KIEW (dpa) — Die Ukrai­ne beklagt, dass Moskau nicht nur Gebie­te beset­ze und Hunger schüre in der Welt — jetzt begin­ne auch noch ein Gas-Krieg gegen Europa, heißt es in Kiew. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sieht in der weite­ren Drosse­lung russi­scher Gaslie­fe­run­gen nach Europa eine Form von Moskaus «Terror» gegen den Westen. «Und dies ist ein offener Gas-Krieg, den Russland entfacht gegen das verein­te Europa», sagte Selen­skyj in seiner abend­li­chen Videobotschaft.

Russland mache es Europa damit absicht­lich schwer, sich auf den Winter vorzu­be­rei­ten. Das Land zeige damit einmal mehr, dass es sich nicht für das Schick­sal der Menschen inter­es­sie­re. Russland lasse die Menschen durch die Blocka­de ukrai­ni­scher Getrei­de­aus­fuh­ren hungern sowie unter Kälte, Armut und Besat­zung leiden.

«Das sind einfach nur verschie­de­ne Formen von Terror», sagte Selen­skyj mit Blick auf die Ankün­di­gung des russi­schen Gaskon­zerns Gazprom, von diesem Mittwoch an die Liefe­run­gen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 auf 20 Prozent der Kapazi­tät zu drosseln. Gazprom nannte als Grund, dass eine weite­re Gastur­bi­ne in die Repara­tur müsse. Deshalb werde die Leistung von derzeit 40 Prozent weiter reduziert auf 33 Millio­nen Kubik­me­ter Gas täglich, hieß es. Nord Stream 1 ist für Deutsch­land die wichtigs­te Versor­gungs­lei­tung mit Gas aus Russland.

Vertre­ter von EU-Staaten haben sich nach Infor­ma­tio­nen der Deutschen Presse-Agentur unter­des­sen auf einen Notfall­plan zur Senkung des Gaskon­sums verstän­digt. Er soll heute bei einem Sonder­tref­fen der Energie­mi­nis­ter in Brüssel offizi­ell bestä­tigt werden.

Selen­skyj fordert weite­re Sanktio­nen gegen Russland

Die Drosse­lung der Gaslie­fe­run­gen sei für Europa eine weite­re Bedro­hung, sagte Selen­skyj. Deshalb müsse der Westen zurück­schla­gen. Statt an eine Rückga­be der bereits reparier­ten Gastur­bi­ne zu denken, sollten die Sanktio­nen gegen Russland weiter verschärft werden. «Tun Sie alles, um Russlands Einnah­men nicht nur aus Gas und Öl zu reduzie­ren, sondern auch aus anderen Expor­ten, die noch bleiben», sagte er.

Selen­skyj warnte, jede weite­re Handels­be­zie­hung sei ein «poten­zi­el­les Mittel des Drucks für Russland». Es steht seit langem im Ruf, sein Gas als «geopo­li­ti­sche Waffe» einzu­set­zen. Ein Teil des Gases aus Russland wird trotz des Krieges weiter durch die Ukrai­ne nach Westeu­ro­pa gepumpt.

Ukrai­ni­sche Truppen im Donbass unter neuem Kommando

Staats­chef Selen­skyj setzte nach größe­ren Gebiets­ver­lus­ten seit Beginn des russi­schen Einmar­sches einen neuen Befehls­ha­ber der Streit­kräf­te in der Ostukrai­ne ein: Viktor Horen­ko soll die Truppen komman­die­ren. Per Dekret entließ er den 44 Jahre alten General­ma­jor Hryho­rij Halahan, der in den Geheim­dienst versetzt werde. Er wurde demnach zum stell­ver­tre­ten­den Chef des für Terror­be­kämp­fung zustän­di­gen Zentrums des Geheim­diens­tes SBU ernannt.

Nach Russlands Einmarsch im Febru­ar hat die Ukrai­ne nun die Kontrol­le über das Gebiet Luhansk komplett verlo­ren. Das benach­bar­te Donez­ker Gebiet wurde etwa zur Hälfte von russi­schen Truppen erobert. Vor dem 24. Febru­ar waren nur knapp 30 Prozent der Gebie­te von prorus­si­schen Separa­tis­ten kontrol­liert worden. Selen­skyj hatte unlängst beklagt, dass Kiew bereits 20 Prozent des ukrai­ni­schen Staats­ge­biets nicht mehr unter Kontrol­le habe.

Selen­skyj fordert wieder­holt schwe­re Waffen vom Westen, um Russlands Vormarsch zu stoppen und besetz­te Gebie­te zurück­zu­er­obern. Laut dem Einsatz­kom­man­do Süd hat die ukrai­ni­sche Armee sechs Flugab­wehr­sys­te­me des Typs Stormer HVM aus Großbri­tan­ni­en erhal­ten. Wie die schon gelie­fer­ten deutschen Gepard-Flugab­wehr­pan­zer dienen sie vor allem der Luftver­tei­di­gung von Truppen­ver­bän­den im Nahbereich.

Ringen um Getrei­de­lie­fe­run­gen geht weiter

In der Ukrai­ne laufen weiter Vorbe­rei­tun­gen für die Ausfuhr von Getrei­de aus den Schwarz­meer­hä­fen. «Wir erwar­ten, dass sich das erste Schiff inner­halb der kommen­den Tage bewegen könnte», sagte ein UN-Sprecher. Der Erfül­lung der Verein­ba­rung von Istan­bul vom Freitag stehe von russi­scher Seite nichts im Wege, sagte Moskaus Außen­mi­nis­ter Sergej Lawrow bei seinem Besuch in der Republik Kongo.

In dem Abkom­men am Freitag hatte Russland zugesi­chert, Schif­fe für den Export über einen Seekor­ri­dor fahren zu lassen und nicht zu beschie­ßen. Auch die betei­lig­ten Häfen Odessa, Tschor­no­morsk und Jusch­ny dürfen nicht angegrif­fen werden. Es geht unter anderem um die Ausfuhr von Millio­nen Tonnen Getrei­de. Die unter der Vermitt­lung der UN und der Türkei unter­zeich­ne­te Einigung sieht vor, die Expor­te von einem Kontroll­zen­trum in Istan­bul überwa­chen zu lassen.

Paral­lel zu dem Korn-Abkom­men wurde auch ein Memoran­dum mit Russland unter­zeich­net. Nach Darstel­lung Moskaus wird darin festge­hal­ten, dass sich die UN für eine Locke­rung von Sanktio­nen einset­zen wollen, die indirekt Russlands Getrei­de- und Dünger-Export beschrän­ken. Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin hatte mit Blick auf den Export von ukrai­ni­schem Getrei­de von einer Paket­lö­sung gesprochen.

Die UN bestä­tig­ten dies bislang aller­dings nicht. Die Dokumen­te seien «nicht öffent­lich» und würden nur dann öffent­lich gemacht, wenn alle Betei­lig­ten zustimm­ten, hieß es von den UN. Am Freitag hatten die UN ledig­lich schrift­lich festge­hal­ten, dass das Abkom­men auf dem Grund­satz beruhe, «dass die gegen die Russi­sche Födera­ti­on verhäng­ten Maßnah­men auf diese Erzeug­nis­se keine Anwen­dung finden».

Aus EU-Sicht ist das bereits gegeben. So wurde etwa erst am Donners­tag in einem EU-Beschluss bekräf­tigt, dass sich keine Sankti­ons­maß­nah­me «in irgend­ei­ner Weise gegen den Handel mit landwirt­schaft­li­chen Erzeug­nis­sen und Lebens­mit­teln, einschließ­lich Weizen und Dünge­mit­teln, zwischen Dritt­län­dern und Russland» richtet.

Konkret ist etwa geregelt, dass für den Kauf, die Einfuhr und den Trans­port erfor­der­li­che Trans­ak­tio­nen gestat­tet sind. Zudem gilt, dass russi­sche Handels­schif­fe, die landwirt­schaft­li­che Erzeug­nis­se und Lebens­mit­tel trans­por­tie­ren, weiter Häfen in der EU nutzen dürfen. Russland beklagt hinge­gen, dass es durch die Folgen der Sanktio­nen massi­ve Einschrän­kun­gen für seinen inter­na­tio­na­len Schiffs­ver­kehr und die Abwick­lung von Zahlun­gen gebe. Als Beispiel nennt Moskau, dass Schif­fe nicht mehr versi­chert werden können.

Was heute wichtig wird

Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock besucht Tsche­chi­en und die Slowa­kei. Dort will die Grüne auch über den Ukrai­ne-Krieg sprechen. Tsche­chi­en hat seit dem 1. Juli die EU-Ratsprä­si­dent­schaft inne. Mit den Nato- und EU-Partnern koope­riert Deutsch­land auch, um die Ukrai­ne mit Waffen zu versorgen.

Nachdem Vertre­ter von EU-Staaten sich auf einen Notfall­plan zur Senkung des Gaskon­sums verstän­digt haben, soll dieser bei einem Sonder­tref­fen der Energie­mi­nis­ter in Brüssel offizi­ell bestä­tigt werden. Damit sollen die Risiken im Falle einer vollstän­di­gen Unter­bre­chung russi­scher Gaslie­fe­run­gen reduziert werden.