KIEW (dpa) — Mit dem Raketen­an­griff auf die Hafen­stadt Odessa sieht Selen­skyj Russland bloßge­stellt. Die Ukrai­ne fordert wieder schwe­re Waffen von den USA, um sich zu wehren. Ein Überblick zu den Ereignissen:

Nach den Raketen­an­grif­fen auf den Hafen in Odessa hat der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj Russland als Verhand­lungs­par­tei grund­sätz­lich infra­ge gestellt.

«Wenn irgend­je­mand auf der Welt früher gesagt hat, dass es notwen­dig ist, mit Russland in Dialog zu treten, Verein­ba­run­gen zu treffen über eine Waffen­ru­he, ohne unser Gebiet von den Besat­zern zu befrei­en, dann haben die heuti­gen Raketen die Möglich­keit solcher Aussa­gen zerstört», sagte er in seiner am Samstag­abend veröf­fent­lich­ten Videobotschaft.

Der Angriff mit Raketen auf die Hafen­stadt sei inter­na­tio­nal verur­teilt worden. Selen­skyj sprach von einem Akt «offen­sicht­li­cher russi­scher Barba­rei». Zu Beginn des 151. Kriegs­tags sieht er aber auch Positives.

Neben den Raketen­an­grif­fen habe es zwar erneut schwe­re Gefech­te im Donbass und im Gebiet Charkiw gegeben. Dennoch sei auch sicht­bar, dass sich die Ukrai­ne in Richtung Sieg bewege. Vor allem zeige sich das in der Region Cherson im Süden. «Die Streit­kräf­te der Ukrai­ne bewegen sich Schritt für Schritt in dem Gebiet vorwärts», sagte Selenskyj.

Russland hatte die südukrai­ni­sche Region am Schwar­zen Meer unmit­tel­bar nach Kriegs­be­ginn Ende Febru­ar einge­nom­men. Moskau­treue Separa­tis­ten dort kündig­ten zuletzt an, sie wollten eine Volks­ab­stim­mung für einen Beitritt zu Russland anset­zen. Die Ukrai­ne will das verhin­dern und das Gebiet auch mithil­fe der von den USA und anderen Nato-Staaten gelie­fer­ten schwe­ren Waffen zurückerobern.

Russland räumt Raketen­an­griff auf Odessa ein

Einen Tag nach den inter­na­tio­nal verur­teil­ten Raketen­ein­schlä­gen in der Hafen­stadt Odessa hat Russland die Angrif­fe einge­räumt. Die «Kaliber»-Raketen hätten mit einem hochprä­zi­sen Schlag ein Objekt militä­ri­scher Infra­struk­tur im Hafen von Odessa getrof­fen, teilte die Spreche­rin des russi­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums, Maria Sacha­rowa, am Sonntag im Nachrich­ten­ka­nal Telegram mit. Sie sprach von einem Kriegs­schiff, das getrof­fen worden sei.

Der Angriff am Samstag­mor­gen hatte inter­na­tio­nal Entset­zen ausge­löst, weil Russland erst am Vortag in Istan­bul eine Verein­ba­rung über die Ausfuhr von ukrai­ni­schem Getrei­de auch aus diesem Hafen in Odessa unter­zeich­net hatte. Die Verein­ba­rung hat weiter ihre Gültigkeit.

Zuvor hatte die Türkei nach Gesprä­chen mit der russi­schen Seite erklärt, dass Russland die Schuld für die Raketen­an­grif­fe in Odessa zurück­ge­wie­sen habe und unter­su­chen lassen wolle. Sacha­ro­was Kommen­tar zu dem Vorfall war nun die erste offizi­el­le Äußerung von russi­scher Seite zu dem Vorfall.

Angrif­fe auf Odessa sollen Waffen­lie­fe­run­gen beflügeln

Die Angrif­fe auf Odessa seien ein weite­rer Grund dafür, der Ukrai­ne solche Waffen zu geben, «die für unseren Sieg notwen­dig sind», sagte Selen­skyj. Er warf Russland vor, einen Tag nach dem in Istan­bul unter­zeich­ne­ten Abkom­men über die Ausfuhr von ukrai­ni­schem Getrei­de den Hafen von Odessa beschos­sen zu haben. Russland weist das zurück, wie die Türkei nach einem Gespräch mit der Kriegs­par­tei mitge­teilt hatte. Eine offizi­el­le russi­sche Reakti­on lag bis Samstag­abend nicht vor.

Russland hatte am Freitag in dem Abkom­men zugesi­chert, Schif­fe für den Export über einen Seekor­ri­dor fahren zu lassen und nicht zu beschie­ßen. Auch die drei betei­lig­ten Häfen dürfen demnach nicht angegrif­fen werden. Es geht dabei unter anderem um die Ausfuhr von Millio­nen Tonnen Getrei­de. Die unter der Vermitt­lung der Verein­ten Natio­nen und der Türkei unter­zeich­ne­te Einigung sieht vor, die Expor­te von einem Kontroll­zen­trum in Istan­bul überwa­chen zu lassen.

Selen­skyj beklag­te, dass im Zuge des Angriffs auch das Kunst­mu­se­um in Odessa beschä­digt worden sei. Die Raketen seien ganz in der Nähe von histo­ri­schen Objek­ten einge­schla­gen. Das ukrai­ni­sche Militär hatte mitge­teilt, dass zwei Raketen von der Luftab­wehr abgefan­gen worden seien, zwei weite­ren schlu­gen demnach im Hafen ein. Die Getrei­de­si­los im Hafen wurden den Angaben zufol­ge aber nicht getroffen.

USA machen Russland für Beschuss von Odessa verantwortlich

Die US-Regie­rung machte Russland für den Beschuss der Hafen­stadt Odessa verant­wort­lich. Nur einen Tag nach der Verein­ba­rung über die Ausfuhr von ukrai­ni­schem Getrei­de über das Schwar­ze Meer habe Russland seine Verpflich­tun­gen gebro­chen, teilte US-Außen­mi­nis­ter Antony Blinken am Samstag (Ortszeit) mit. «Dieser Angriff lässt ernste Zweifel an der Glaub­wür­dig­keit des russi­schen Engage­ments für die gestri­ge Verein­ba­rung aufkommen.»

Blinken kriti­sier­te, der Beschuss unter­gra­be die Arbeit der Verein­ten Natio­nen, der Türkei und der Ukrai­ne, um wichti­ge Nahrungs­mit­tel auf die Weltmärk­te zu bringen. Russland trage die Verant­wor­tung für die Verschär­fung der weltwei­ten Nahrungs­mit­tel­kri­se. Moskau habe der Verein­ba­rung zur Ausfuhr von Getrei­de zugestimmt und stehe nun in der Pflicht, sie vollstän­dig umzusetzen.

London wirft Russland irrefüh­ren­de Ankün­di­gung vor

Großbri­tan­ni­en wirft der russi­schen Führung irrefüh­ren­de Aussa­gen zu angeb­li­chen neuen Kriegs­zie­len in der Ukrai­ne vor. Russlands Außen­mi­nis­ter Sergej Lawrow hatte angesichts der Waffen­lie­fe­run­gen des Westens an die Ukrai­ne in dieser Woche mit der Einnah­me weite­rer Gebie­te in dem Land gedroht. «Das ist mit an Sicher­heit grenzen­der Wahrschein­lich­keit nicht wahr», hieß es am Sonntag in einem Update des briti­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums unter Berufung auf Geheimdienstinformationen.

Russland habe seinen Krieg nicht «ausge­wei­tet». Vielmehr sei es von Anfang an das Ziel der Invasi­on gewesen, auch andere Gebie­te als die Volks­re­pu­bli­ken Luhansk und Donezk zu beset­zen. Es sei realis­tisch, dass Lawrow mit seinen Äußerun­gen den Weg für Volks­ab­stim­mun­gen in weite­ren Gebie­ten zu ebnen, hieß es von den Briten.

Selen­skyj traf US-Politi­ker in Kiew

In Kiew traf sich Selen­skyj mit einer Delega­ti­on des US-Kongres­ses, die nach Angaben von Botschaf­te­rin Bridget Brink ihre Unter­stüt­zung für die Ukrai­ne bekräf­tig­te. Die US-Vertre­ter hatten auch die Kiewer Voror­te Irpin und Butscha besucht, wo russi­schen Besat­zern schwers­te Kriegs­ver­bre­chen und die Tötung vieler Zivilis­ten vorge­wor­fen wurden. «Die Ukrai­ner haben die Welt inspi­riert mit ihrem mutigen Wider­stand gegen Putins unrecht­mä­ßi­gen Krieg», sagte der US-Demokrat Adam Smith, Mitglied des Reprä­sen­tan­ten­hau­ses in Washing­ton. Kreml­chef Wladi­mir Putin hatte den Einmarsch in die Ukrai­ne Ende Febru­ar befohlen.

5000 Solda­tin­nen kämpfen für Ukrai­ne an der Front

In der ukrai­ni­schen Armee dienen laut Vizever­tei­di­gungs­mi­nis­te­rin Hanna Maliar mehr als 50.000 Frauen, mehr als 5000 von ihnen seien derzeit an der Front. Das sagte die Politi­ke­rin nach Angaben der Nachrich­ten­agen­tur Ukrin­form bei einem inter­na­tio­na­len Gipfel der First Ladies und Gentle­men in Kiew am Samstag. Von den 50.000 Frauen im ukrai­ni­schen Militär dienten insge­samt 38.000 als Solda­tin­nen, die übrigen gingen zivilen Aufga­ben nach.

Was heute wichtig wird

Nach den Raketen­an­grif­fen auf Odessa wird es weiter darum gehen, wie das am Freitag verein­bar­te Abkom­men über den ukrai­ni­schen Getrei­de­ex­port umgesetzt werden kann. Nach russi­schen Angaben wird es Tage dauern, bis die techni­schen Voraus­set­zun­gen dafür getrof­fen sind. Die Ukrai­ne hofft durch den Verkauf von etwa 20 Millio­nen Tonnen Weizen und Mais auf Milliardeneinnahmen.