MOSKAU/KIEW/BERLIN (dpa) — Die Zukunft der Exper­ten­mis­si­on des umkämpf­ten Atomkraft­werks Saporischschja ist ungewiss. Und Selen­skyj wirft Russland vor, einen «Energie­krieg» gegen Europa zu führen. Die News im Überblick.

Deutsch­land bekommt praktisch kein Gas aus Russland mehr. Der Staats­kon­zern Gazprom lässt alle Liefe­run­gen durch die Pipeline Nord Stream 1 nun bis auf Weite­res ruhen — angeb­lich wegen techni­scher Probleme.

Vermu­tet wird, dass Kreml­chef Wladi­mir Putin damit den Westen — und insbe­son­de­re Deutsch­land — im Konflikt um die Ukrai­ne noch mehr unter Druck setzen will. Auch Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) machte Putin am Sonntag persön­lich verant­wort­lich. Zugleich versuch­te er, Sorgen vor einem Energie-Notstand zu entkräf­ten. Er versi­cher­te: «Wir werden durch diesen Winter kommen.»

In der Ukrai­ne liefer­ten sich beide Seiten nach mehr als einem halben Jahr Krieg über das Wochen­en­de weiter­hin schwe­re Kämpfe. Im Süden des Landes versuch­ten die ukrai­ni­schen Truppen, Gelän­de von den russi­schen Besat­zern zurück­zu­ge­win­nen. Beide Seiten berich­te­ten von Erfol­gen — was wie viele Angaben von der Front von unabhän­gi­ger Seite kaum zu überprü­fen ist. Inter­na­tio­nal wird die Lage im südukrai­ni­schen Atomkraft­werk Saporischschja mit beson­de­rer Sorge verfolgt. Am Sonntag war ungewiss, ob Exper­ten der Inter­na­tio­na­len Atomener­gie­or­ga­ni­sa­ti­on (IAEA) dort bleiben können.

Scholz: Russland ist «kein zuver­läs­si­ger Energie­lie­fe­rant mehr»

Den Liefer­stopp begrün­de­te Gazprom am Samstag mit auslau­fen­dem Öl in einer Kompres­sor­sta­ti­on. Erst wenn das Problem behoben sei, könne wieder Gas fließen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gab den Europä­ern und deren Sankti­ons­po­li­tik die Schuld. Diese weiger­ten sich, die Anlagen von Gazprom zu warten.

Im Westen hatten einige mit einer solchen Entwick­lung gerech­net. Kanzler Scholz sagte dazu in Berlin: «Putins Russland ist vertrags­brü­chig gewor­den.» Das Land sei «kein zuver­läs­si­ger Energie­lie­fe­rant mehr». Auch die Bundes­netz­agen­tur äußer­te Zweifel an der russi­schen Begrün­dung. EU-Ratsprä­si­dent Charles Michel versi­cher­te: «Die Nutzung von Gas als Waffe wird an der Entschlos­sen­heit der EU nichts ändern.»

Selen­skyj sieht Russland im «Energie­krieg» gegen Europa

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj warf Putin vor, mittler­wei­le auch einen «Energie­krieg» gegen Europa zu führen. «Russland will das norma­le Leben jedes Europä­ers zerstö­ren — in allen Ländern unseres Konti­nents», sagte er in einer Video­an­spra­che. Im von russi­schen Truppen besetz­ten AKW Saporischschja — dem größten in Europa — wurde nach Angaben der IAEA die Strom­ver­bin­dung über die Haupt­lei­tun­gen gekappt. Die Anlage hänge nur noch über ein Reser­ve­ka­bel am Netz. Inter­na­tio­nal gibt es zuneh­mend Ängste, dass es zu einem Nukle­ar­un­glück kommt.

Zukunft von Exper­ten­mis­si­on in AKW ungewiss

Das russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um beschul­dig­te die ukrai­ni­sche Armee, trotz der Anwesen­heit inter­na­tio­na­ler Exper­ten einen Angriff auf das AKW mit 250 Solda­ten und «auslän­di­schen Söldnern» gestar­tet zu haben — jedoch ohne Erfolg. Beide Seiten werfen sich schon seit Wochen vor, die Anlage trotz aller Risiken zu beschie­ßen. Ungewiss war, ob die seit Donners­tag laufen­de IAEA-Beobach­tung in dem Werk weiter­ge­führt werden kann. Geplant ist, dass mindes­tens zwei neutra­le Exper­ten im AKW bleiben.

Ukrai­ne bietet Deutsch­land Atomstrom an

Der ukrai­ni­sche Minis­ter­prä­si­dent Denys Schmyhal bot an, Deutsch­land in diesem Winter mit Atomstrom aus der Ukrai­ne zu unter­stüt­zen. «Derzeit expor­tiert die Ukrai­ne ihren Strom nach Moldau, Rumäni­en, in die Slowa­kei und nach Polen. Aber wir sind durch­aus bereit, unsere Expor­te auf Deutsch­land zu erwei­tern», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Am Sonntag war Schmyhal für Treffen mit Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er und Kanzler Scholz zu Besuch in Berlin.

Russen und Ukrai­ner im Artilleriegefecht

Der ukrai­ni­sche General­stab berich­te­te nach Berich­ten über Explo­sio­nen in der vom russi­schen Militär besetz­ten Großstadt Cherson, den Stütz­punkt einer Spezi­al­ein­heit moskau­treu­er Truppen zerstört zu haben. In der Region im Süden des Landes versu­chen die Ukrai­ner, die Russen hinter den Fluss Dnipro zurück­zu­trei­ben. Derweil habe die russi­sche Armee versucht, in der Region Donbass voran­zu­kom­men, melde­te der General­stab weiter. Alle Angrif­fe seien aber abgewehrt worden.

Moskau spricht von hohen ukrai­ni­schen Verlusten

Nach russi­schen Angaben erlei­det das ukrai­ni­sche Militär bei seiner Gegen­of­fen­si­ve im Süden hohe Verlus­te. Alle Versu­che, sich im Raum zwischen Mykola­jiw und Krywyj Rih festzu­set­zen, seien erfolg­los geblie­ben, berich­te­te das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um. Dabei habe die Ukrai­ne 23 Panzer und 27 Kampf­fahr­zeu­ge verlo­ren. Zudem sollen mehr als 230 Solda­ten getötet worden sein. Die Ukrai­ne wieder­um berich­te­ten von zerstör­ten russi­schen Anlagen. Auch diese Angaben ließen sich nicht unabhän­gig überprüfen.

Von Chris­toph Sator und André Ballin, dpa