Lockern, Lockdown, Lockern, Lockdown. Der Kurs von Minis­ter­prä­si­dent Kretsch­mann in der Krise schwankt zwischen Bremsen und Beschleu­ni­gen. Gerade da alle Zeichen auf Öffnung stehen, gibt er erneut den Mahner.

STUTTGART (dpa/lsw) — Monate­lang warb Winfried Kretsch­mann bei den Bürgern um Diszi­plin, Eigen­ver­ant­wor­tung und um Verständ­nis für stren­ge Einschrän­kun­gen. Der Staat könne in einer solchen Situa­ti­on nur pater­na­lis­tisch sein, sagte er etwa in einem Inter­view. Da klingen seine Sätze von Diens­tag fast nach Resigna­ti­on. «Die Leute machen was sie wollen», sagte er mit Blick auf Einkaufs­tou­ris­ten. «Die suchen Lücken und die haben Zeit und was weiß ich.» Weil die Bayern die Baumärk­te diese Woche geöff­net hätten, müsse er eben nun mitzie­hen, weil die Shopper sonst über die Grenze führen. «Das setzt mich natür­lich unter Zugzwang», sagte der grüne Regie­rungs­chef. «Ob ich das nun für richtig halte, den so früh zu öffnen, oder nicht.»

Kretsch­mann spricht dann von der «Macht des Fakti­schen», die manche gute Idee ruinie­re. Krisen­ma­na­ger Kretsch­mann, der kapitu­liert angesichts bayeri­scher Allein­gän­ge und der Aufmüp­fig­keit der Bürger?

Lockern, Testen, Lockdown, Impfen — kurz vor der Bund-Länder-Schal­te am Mittwoch existiert ein bundes­wei­ter Flicken­tep­pich an Konzep­ten zum weite­ren Vorge­hen gegen die Corona-Krise. Kretsch­mann selbst verkör­pert derzeit einen bemer­kens­wer­ten Zickzack­kurs. Monate­lang gab er den stren­gen Mahner, der immer wieder den Gesund­heits­schutz als obers­tes Ziel unter­strich und die Öffnungs­wün­sche des Koali­ti­ons­part­ners CDU abbügel­te. Gleich­zei­tig hatte Kretsch­mann stets betont, wie wichtig bundes­weit ein einheit­li­ches Vorge­hen sei.

Da kam es umso überra­schen­der, dass der Minis­ter­prä­si­dent vergan­ge­ne Woche mit einem Impuls­pa­pier heraus­presch­te, dass eine stärke­re Locke­rung des Lockdowns mit Hilfe von Schnell­tests vorsieht — Kretsch­mann denkt an Läden, Restau­rants, Museen und perspek­ti­visch auch Hotels. Und das obwohl das Impfen stockt, die Mutan­ten unter­wegs sind und die Inzidenz­wer­te wieder steigen. «Das ist kein Strate­gie­wech­sel», vertei­digt Kretsch­mann am Diens­tag sein Vorge­hen. Das Testen eröff­ne neue Möglich­kei­ten, weshalb man mehr öffnen könne.

Aber wahr ist auch: Der Frühling steht vor der Tür und die Menschen sind des Lockdowns überdrüs­si­ger und pande­mie­mü­der denn je. Die Wirtschaft macht gehörig Druck. Die Zeichen stehen bundes­weit derzeit auf Öffnung. Nach einem Beschluss­pa­pier für die Bund-Länder-Schal­te zeich­nen sich regio­nal abgestuf­te Öffnungs­schrit­te ab, abhän­gig von den Sieben-Tage-Inziden­zen. Außer­dem: Auch wenn Grüne wie CDU beteu­ern, mit Corona keinen Wahlkampf zu machen, wird in zwei Wochen gewählt im Ländle. Jede Entschei­dung wird auch auf ihre mögli­chen Auswir­kun­gen auf den Urnen­gang abgeklopft.

Vize-Regie­rungs­chef Thomas Strobl dräng­te am Diens­tag ebenfalls auf eine breite­re Öffnung für Wirtschaft und Gesell­schaft. Bei priva­ten Begeg­nun­gen etwa müsse man noch mal schau­en, ob sich ein Haushalt nur wirklich mit einer weite­ren Person treffen dürfe oder ob es nicht auch wieder ein zweiter Hausstand sein könnte. Auch für die Oster­ta­ge brauch­ten die Menschen eine Perspek­ti­ve. Die Südwest-CDU pocht schon länger auf massen­haf­te, kosten­lo­se Tests, um Öffnun­gen zu flankie­ren. Auf den Kurs schwenk­te Kretsch­mann mit seinem Impuls­pa­pier ein.

Umso verwir­ren­der aber, dass der Minis­ter­prä­si­dent am Diens­tag schon wieder ganz anders klingt als noch vor ein paar Tagen, als er sich an die Spitze der Testfans mit seinem Papier setzte. Zwar könne man mit massen­haf­ten Schnell- und Selbst­tests demnächst Öffnun­gen angehen, doch das gehe nicht von heute auf morgen. «Das ist ein großer organi­sa­to­ri­scher Aufwand.» Die Test-Infra­struk­tur müsse schon da sein, «damit man die Teststra­te­gie mit der Öffnungs­stra­te­gie verbin­den kann», erklär­te er.

Kretsch­mann zeigte sich auch skeptisch, dass die weiter­füh­ren­den Schulen — wie von Kultus­mi­nis­te­rin Susan­ne Eisen­mann (CDU) vorge­schla­gen — schon am kommen­den Montag schritt­wei­se wieder öffnen können. Um Schüle­rin­nen und Schüler zweimal in der Woche testen zu können, müssten die Test-Kapazi­tä­ten an den Schulen deutlich ausge­baut werden. «Ich kann mir nur ganz schlecht vorstel­len, dass das bis zum 8. März auf die Beine gestellt werden kann.» Es sei klar, dass das Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um die Tests besor­gen müsse. Für die Umset­zung sei aber die Kultus­mi­nis­te­rin zustän­dig. «Wenn sie es hinbe­kommt in den jetzt verblei­ben­den Tagen, dann okay», sagte er.

Die Zahl der Infek­tio­nen auf 100 000 Einwoh­ner inner­halb von sieben Tagen sei weiter­hin der entschei­den­de Wert bei der Frage, wie stark man lockern könne — und die 7‑Tage-Inzidenz steige wieder, mahnte Kretsch­mann. Regio­nal unter­schied­li­che Öffnun­gen, wie sie die Kanzle­rin mit den Minis­ter­prä­si­den­ten beschlie­ßen könnte, seien «ein Ritt auf einem Grat.» Eine regio­na­le Heran­ge­hens­wei­se sei zudem kommu­ni­ka­tiv schwie­rig. Die Öffnung der Baumärk­te recht­fer­tig­te Kretsch­mann mit den aufmüp­fi­gen Bürgern und dem Vorpre­schen Söders, auf die Frage, was denn sonst rasch geöff­net werden könne, sagte der Grünen-Politi­ker schlicht: «Erstmal nix.»

Ob es dabei bleibt, wird man spätes­tens nach der Bund-Länder-Schal­te wissen.