SACRAMENTO (dpa/lsw) — In den USA läuft so einiges anders als in Baden-Württem­berg. Minis­ter­prä­si­dent Kretsch­mann ist faszi­niert von dem riesi­gen Land — und plädiert für die Klein­staa­te­rei daheim.

Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann hat sich auf seiner US-Reise mit eindring­li­chen Worten für mehr Konkur­renz unter den Bundes­län­dern ausge­spro­chen. In Deutsch­land gebe es eine «große Angst vor Unter­schie­den», sagte der Grünen-Politi­ker bei einem Besuch der kalifor­ni­schen Stadt Sacra­men­to der Deutschen Presse-Agentur. Die Deutschen hätten eher Angst vor Wettbe­werb — im Gegen­satz etwa zu den USA. Er nannte sich einen Anhän­ger des Wettbewerbsföderalismus.

Der 74-jähri­ge Regie­rungs­chef benei­det auch die Einstel­lung zum Födera­lis­mus in den Verei­nig­ten Staaten. «Der Födera­lis­mus in Deutsch­land ist gar nicht beliebt», sagte er. «Aber hier in den USA stehen sie zu ihrem State, die identi­fi­zie­ren sich mit ihm. Sie sind erst Kalifor­ni­er und dann Ameri­ka­ner.» Die Deutschen hinge­gen wollten ein Schul­buch für alle. Selbst wenn Nicht­rau­cher­ge­set­ze in den Ländern unter­schied­lich seien, regten sich alle auf, kriti­sier­te Kretsch­mann. Der Minis­ter­prä­si­dent forder­te: «Wir brauchen mehr Liebe zum Föderalismus.»

Kretsch­mann beschwer­te sich darüber, dass in den Debat­ten über die Rolle der Länder dann immer der Vorwurf der Klein­staa­te­rei aufkom­me. Die Zeit der Klein­staa­te­rei sei die kultu­rell produk­tivs­te Phase hierzu­lan­de gewesen, sagte er — und verwies auf Goethe und den Bau süddeut­scher Barock­kir­chen. «Jeder Klein­fürst hat sich da was ausge­dacht und gemacht», sagte er. Es gebe es einen unheim­li­chen Hang zum Unita­ris­mus in Deutsch­land, kriti­sier­te er. «Wenn man sich nicht mit Diffe­renz anfreun­den kann, kann man den Födera­lis­mus nicht lieben.»

Die Deutschen stell­ten die Gleich­heit vor den Unter­schied, kriti­sier­te Kretsch­mann. «Da renne ich seit 40 Jahren gegen an, mit mäßigem Erfolg.» Auch die Schwei­zer etwa störten sich nicht daran, wenn in unter­schied­li­chen Kanto­nen unter­schied­li­che Steuern erhoben würden. Das sei in Deutsch­land nicht durch­setz­bar. «Das ist ganz verrückt in Deutsch­land. Die födera­le Liebe fängt erst an, wenn man Länder fusio­nie­ren will.» Wenn ein Minis­ter­prä­si­dent die Zusam­men­le­gung zweier Länder vorschla­ge, falle er bei Wahlen unter die Fünf-Prozent-Hürde.

Kretsch­mann fordert seit langem ein neues Verhält­nis von Bund und Ländern und verkämpft sich regel­mä­ßig für die Kompe­ten­zen der Länder. Er wirft dem Bund vor, Geset­ze für den Rechts­an­spruch auf Ganztags­be­treu­ung zu beschlie­ßen und die Länder dann damit allei­ne zu lassen. Der Regie­rungs­chef bereist diese Woche mit einer mehr als 100-köpfi­gen Delega­ti­on die USA. In Pitts­burgh und Kalifor­ni­en will er für den Südwes­ten Kontak­te knüpfen. Im Mittel­punkt stehen die Themen Künst­li­che Intel­li­genz, Autono­mes Fahren und die Zukunft der Gesundheitsindustrie.

Am Mittwoch besuch­te Kretsch­mann die Haupt­stadt des Bundes­staats Kalifor­ni­en, Sacra­men­to. Kalifor­ni­en und Baden-Württem­berg wollen künftig noch enger im Bereich Cyber­si­cher­heit zusam­men­ar­bei­ten. Auch die wirtschaft­li­che Koope­ra­ti­on soll vertieft werden. In Stutt­gart wird eine neue Anlauf­stel­le für US-Firmen einge­rich­tet. «Unser Geschäfts­mo­dell ist der Export, da muss man zusam­men­ar­bei­ten mit Hochtech­no­lo­gie­re­gio­nen», sagte Kretsch­mann. Deutsch­land könne von den USA lernen, wie man Wissen in Geschäfts­mo­del­le überset­ze, sagte Kretsch­mann der dpa. «Da sind die Ameri­ka­ner uns voraus.»

Aber auch die Super­macht kann aus Sicht des Minis­ter­prä­si­den­ten etwas von den Deutschen lernen. «Wir haben natür­lich ganz andere sozia­le Struk­tu­ren», sagte er. «So viele Obdach­lo­se auf den Straßen, das wäre bei uns nicht denkbar. So weit würden wir es gar nicht kommen lassen.» Deutsch­land sei nicht nur Innova­ti­ons­land, sondern auch Sozial­staat. In den USA gebe es andere Debat­ten, etwa ob es eine Pflicht-Kranken­ver­si­che­rung geben soll: «Das ist von unserer Vorstel­lung so weit weg wie der Mond.»