KIEW/MOSKAU/ISTANBUL (dpa) — Beim Thema Getrei­de gibt es erstmals eine größe­re Überein­kunft zwischen Moskau und Kiew. Der ukrai­ni­sche Präsi­dent begrüßt die in Istan­bul beschlos­se­ne Lösung. Die aktuel­len Entwicklungen:

Genau 150 Tage dauert der Krieg in der Ukrai­ne mittler­wei­le an — und ein Ende ist nicht in Sicht.

Immer­hin wurde nun beim Streit um von Russland blockier­te Getrei­de­ex­por­te aus dem angegrif­fe­nen Land eine Einigung erzielt. Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj zeigt sich zufrie­den damit, dass es endlich eine Lösung für die Millio­nen Tonnen Getrei­de gibt, die bislang nicht aus ukrai­ni­schen Häfen ins Ausland verschifft werden konnten. Immer wieder hatten die Verein­ten Natio­nen in den vergan­ge­nen Wochen vor Hunger­kri­sen in der Welt gewarnt.

Die USA prüfen derweil eine eventu­el­le Liefe­rung ameri­ka­ni­scher Kampf­jets an die Ukrai­ne — machten aber zugleich klar, dass das nicht in nächs­ter Zeit gesche­hen werde.

Angaben eines Beraters von Selen­skyj zufol­ge soll es den ukrai­ni­schen Streit­kräf­ten gelun­gen sein, mehr als 1000 russi­sche Solda­ten im besetz­ten Gebiet Cherson einzu­kes­seln. Die ukrai­ni­sche Armee wieder­um, die mittler­wei­le westli­che Waffen gelie­fert bekom­men hat, verzeich­net Selen­skyj zufol­ge derzeit deutlich gerin­ge­re Verlus­te in den eigenen Reihen als noch im vergan­ge­nen Monat.

Ukrai­ni­sche Region meldet Tote nach russi­schem Beschuss

Bei einem russi­schen Raketen­an­griff sind ukrai­ni­schen Behör­den zufol­ge im Gebiet Kirowoh­r­ad mindes­tens drei Menschen getötet und neun weite­re verletzt worden. Das russi­sche Militär habe am Samstag­mor­gen von Kriegs­schif­fen und Kampf­bom­bern insge­samt 13 Raketen unter anderem auf den Militär­flug­ha­fen Kanatowo und ein Objekt der ukrai­ni­schen Eisen­bahn­ge­sell­schaft abgefeu­ert, teilte der Leiter der Militär­ad­mi­nis­tra­ti­on, Andrij Rajko­witsch, im Nachrich­ten­ka­nal Telegram mit.

Bei den Angrif­fen seien ein Soldat sowie an einer Trans­for­ma­to­ren­sta­ti­on zwei Arbei­ter getötet worden, sagte Rajko­witsch. Er rief die Menschen auf, die Luftalar­me nicht zu ignorie­ren und Schutz zu suchen. Bisher war das Gebiet im zentra­len Teil der Ukrai­ne vergleichs­wei­se wenig betrof­fen von russi­schen Angrif­fen. Aller­dings hatte das russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in der Vergan­gen­heit selbst auch schon über Beschuss des Militär­flug­ha­fens berichtet.

Selen­skyj dankt den USA für Waffen

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hat den USA für die angekün­dig­ten neuen Waffen­lie­fe­run­gen im Krieg gegen Russland gedankt. «Extrem wichtig, schlag­kräf­ti­ge Waffen werden die Leben unserer Solda­ten retten, die Befrei­ung unseres Landes vom russi­schen Aggres­sor beschleu­ni­gen», schrieb Selen­skyj am Samstag im Kurznach­rich­ten­dienst Twitter. «Ich schät­ze die strate­gi­sche Partner­schaft zwischen unseren Natio­nen. Gemein­sam zum Sieg!»

Die USA kündig­ten am Freitag weite­re Waffen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne mit einem Wert von rund 270 Millio­nen Dollar an. Darin enthal­ten sind nach offizi­el­len Angaben vier Himars-Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer. Das neue Paket umfasst demnach unter anderem Raketen für die Himars-Syste­me, 36.000 Artil­le­rie­gra­na­ten, Fahrzeu­ge und bis zu 580 «Phoenix Ghost»-Drohnen.

Selen­skyj: Getrei­de-Deal entspricht Kiews Interessen

Die einzel­nen Punkte des am Freitag in Istan­bul unter­zeich­ne­ten Getrei­de-Deals entsprä­chen «voll und ganz den Inter­es­sen der Ukrai­ne», sagte Selen­skyj in seiner Video­an­spra­che in der Nacht zum Samstag. «Jetzt können wir nicht nur die Arbeit unserer Häfen am Schwar­zen Meer wieder­auf­neh­men, sondern auch den erfor­der­li­chen Schutz für sie aufrechterhalten.»

Selen­skyj sagte zudem, die Ukrai­ne könne nun insge­samt 20 Millio­nen Tonnen Getrei­de aus der Ernte des Vorjah­res expor­tie­ren. Es seien Vorrä­te im Wert von rund 10 Milli­ar­den US-Dollar (9,8 Mrd Euro) eingelagert.

Zuvor hatten sich die Kriegs­par­tei­en fast fünf Monate nach dem russi­schen Überfall auf die Ukrai­ne erstmals auf eine größe­re Überein­kunft verstän­digt: Getrei­de­ex­por­te aus der Ukrai­ne über das Schwar­ze Meer sollen nach einer Blocka­de Russlands wieder möglich werden. Unter UN-Führung sollen Vertre­ter der Länder zusam­men mit der Türkei einen humani­tä­ren Korri­dor im Schwar­zen Meer abste­cken und aus einem Kontroll­zen­trum in Istan­bul überwachen.

US-Regie­rung prüft eventu­el­le Kampf­jet-Liefe­rung an Ukraine

Die US-Regie­rung prüft nach eigenen Angaben eine eventu­el­le Liefe­rung ameri­ka­ni­scher Kampf­jets an die Ukrai­ne. Der Kommu­ni­ka­ti­ons­di­rek­tor des Natio­na­len Sicher­heits­rats, John Kirby, beton­te, «dass es sich um Sondie­rungs­über­le­gun­gen handelt, die nicht in naher Zukunft umgesetzt werden können». Bei den vorläu­fi­gen Prüfun­gen des Penta­gons gehe es nicht um Maschi­nen aus der frühe­ren Sowjet­uni­on, sondern um solche ameri­ka­ni­scher Bauart.

Er verwies in einer Telefon­schal­te mit Repor­tern darauf, dass der Betrieb moder­ner Kampf­flug­zeu­ge «ein schwie­ri­ges Unter­fan­gen» sei. Berück­sich­tigt werden müssten auch Fakto­ren wie die Ausbil­dung der Besat­zun­gen und die Instand­hal­tung sowie die Liefe­rung von Ersatzteilen.

Kirby verkün­de­te zudem weite­re US-Waffen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne im Wert von rund 270 Millio­nen Dollar. Darin enthal­ten seien vier Himars-Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer, deren Liefe­rung die US-Regie­rung bereits angekün­digt hatte.

Selen­skyj-Berater: Mehr als 1000 Russen in Cherson eingekesselt

Im besetz­ten südukrai­ni­schen Gebiet Cherson sind Angaben aus Kiew zufol­ge mehr als 1000 russi­sche Solda­ten von ukrai­ni­schen Streit­kräf­ten einge­kes­selt worden. Unweit der Siedlung Wysso­ko­pill­ja seien die Russen in eine «takti­sche Umzin­ge­lung» geraten, sagte der ukrai­ni­sche Präsi­den­ten­be­ra­ter Olexij Aresto­wytsch. Unabhän­gig überprü­fen ließ sich das nicht. Auch im Bericht des ukrai­ni­schen General­stabs wurde Wysso­ko­pill­ja nicht erwähnt.

Die ukrai­ni­sche Armee hatte zuletzt mehre­re Gegen­of­fen­si­ven auf das Chersoner Gebiet gestar­tet, das russi­sche Solda­ten nach Beginn des Kriegs im Febru­ar weitge­hend unter ihre Kontrol­le gebracht hatten.

Die US-Zeitung «Wall Street Journal» schrieb unter­des­sen unter Berufung auf Äußerun­gen Selen­sky­js, die ukrai­ni­sche Armee verzeich­ne mittler­wei­le deutlich gerin­ge­re Verlus­te als noch vor einigen Wochen. Selen­skyj habe dem Blatt in einem Inter­view gesagt, dass derzeit pro Tag rund 30 ukrai­ni­sche Solda­ten getötet würden — im Mai und im Juni seien es zwischen­zeit­lich 100 bis 200 täglich gewesen.

Human Rights Watch: Russi­sche Solda­ten foltern Zivilis­ten in Ukraine

Die Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Human Rights Watch wirft Russlands Streit­kräf­ten Folter von Kriegs­ge­fan­ge­nen und Zivilis­ten in der Ukrai­ne vor. In den Regio­nen Cherson und Saporischschja hätten Befra­gun­gen Dutzen­der Perso­nen 42 Fälle offen­bart, in denen russi­sche Besat­zungs­trup­pen Zivilis­ten entwe­der verschwin­den ließen oder sie auf andere Weise willkür­lich festhiel­ten. Einige hätten keinen Kontakt zur Außen­welt gehabt, viele seien gefol­tert worden. Von drei betrof­fe­nen Kriegs­ge­fan­ge­nen seien zwei gestorben.

Das wird am Samstag wichtig

Ungeach­tet der bemer­kens­wer­ten Einigung beim Getrei­de-Streit gehen die Kämpfe in der kriegs­ge­beu­tel­ten Ukrai­ne weiter. Angrif­fe gibt es weiter vor allem im Osten und im Süden des Landes.