BRÜSSEL/MOSKAU/KIEW/ISTANBUL (dpa) — In Istan­bul ist eine Verhand­lungs­lö­sung für ukrai­ni­sches Getrei­de in Sicht. Und die EU hat neue Sanktio­nen gegen Russland verab­schie­det. Die aktuel­len Entwick­lun­gen im Überblick:

Die Ausfuhr von Millio­nen Tonnen Getrei­de aus dem Kriegs­land Ukrai­ne soll von den Konflikt­par­tei­en unter UN-Führung gemein­sam überwacht werden.

Eine Einigung zum Ende der russi­schen Getrei­de­blo­cka­de im Schwar­zen Meer, die am Freitag unter­schrie­ben werden soll, sieht ein gemein­sa­mes Kontroll­zen­trum in Istan­bul vor, das von den Verein­ten Natio­nen gelei­tet und mit Vertre­tern Russlands, der Ukrai­ne und der Türkei besetzt sein soll. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Diplo­ma­ten­krei­sen in New York. Zudem wurden Details zu den neuen Sanktio­nen der EU gegen Russland bekannt.

Das angestreb­te Abkom­men zu den ukrai­ni­schen Getrei­de­lie­fe­run­gen sieht vor, das in dem Kontroll­zen­trum in Istan­bul auch die genau­en Koordi­na­ten für den humani­tä­ren Korri­dor auf dem Seeweg zwischen der Ukrai­ne und dem Bospo­rus festge­legt werden. Zudem einig­ten sich die Partei­en nach dpa-Infor­ma­tio­nen darauf, dass Schif­fe mit dem Ziel Ukrai­ne zunächst in Istan­bul durch­sucht werden, um sicher­zu­stel­len, dass sie keine Waffen oder Ähnli­ches geladen haben.

Eine weite­re Kontrol­le solle es dann in der Türkei geben, wenn Schif­fe aus der Ukrai­ne das Schwar­ze Meer wieder verlas­sen wollen. Damit solle sicher­ge­stellt werden, dass ausschließ­lich Getrei­de an Bord ist. Schif­fe in dem humani­tä­ren Korri­dor und die betei­lig­ten Häfen dürften dabei nicht angegrif­fen werden. Das Abkom­men soll den Angaben zufol­ge zunächst für vier Monate gelten.

EU sanktio­niert Gold aus Russland

Im neuen Sankti­ons­pa­ket der EU, das am späten Donners­tag­abend im EU-Amtsblatt veröf­fent­licht wurde, tauchen 57 Namen und Organi­sa­tio­nen auf — darun­ter der Chef der russi­schen Rüstungs­hol­ding Rostech und die russi­sche Sberbank. Begrenzt wurde aber vor allem die Ausfuhr russi­schen Goldes. Das russi­sche Außen­mi­nis­te­ri­um bezeich­ne­te die neuen EU-Sanktio­nen als zweck­los, rechts­wid­rig und gefähr­lich für die gesam­te Weltwirtschaft.

Der Import­stopp für Gold und Goldschmuck aus Russland in die EU gilt auch dann, wenn die Ware vorher in ein Dritt­land verkauft wurde. Nach Angaben der EU-Kommis­si­on gibt es Ausnah­men für persön­li­chen Goldschmuck auf Privat­rei­sen. Zudem wurden Sanktio­nen gegen die größte russi­sche Bank ausge­wei­tet: Die Sberbank gehört künftig zu jenen Finanz­in­sti­tu­ten, deren Geld und sonsti­ge Ressour­cen einge­fro­ren werden können. Zudem dürfen der Bank keine finan­zi­el­len oder ander­wei­ti­gen Mittel mehr zur Verfü­gung gestellt werden. Auch hier gibt es nur wenige Ausnahmen.

Es ist das siebte Paket, auf das sich die 27 EU-Länder geeinigt haben, um auf Russlands Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne zu reagie­ren. «Das sendet ein starkes Signal an Moskau: Wir werden den Druck so lange wie nötig aufrecht­erhal­ten», teilte EU-Kommis­si­ons­che­fin Ursula von der Leyen auf Twitter mit.

Russland und Saudi-Arabi­en wollen weiter kooperieren

Derweil sind nach russi­scher Darstel­lung die Bestre­bun­gen des Westens geschei­tert, Russlands Einnah­men im Ölsek­tor zu deckeln. Der Kreml berich­te­te von einem Telefo­nat von Präsi­dent Wladi­mir Putin mit dem saudi­schen Kronprin­zen Moham­med bin Salman. Dabei hätten sich beide Seiten dafür ausge­spro­chen, sich weiter im Rahmen des Konglo­me­rats OPEC Plus abzustim­men, um den Ölpreis stabil zu halten. US-Präsi­dent Joe Biden hatte versucht, die saudi­sche Führung zu einer Steige­rung der Ölpro­duk­ti­on zu bewegen, um den Ölpreis zu senken, von dem Russlands Kriegs­kas­se abhän­gig ist.

Ukrai­ni­sche Wirtschaft und Währung unter Druck

Derweil musste die Ukrai­ne am Donners­tag ihre Landes­wäh­rung um 25 Prozent abwer­ten. Dies sei mit Blick auf die verän­der­te wirtschaft­li­che Lage in Kriegs­zei­ten und den stärker gewor­de­nen US-Dollar gesche­hen, begrün­de­te die Noten­bank den Schritt. Gleich­zei­tig zog sie die Kapital­ver­kehrs­kon­trol­len an. So können Menschen von ukrai­ni­schen Konten nun monat­lich nur noch umgerech­net knapp 800 Euro ins Ausland überwei­sen. Bisher war dieser Betrag dreimal so hoch gewesen.

Grund für die schlech­te Wirtschafts­la­ge sind auch ausblei­ben­de Einnah­men aus den Getrei­de­ex­por­ten. Vor dem Krieg war die Ukrai­ne weltweit einer der größten Expor­teu­re auf dem Gebiet. Wegen der inzwi­schen fast fünfmo­na­ti­gen Seeblo­cka­de durch Russland stecken im Land aber immer noch etwa 20 Millio­nen Tonnen Getrei­de fest, die auf dem Weltmarkt — vor allem in Asien und Afrika — dringend benötigt werden. Die Verein­ten Natio­nen warnten zuletzt schon vor der größten Hungers­not seit Jahrzehnten.

Doch es besteht Hoffnung — und das sehr konkret. Nachdem sich unter Vermitt­lung der Türkei und der Verein­ten in der vergan­ge­nen Woche eine grund­sätz­li­che Einigung zwischen Moskau und Kiew über die Aufhe­bung der Blocka­de abzeich­ne­te, ist nun auch die Unter­zeich­nung einer forma­len Verein­ba­rung geplant. Die Umset­zung des Abkom­mens — und damit die Ausfuhr von Nahrungs­mit­teln aus der Ukrai­ne — könnte nach dpa-Infor­ma­tio­nen zufol­ge jedoch Wochen dauern. Westli­che Diplo­ma­ten merkten an, es sei noch immer möglich, dass Moskau die Verein­ba­run­gen bei der Umset­zung durch vorge­scho­be­ne Gründe schei­tern lassen könnte.

Selen­skyj gibt sich doppelt optimistisch

Nicht nur bei den Getrei­de­ver­hand­lun­gen, sondern auch mit Blick auf die militä­ri­sche Lage gab sich der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj optimis­tisch. Bei einem Treffen mit den Chefs der Aufklä­rung, des Militärs und des Innen­mi­nis­te­ri­ums sei die Lage an der Front und die Versor­gung der eigenen Truppen mit neuen Waffen bespro­chen worden. Wir «waren uns einig, dass wir ein erheb­li­ches Poten­zi­al haben, unsere Streit­kräf­te an der Front voran­zu­brin­gen und den Besat­zern erheb­li­che neue Verlus­te zuzufü­gen», sagte Selenskyj.

Das wird am Freitag wichtig

Die Einigung im Streit um die Getrei­de­aus­fuh­ren aus der Ukrai­ne soll am Freitag um 15:30 Uhr (MESZ) in Istan­bul unter anderen von UN-General­se­kre­tär António Guter­res und dem türki­schen Präsi­den­ten Recep Tayyip Erdogan unter­zeich­net werden. Wer für die Delega­tio­nen Russlands und der Ukrai­ne anreist, blieb zunächst unklar. Die nun offen­bar erziel­te Einigung könnte der wohl größte Vermitt­lungs­er­folg der Verein­ten Natio­nen seit Kriegs­be­ginn sein — und zugleich der bislang bedeu­tends­te Kompro­miss zwischen Moskau und Kiew in dem Konflikt.

Die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft fordert von Russland seit Wochen, den Export von ukrai­ni­schem Getrei­de zu ermög­li­chen. Die Ukrai­ne beklagt, dass durch die russi­sche Kriegs­ma­ri­ne ihre Häfen im Schwar­zen Meer blockiert seien. Russland strei­tet ab, Weizen­ex­por­te zu verhindern.