholz und die 16 Minis­te­rin­nen und Minis­ter der Ampel-Koali­ti­on waren die 25 gemein­sa­men Stunden in dem Barock­schloss aus dem 18. Jahrhun­dert vor der Toren Berlins so etwas wie ein dringend notwen­di­ger Kur-Aufent­halt nach stres­si­ger Zeit.

In den Tagen zuvor war die Koali­ti­ons­dis­zi­plin, die trotz Ukrai­ne-Krieg, Gas-Knapp­heit und Infla­ti­on lange gehal­ten hatte, ziemlich aus den Fugen geraten. Schöne Worte reich­ten nicht, es müsse Substanz her, ermahn­te die SPD Vizekanz­ler Habeck. Einer seiner grünen Partei­freun­de bemäkel­te im Gegen­zug die «schlech­te Perfor­mance des Bundeskanzlers».

Eigent­lich hatte sich diese Koali­ti­on ganz am Anfang vorge­nom­men, auch in der politi­schen Kultur einiges zu verän­dern: Keine Nacht­sit­zun­gen, keine Durch­ste­che­rei­en und vor allem keine öffent­li­chen Anfein­dun­gen. Und jetzt wieder das: Vielstim­mig­keit in der Debat­te um die Entlas­tungs­maß­nah­men, gegen­sei­ti­ge Schuld­zu­wei­sun­gen bei der Gasumlage.

Schöne Bilder, gute Laune

Da kam die Klausur in Meseberg gerade zur rechten Zeit. Schöne Gruppen­bil­der mit gut gelaun­ten Spitzen­po­li­ti­kern. Zeit für Grund­satz­de­bat­ten ohne Zeit- und Entschei­dungs­druck. Ein Grill­abend bis in die Nacht. Noch um ein Uhr sollen Kabinetts­mit­glie­der in Decken einge­hüllt im Schloss­gar­ten zusam­men­ge­ses­sen haben.

Also alles wieder in Ordnung? Man habe «gewis­ser­ma­ßen hier noch einmal die Gelegen­heit genutzt unter­zu­ha­ken», sagt Scholz. Alle drei Partner loben die konstruk­ti­ve Atmosphä­re. Doch so einfach ist es nicht. Die Stimmung blieb auch deswe­gen gut, weil die schwie­ri­gen Fragen nicht bis zu Ende ausdis­ku­tiert wurden.

Der eigent­li­che Stress­test steht der Koali­ti­on noch bevor. Am Wochen­en­de soll in einer Sitzung des Koali­ti­ons­aus­schus­ses über das dritte Entlas­tungs­pa­ket wegen der explo­die­ren­den Preise entschie­den werden. Die Gasum­la­ge muss so überar­bei­tet werden, dass sie recht­lich sattel­fest ist. Und dann ist da ja noch die Frage, ob es beim Atomaus­stieg zum Jahres­wech­sel bleibt.

Gasum­la­ge: Habeck hat den Streit entschärft

Die Gasum­la­ge war der Auslö­ser für die Gereizt­heit vor der Klausur. Dass auch profi­ta­ble Unter­neh­men diese von allen Gasnut­zern gestemm­ten Zusatz­zah­lun­gen zur Stützung von Gasim­por­teu­ren erhal­ten könnten, hatte für viel Unmut gesorgt. Nun hat Habeck den Streit zum Auftakt der Klausur etwas entschärft und Bedin­gun­gen für den Anspruch auf die Umlage formu­liert. Doch ob diese auch recht­lich umgesetzt werden können, ist noch nicht abschlie­ßend geklärt.

Und die Zeit drängt: Hundert­tau­sen­de Verbrau­cher werden bereits ab dem 1. Oktober zur Kasse gebeten. Lokale Versor­ger geben die Umlage von zunächst 2,4 Cent je Kilowatt­stun­de an sie weiter — es drohen je nach Verbrauch jährli­che Zusatz­kos­ten von mehre­ren Hundert Euro.

Atomkraft: Stress­test soll die Entschei­dung bringen

Klarheit darüber, ob die drei noch verblie­be­nen Atomkraft­wer­ke wie geplant zum Jahres­wech­sel abgeschal­tet werden, soll ein Stress­test zur Sicher­heit der deutschen Strom­ver­sor­gung bringen. Unions­ver­tre­ter fordern gemein­sam mit FDP-lern den Weiter­be­trieb der AKW, dabei verwei­sen sie etwa auf hohe Strom­prei­se und den zu erwar­ten­den Einsatz von Heizlüf­tern im Winter. Der Atomstrom könne den Verbrauch von knappem Gas kaum drücken, halten Kriti­ker dagegen, zumal reich­lich recht­li­che und sicher­heits­tech­ni­sche Fragen offen blieben.

Die zustän­di­gen grünen Fachmi­nis­ter Steffi Lemke (Umwelt) und Habeck (Wirtschaft) halten die Karten unter Verweis auf die noch ausste­hen­den Stress­test-Ergeb­nis­se an der Brust. Habeck macht aber klar, dass er wie viele Grüne einen Ausstieg aus dem Atomaus­stieg ablehnt. Vorstell­bar wäre indes auch ein Streck­be­trieb, also die etwas länge­re Nutzung vorhan­de­ner Brenn­stä­be, wodurch zumin­dest kein neuer Atommüll entstünde.

Drittes Entlas­tungs­pa­ket: Entschei­dung am Wochenende?

Das ist wohl das dicks­te Brett, das die Koali­ti­on zu bohren hat. Wahrschein­lich am Wochen­en­de fällt die Entschei­dung, wie die Bürger angesichts der explo­die­ren­den Preise weiter entlas­tet werden. Aus der Koali­ti­on werden seit Wochen Vorschlä­ge zur Schau gestellt — in der Regel gern zuguns­ten des eigenen Wählerklientels.

Kommt der von Lindner und seiner FDP angestreb­te Infla­ti­ons­aus­gleich bei den Steuern? Kommen Einmal­zah­lun­gen für Rentner und Studie­ren­de, wie sich etwa die SPD das vorstellt? Und was ist mit einem 49-Euro-Ticket für den Nahver­kehr, das unter anderem die Grünen vorschlagen?

Zumin­dest ist man sich inzwi­schen einig, dass es ein weite­res Entlas­tungs­pa­ket geben soll. Das klang vor wenigen Wochen noch ganz anders: Da beton­te Lindner, in diesem Jahr gebe es für so etwas kein Geld mehr. Inzwi­schen aber hat er Spiel­räu­me im einstel­li­gen Milli­ar­den­be­reich entdeckt — unter anderem durch höhere Steuer­ein­nah­men, wie er sagt.

Die Summe zeigt: Das neue Paket kann nicht ganz so umfang­reich werden wie die bishe­ri­gen mit 9‑Euro-Ticket, Tankra­batt, 300 Euro Energie­preis­pau­scha­le und mehre­ren Steuer­ver­güns­ti­gun­gen. Scholz kündig­te «ein sehr präzi­ses, ein sehr maßge­schnei­der­tes Entlas­tungs­pa­ket» an. Übersetzt könnte das heißen: Hilfen für einzel­ne, beson­ders bedürf­ti­ge Gruppen statt eines Rundumschlags.

Hinter den Kulis­sen scheint man sich über die meisten Maßnah­men schon so gut wie einig zu sein. Dass Rentner und Studie­ren­de etwas abbekom­men, sagen inzwi­schen alle drei, auch die FDP spricht von Einmal­zah­lun­gen für beson­ders Bedürf­ti­ge. Und der Kanzler hat seine diebi­sche Freude ob des öffent­li­chen Rätsel­ra­tens: Dass bisher niemand etwas von den Gesprä­chen mitbe­kom­men habe, das mache ihn «profes­sio­nell stolz», sagte er in Meseberg.

Von Micha­el Fischer, There­sa Münch und Marti­na Herzog, dpa