BERLIN/FRESENHAGEN (dpa) — Rio Reiser verton­te «Macht kaputt, was euch kaputt macht» und sang «König von Deutsch­land». 25 Jahre nach seinem frühen Tod wird der Ton-Steine-Scher­ben-Sänger vermisst und offizi­ell geehrt.

«Die Socken und die Autos dürften nicht mehr stinken, Ich würd’ jeden Morgen erst mal ein Glas Scham­pus trinken» — So lauten Textzei­len in Rio Reisers Lied «König von Deutsch­land», dessen Refrain sich einbrennt.

«Das alles, und noch viel mehr — Würd’ ich machen, wenn ich König von Deutsch­land wär’.»

25 Jahre nach dem Tod von Reiser (20.8.), der heute 71 Jahre alt wäre, wird seine letzte Ruhestät­te in Berlin-Schöne­berg jetzt ein Ehren­grab. Die Umbenen­nung eines Platzes mitten in Berlin-Kreuz­berg in Rio-Reiser-Platz haben Anwoh­ner-Wider­sprü­che verscho­ben. Nach Angaben des Bezirks­am­tes könnte Anfang 2022 aus dem Heinrich­platz der Rio-Reiser-Platz werden. Die Schil­der seien jeden­falls längst fertig.

Eine Krone für den «König

Rio Reisers Grab mit einem Stein in Form eines Herzens und mit einer Krone für den «König von Deutsch­land» befin­det sich auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin. Auf ihm sind auch Promi­nen­te wie die Brüder Grimm, der Schla­ger­sän­ger Chris Roberts und die Musike­rin Françoi­se Cactus von Stereo Total beerdigt.

Mit der Auszeich­nung als Ehren­grab ist zum Beispiel verbun­den, dass das zustän­di­ge Bezirks­amt die Kosten für die Grabpfle­ge, Instand­hal­tung sowie Verlän­ge­rung des Nutzungs­rechts tragen kann.

Seine Musik: «zeitlos und wertvoll»

Rio Reisers Tod mit nur 46 Jahren riss vor einem Viertel­jahr­hun­dert ein Loch in die deutsche Musik­land­schaft, das kaum jemand zu schlie­ßen im Stande war. Der Mann mit der rauchi­gen Stimme liefer­te als Kopf der Band Ton Steine Scher­ben die Parolen für die linke Szene («Keine Macht für niemand», «Macht kaputt, was euch kaputt macht»), begeis­ter­te zudem als Solo-Künst­ler die breite Masse und prägte viele andere Künst­le­rin­nen und Künstler.

Zahlrei­che Musiker und Bands wie Jan Delay, Echt, Fettes Brot, Herbert Gröne­mey­er, Nena, Annett Louisan fühlten sich durch ihn inspi­riert und cover­ten seine Songs («Junimond», «Halt dich an deiner Liebe fest», «Alles Lüge»). «Seine Musik ist zeitlos und wertvoll», sagte einmal die frühe­re Scher­ben-Manage­rin und heuti­ge Bundes­tags­vi­ze­prä­si­den­tin, die Grünen-Politi­ke­rin Claudia Roth.

Ralph Möbius, so der gebür­ti­ge Name von Rio Reiser, kam 1950 in Berlin auf die Welt. 20 Jahre später gründe­te er mit drei Musikern Ton Steine Scher­ben, in einem Kreuz­ber­ger Hinter­hof nahmen sie erste Songs auf. Mit dem «Rauch-Haus-Song» entstand eine Linken-Hymne. Nach den Konzer­ten der Band wurden öfter Häuser besetzt, Politik und Polizei waren in Habacht­stel­lung, wenn die «Scher­ben» kamen.

Mitte der 70er zogen sich die Musiker auf einen Hof in Schles­wig-Holstein zurück. «Das Haus war auch für alle eine Flucht­mög­lich­keit, eine Oase, ein Ausgang aus dem Wahnsinn des straßen­kämp­fen­den, drogen­ge­schwän­ger­ten, von Polizei repres­sier­ten Berlin», erinner­te sich einst Claudia Roth.

Solist nach Ende von Ton Steine Scherben

Obwohl Kenner die Scher­ben-Platten zu den einfluss­reichs­ten Alben der 70er Jahre zählen, geriet die Gruppe in Geldpro­ble­me. 1985 zerbrach die Band. Annet­te Humpe (Ideal, Ich + Ich) produ­zier­te Rio Reisers erstes Soloal­bum «Rio I.». Statt linker Buchlä­den sollte nun eine große Platten­fir­ma seine Titel vertrei­ben. Die Szene schrie auf, aber Reisers Kompo­si­tio­nen wie eben «König von Deutsch­land» wurden Hits.

Politisch engagier­te sich der offen schwu­le Reiser erst für die Grünen, später wechsel­te er zur PDS (heute: Die Linke).

Auch als Schau­spie­ler machte er sich einen Namen. 1977 debütier­te Reiser in dem Film «Johnny West» und bekam den Bundes­film­preis in Gold. Ein Jahr vor seinem Tod spiel­te er die Haupt­rol­le in einem Münch­ner «Tatort». In dem Krimi «Im Herzen Eiszeit» spiel­te er einen Ex-Knacki. Es ging um einen Mord unter den Tatver­däch­ti­gen eines alten Überfalls auf ein Geschäft von Rudolph Mosham­mer. Der 2005 ermor­de­te Modeschöp­fer hatte einen Gastauf­tritt in dem ARD-Krimi.

Am 20. August 1996 endete das wilde Leben von Rio Reiser auf dem Bauern­hof im nordfrie­si­schen Fresen­ha­gen. Mit nur 46 Jahren starb er an Herz-Kreis­lauf-Versa­gen. Zum Todes­tag pilger­ten alljähr­lich Fans auf das abgele­ge­ne Anwesen, auf dem der Musiker unter einem Apfel­baum begra­ben lag. Anfang 2011 wurde der Hof verkauft und Reiser in seine Geburts­stadt Berlin umgebettet.

Von Gregor Tholl, dpa