KIEW (dpa) – Der Beschuss des größten AKW Europas sorgt für diplo­ma­ti­sche Verwick­lun­gen. Kiew will als Strafe Sanktio­nen gegen Moskau. Bei den Gefech­ten gelin­gen der Ukrai­ne nach eigenen Angaben Teil-Erfol­ge. Die Entwicklungen.

Im Ringen um die Sicher­heit des beschos­se­nen ukrai­ni­schen Atomkraft­werks (AKW) Saporischschja sieht Moskau die Verein­ten Natio­nen am Zug. Aufga­be des UN-Sekre­ta­ri­ats sei es, «grünes Licht zu geben für einen Besuch des AKW von Exper­ten und Exper­tin­nen der Inter­na­tio­na­len Atomener­gie-Organi­sa­ti­on (IAEA), sagte der russi­sche Diplo­mat Michail Uljanow in einem Inter­view der russi­schen staat­li­chen Nachrich­ten­agen­tur Tass.

Die Ukrai­ne ihrer­seits fordert Sanktio­nen gegen die russi­sche Atomin­dus­trie. Bei den Gefech­ten gelin­gen Kiew nach eigenen Angaben immer wieder Teil-Erfol­ge. Aller­dings habe Moskau im Süden des Donbass «kolos­sa­le Kräfte» zusam­men­ge­zo­gen, sagte Präsi­dent Wolodym­yr Selenskyj.

Moskau sieht UN bei Saporischschja die UN in der Pflicht

Uljanow, der Moskau bei den UN vertritt, erklär­te, der Exper­ten-Besuch sei praktisch vorbe­rei­tet gewesen. «Das UN-Sekre­ta­ri­at hat ihn im letzten Moment blockiert, ohne die Gründe dafür zu erklä­ren», so der Diplo­mat. Dem Verneh­men nach hatten die UN eine Reise von IAEA-Chef Rafael Grossi nicht nur aus Sicher­heits­grün­den bisher nicht erlaubt, sondern auch weil es Streit gibt um den Reise­weg. Grossi könnte zum Ärger der Ukrai­ne etwa unter russi­schem Schutz über die von Moskau 2014 annek­tier­te Schwarz­meer-Halbin­sel Krim anrei­sen. Die Ukrai­ne und Russland werfen sich seit Wochen gegen­sei­tig vor, Europas größtes Kernkraft­werk zu beschie­ßen und damit eine atoma­re Katastro­phe heraufzubeschwören.

Wieder Artil­le­rie­be­schuss in Nähe von AKW

In der ukrai­ni­schen Stadt Enerho­dar am AKW Saporischschja sind am Sonntag erneut Artil­le­rie­ge­schos­se einge­schla­gen. Das teilten russi­sche wie ukrai­ni­sche Quellen mit. Beide Seiten machten jeweils die andere für den Beschuss verant­wort­lich. Überein­stim­mend wurde berich­tet, dass ein Zivilist getötet worden sei.

«Die Natio­na­lis­ten der Ukrai­ne haben ein Wohnge­biet von Enerho­dar mit Raketen beschos­sen», teilte die russi­sche Besat­zungs­ver­wal­tung der Agentur Tass zufol­ge mit. Der ukrai­ni­sche Bürger­meis­ter der Stadt, Dmytro Orlow, sprach von einer «mörde­ri­schen Provo­ka­ti­on» der Besat­zer. Unabhän­gi­ge Bestä­ti­gun­gen des Vorfalls gibt es nicht.

Kiew will Sanktio­nen gegen russi­sche Atomindustrie

Angesichts der Kämpfe um das AKW Saporischschja fordert der ukrai­ni­sche Präsi­dent Selen­skyj den Westen zu Sanktio­nen gegen Russlands Atomin­dus­trie auf. Die Straf­maß­nah­men müssten die Nukle­ar­in­dus­trie des Aggres­sor­staa­tes treffen, sagte Selen­skyj in einer am Samstag­abend verbrei­te­ten Video­an­spra­che. Die Atommacht Russland baut oder betreibt in mehre­ren Ländern Kernkraft­wer­ke und lagert auch radio­ak­ti­ven Müll bei sich. Russland benut­ze das AKW im Süden der Ukrai­ne, um die ukrai­ni­sche Führung und die ganze Welt zu erpres­sen, sagte Selenskyj.

Ukrai­ne sieht Erfol­ge in Südukraine

Laut Selen­skyj ist die Lage im Osten der Ukrai­ne weiter schwie­rig, aber ohne große Verän­de­run­gen. Beson­ders die Region Charkiw werde immer wieder angegrif­fen, die Vertei­di­gung aber halte. Russland habe im Donbass indes «kolos­sa­le Ressour­cen» an Artil­le­rie, Perso­nal und Ausrüs­tung aufge­fah­ren. Im Süden gelingt es laut Selen­skyj dem ukrai­ni­schen Militär aber immer wieder, den «russi­schen Okkupan­ten» Schlä­ge zu verset­zen. So sei die Autobrü­cke des Staudamms Nowa Kachow­ka im Gebiet Cherson nach mehre­ren Angrif­fen nicht mehr befahr­bar. Obendrein sei nun die letzte der drei einzi­gen Fluss­que­run­gen über den Dnipro zerstört worden. Damit soll der Nachschub für Teile der russi­schen Armee verhin­dert werden.

Russland beschießt Dutzen­de Ortschaften

Russland hat bei neuen Raketen- und Artil­le­rie­an­grif­fen im Osten der Ukrai­ne nach eigenen Angaben Ziele in Dutzen­den Ortschaf­ten beschos­sen. Die Attacken konzen­trier­ten sich auf die Region Donezk, im benach­bar­ten Gebiet Charkiw sei die Ortschaft Udy einge­nom­men worden, teilte das russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um am Sonntag in Moskau mit.

Getrei­de­trans­por­te laufen und bringen Einnahmen

Als gute Nachricht bezeich­ne­te Selen­skyj den Trans­port von ukrai­ni­schem Getrei­de und Lebens­mit­teln über die Häfen im Schwar­zen Meer. Inzwi­schen seien 16 Schif­fe mit Mais, Weizen, Soja, Sonnen­blu­men­öl und anderen Produk­ten ausge­lau­fen, um die Lage auf dem globa­len Lebens­mit­tel­markt zu entspan­nen. Die Einnah­men aus dem Verkauf kämen dem Staat und den Landwir­ten zugute, die nun die neue Saat ausbrin­gen könnten, sagte Selen­skyj. «Das ist ein wichti­ges Element auf dem Weg zum Sieg», sagte er.

Kiew will Verfol­gung russi­scher Kriegs­ver­bre­chen vorantreiben

Die Ukrai­ne hat um inter­na­tio­na­le Hilfe für die Verfol­gung mögli­cher Kriegs­ver­bre­chen gebeten. Es müsse eine inter­na­tio­na­le Koali­ti­on gebil­det werden, um die bluti­gen Taten zu verfol­gen, beton­te Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Olekxij Resni­kow. Er bezog sich beson­ders auf das Schick­sal von ukrai­ni­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen, die in russi­scher Haft massen­haft getötet und gefol­tert würden. «Ich zweife­le nicht daran, dass wir nach dem Sieg der Ukrai­ne in diesem Krieg auf dem einen oder anderen Weg jeden aufspü­ren werden, der an den barba­ri­schen Morden und der Folter betei­ligt ist», sagte Resni­kow. Dabei sollten nicht nur die Täter selbst, sondern die Befehls­ge­ber und jene, die solche Verbre­chen recht­fer­tig­ten, bestraft werden.

Amnes­ty kündigt Prüfung seines Ukrai­ne-Reports an

Die Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Amnes­ty Inter­na­tio­nal will nach hefti­ger Kritik an ihrem Bericht zur Kriegs­füh­rung der ukrai­ni­schen Armee dessen Entste­hungs­pro­zess aufar­bei­ten. Man werde von exter­nen Exper­ten eine gründ­li­che Prüfung des Vorgangs durch­füh­ren lassen, heißt es in einem der Deutschen Presse-Agentur am Samstag vorlie­gen­den State­ment der Organi­sa­ti­on. In dem Bericht hatte Amnes­ty der ukrai­ni­schen Armee vorge­wor­fen, sich in Wohnvier­teln zu verschan­zen und damit Zivilis­ten unnötig in Gefahr zu bringen. Kiew kriti­sier­te, die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on habe durch den Fokus auf Verfeh­lun­gen der Armee des angegrif­fe­nen Landes eine Täter-Opfer-Verkeh­rung betrie­ben. Kriti­ker stell­ten auch die Metho­dik des Berichts teilwei­se in Frage.