BERLIN (dpa) — Die ungewöhn­li­chen Fälle von Affen­po­cken in westli­chen Ländern sorgen bei vielen Menschen für ein Déjà-vu: Braucht es wie bei Corona mehr Impfschutz in der Bevölkerung?

Bis heute zeugt die Narbe am Oberarm vieler Erwach­se­ner davon: 1967 starte­te die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) eine weltwei­te Impfkam­pa­gne gegen Pocken, im Zuge derer Milli­ar­den geimpft wurden.

Es war der Anfang vom Ende der auch Blattern genann­ten Krank­heit. Sie hatte zuvor jahrtau­sen­de­lang gewütet. Selbst bei ägypti­schen Mumien fanden sich pocken­ähn­li­che Hautaus­schlä­ge. Drei von zehn Infizier­ten starben nach Angaben der US-Seuchen­schutz­be­hör­de CDC. Überle­ben­de blieben oft durch Narben gezeich­net. Bereits 1980 erklär­te die WHO die Ausrot­tung der Pocken, der letzte natür­li­che Fall wurde drei Jahre zuvor erfasst.

Seit dem Ende von Pocken­imp­fun­gen — die Pflicht zur Erstimp­fung wurde etwa in der BRD 1976 und in der DDR 1982 aufge­ho­ben — sind aller­dings immer weniger Menschen gegen das Vario­la­vi­rus immun, das die Pocken hervor­ruft. Mit der derzeit ungewöhn­li­chen Häufung von Affen­po­cken­fäl­len in westli­chen Ländern durch einen verwand­ten Erreger stellt sich nach der Erfah­rung mit Covid-19 die Frage: Braucht es nun erneut eine breite Impfkam­pa­gne oder reicht das bei bestimm­ten Gruppen?

Impfung mit langer Geschichte

Spezi­ell gegen Affen­po­cken gibt es in Europa keine zugelas­se­nen Impfstof­fe. Aller­dings nehmen Fachleu­te an, dass herkömm­li­che Pocken­impf­stof­fe einen gewis­sen Schutz bieten. Diese haben eine sehr lange Geschich­te. Die erste gut beleg­te erfolg­rei­che Impfung gelang dem engli­schen Landarzt Edward Jenner 1796 gegen Pocken: Er verab­reich­te einem Jungen zunächst Kuhpo­cken­vi­ren, einen mit den Pocken verwand­ten Erreger, der weniger schwer krank macht. Einige Zeit später setzte Jenner das Kind mehrfach dem Pocken­vi­rus aus — und es ging gut, der Junge erkrank­te nicht daran. Chine­si­schen Quellen zufol­ge gibt es Formen und Versu­che der Pocken-Immuni­sie­rung aber schon viel länger, heißt es in einem Konfe­renz­be­richt zur Ausrot­tung der Pocken — seit mindes­tens 1000 Jahren.

Auch nach der Ausrot­tung rückte die Pocken­ge­fahr noch einmal ins Bewusst­sein: Durch den Anschlag auf das World Trade Center in den USA legten viele Länder aus Furcht vor Bioter­ro­ris­mus Vorrä­te mit Pocken­impf­stoff an. Vermeh­rungs­fä­hi­ge echte Menschen­po­cken­vi­ren lagern in den USA und in Russland, wie der Virolo­ge Norbert Nowot­ny vom Insti­tut für Virolo­gie der Veteri­när­me­di­zi­ni­schen Univer­si­tät Wien sagte. «Rückbli­ckend muss man aber festhal­ten, dass die Ängste vor Bioter­ro­ris­mus nach 2001 irratio­nal waren. Der Einsatz von Pocken als Waffe wäre schließ­lich überhaupt nicht kontrollierbar.»

Ein Viertel der Bevöl­ke­rung nicht impfbar

Die Bundes­re­gie­rung hat laut einem Bericht für den Gesund­heits­aus­schuss des Bundes­ta­ges etwa 100 Millio­nen Dosen Pocken­impf­stoff einge­la­gert. Dieses Vakzin sei wegen zu erwar­ten­der Neben­wir­kun­gen jedoch nicht zum Einsatz gegen Affen­po­cken geeig­net, sagte Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauterbach.

«Der ältere Pocken­impf­stoff hat viele Neben­wir­kun­gen, zudem enthält er vermeh­rungs­fä­hi­ge Viren, die sich im Körper von immun­ge­schwäch­ten Menschen ausbrei­ten könnten», sagte Stefan Kaufmann, emeri­tier­ter Direk­tor am Berli­ner Max-Planck-Insti­tut für Infek­ti­ons­bio­lo­gie. Nach den Worten des Wiener Facharz­tes für Impfen und Reise­me­di­zin Herwig Kolla­rit­sch wäre heutzu­ta­ge etwa ein Viertel der Bevöl­ke­rung wegen Gegen­an­zei­gen wie Immun­schwä­chen nicht mehr damit impfbar.

MVA-Impfung soll gut verträg­lich sein

Daneben gibt es noch einen neueren Pocken­impf­stoff, der auf einer Weiter­ent­wick­lung durch den Mikro­bio­lo­gen Anton Mayr in den 1960er Jahren in Bayern basiert: Dabei werde ein im Labor abgeschwäch­tes Impfvi­rus genutzt, um eine Immun­ant­wort gegen Pocken zu erzeu­gen, sagte Kolla­rit­sch. Fachleu­te sprechen kurz von MVA-Impfung (MVA: Modifi­zier­tes Vacci­nia­vi­rus Ankara).

«Diese Impfung wurde in den 1960ern eine Zeit lang verwen­det, aber nie in großem Stil. Sie ist besser verträg­lich, das Virus nicht mehr vermeh­rungs­fä­hig», sagte Kolla­rit­sch, der Mitglied des öster­rei­chi­schen Pendants zur Ständi­gen Impfkom­mis­si­on (Stiko) ist. Es bilde sich auch keine Impfnar­be. Er sieht bei dem Vakzin das Problem einer recht ungewis­sen Impfef­fek­ti­vi­tät in der Praxis angesichts der ausge­rot­te­ten Krank­heit. «Man kann aber mit an Sicher­heit grenzen­der Wahrschein­lich­keit von einem Schutz ausgehen.»

Das seit 2013 in der EU für Erwach­se­ne gegen Pocken zugelas­se­ne MVA-Vakzin heißt Imvanex und kommt von der deutsch-dänischen Firma Bavari­an Nordic. In den Verei­nig­ten Staaten ist es bereits gegen Affen­po­cken zugelas­sen. Die WHO wies kürzlich darauf hin, dass es nicht flächen­de­ckend verfüg­bar sei. Briti­sche Gesund­heits­be­hör­den haben jüngst nach Angaben der UK Health Securi­ty Agency mehr als 1000 Dosen davon an Kontakt­per­so­nen von Affen­po­cken-Infizier­ten verabreicht.

Auch Deutsch­land sorgt für den Fall vor, dass solche sogenann­ten Ringimp­fun­gen bei Kontak­ten von Erkrank­ten notwen­dig werden sollten: Lauter­bach kündig­te am Diens­tag die prophy­lak­ti­sche Bestel­lung von bis zu 40.000 Dosen Imvanex an. Konkre­te Pläne, diesen auch zu verwen­den, gebe es noch nicht. «Wir könnten diesen Impfstoff, sollte es notwen­dig werden, unmit­tel­bar einset­zen», sagte Lauterbach.

Gute Thera­pie für Infizierte

In dem neueren Impfstoff sieht Kolla­rit­sch allen­falls ein Instru­ment, um Menschen zu impfen, die ein hohes Risiko haben, dem Erreger ausge­setzt zu sein. Als Beispiel nennt er das Perso­nal spezi­el­ler Isolier­sta­tio­nen, die Infizier­te versor­gen. «Für die breite Bevöl­ke­rung wäre diese Impfung Unfug. Affen­po­cken sind wesent­lich harmlo­ser als die Pocken und infek­ti­ons­epi­de­mio­lo­gisch von viel gerin­ge­rer Bedeu­tung. Wir müssen auch beden­ken, dass eine sehr gute Thera­pie für Infizier­te verfüg­bar ist.»

Auch Virolo­ge Nowot­ny beton­te: «Es gibt einen Riesen­un­ter­schied zwischen Affen­po­cken und Corona. Das wird diesmal keine Pande­mie. Ich gehe davon aus, dass der Spuk in einigen Wochen bis wenigen Monaten vorbei ist.» Der Erreger der Affen­po­cken sei ein DNA-Virus — das heiße, es sei sehr viel träger als Sars-CoV‑2 und mutie­re kaum. Varian­ten werde man daher nicht so schnell sehen. Er nehme auch nicht an, dass Impfstof­fe spezi­ell an Affen­po­cken angepasst werden müssen. Die Morta­li­tät bei dem bisher bei der Häufung in Europa nachge­wie­se­nen westafri­ka­ni­schen Stamm der Affen­po­cken betra­ge in der Litera­tur ein Prozent: «In westli­chen Ländern ist aber von gerin­ge­ren Werten auszugehen.»

Begrenz­ter Ausbruch?

Der Leiter der Ständi­gen Impfkom­mis­si­on (Stiko), Thomas Mertens, sagte kürzlich im SWR: «Ich glaube nicht, dass es jetzt Sinn macht, sich Gedan­ken darüber zu machen, die ganze Bevöl­ke­rung im Augen­blick gegen Pocken zu impfen.»

Das Robert Koch-Insti­tut (RKI) hielt fest, dass nach derzei­ti­gem Wissen ein enger Kontakt für eine Erreger-Übertra­gung erfor­der­lich sei, «deshalb kann gegen­wär­tig davon ausge­gan­gen werden, dass der Ausbruch begrenzt bleibt». Empfoh­len wird Isolie­rung bezie­hungs­wei­se Quaran­tä­ne für Infizier­te und ihre engen Kontak­te. Kontak­te von Infizier­ten müssen aus Exper­ten­sicht genau nachver­folgt werden. Das kann aber heraus­for­dernd werden: Die Inkuba­ti­ons­zeit beträgt laut RKI 5 bis 21 Tage. Menschen mit mehre­ren Sexual­part­nern haben nach RKI-Einschät­zung eine höhere Infek­ti­ons­ge­fahr als andere. Gerade bei ihnen dürften auch anony­me Kontak­te eine Rolle spielen.

Von Gisela Gross, dpa