KIEW (dpa) — Neue Verhand­lungs­run­de in der Türkei +++ Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj spricht von einer «angespann­ten Lage» +++ Kreml tritt Speku­la­tio­nen zum Atomwaf­fen­ein­satz entge­gen +++ Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Rund vierein­halb Wochen nach der russi­schen Invasi­on in die Ukrai­ne haben sich Delega­tio­nen aus der Ukrai­ne und Russland zu einer neuen Verhand­lungs­run­de in Istan­bul getroffen.

Der türki­sche Präsi­dent Recep Tayyip Erdogan begrüß­te die Verhand­ler im Dolmabah­ce-Büro des Präsi­den­ten. Danach wollten die beiden Delega­tio­nen zu Gesprä­chen zusam­men­kom­men. Es sei in den Händen beider Seiten, die «Tragö­die» zu beenden, sagte Erdogan. Von einem sofor­ti­gen Waffen­still­stand würden alle profitieren.

Die Unter­händ­ler aus der Ukrai­ne und aus Russland haben sich bereits dreimal im Grenz­ge­biet von Belarus getrof­fen. Danach wurden die Gesprä­che in Video­schal­ten abgehalten.

Erdogan, der gute Bezie­hun­gen zu Kiew und Moskau unter­hält, hatte sich gestern optimis­tisch gezeigt. Die Verhand­lun­gen zwischen der ukrai­ni­schen und der russi­schen Delega­ti­on gestal­ten sich aber äußerst schwie­rig. Kiew will einen Abzug der russi­schen Truppen und Sicher­heits­ga­ran­tien. Moskau fordert einen Nato-Verzicht der Ukrai­ne sowie eine Anerken­nung der abtrün­ni­gen ostukrai­ni­schen Separa­tis­ten­ge­bie­te als eigene Staaten und der 2014 annek­tier­ten Schwarz­meer-Halbin­sel Krim als Teil Russlands.

Selen­skyj: Lage «sehr schwierig»

Derweil gehen die Kämpfe der Ukrai­ne und Russland um viele ukrai­ni­sche Städte weiter. Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj spricht von einer angespann­ten Lage, trotz mancher militä­ri­scher Erfol­ge der Ukrai­ner. Selen­skyj zufol­ge wurden die russi­schen Einhei­ten aus der wochen­lang umkämpf­ten Stadt Irpin bei Kiew zurück­ge­schla­gen. Die Kämpfe dauer­ten jedoch dort und auch in anderen Landes­tei­len weiter an. Russi­sche Truppen hielten den Norden des Kiewer Gebiets unter ihrer Kontrol­le, verfüg­ten über Ressour­cen und Kräfte.

Sie versuch­ten, zerschla­ge­ne Einhei­ten wieder aufzu­bau­en. Auch in den Gebie­ten Tscher­ni­hiw, Sumy, Charkiw, Donbass und im Süden der Ukrai­ne bleibe die Lage «sehr schwie­rig». Selen­skyj forder­te erneut schär­fe­re Sanktio­nen gegen Russland wegen des vor über einem Monat begon­ne­nen Angriffskrieges.

Die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te versu­chen nach eigenen Angaben an mehre­ren Orten, Angrif­fe russi­scher Einhei­ten abzuweh­ren. Man sei dabei, den russi­schen Vormarsch auf die Großstadt Slowjansk im Gebiet Donezk im Südos­ten des Landes sowie auf die rund eine Autostun­de entfern­te Klein­stadt Barwin­kowe im Gebiet Charkiw zu stoppen, heißt es im Lagebe­richt des ukrai­ni­schen General­stabs, der auf Facebook veröf­fent­licht wurde.

Kreml: Keine Pläne für Atomwaffen-Einsatz

Kreml­spre­cher Dmitri Peskow trat derweil Speku­la­tio­nen entge­gen, Moskau könne im Ukrai­ne-Krieg Atomwaf­fen einset­zen. «Niemand in Russland denkt an den Einsatz oder auch nur an die Idee eines Einsat­zes von Atomwaf­fen», sagte er in einem Inter­view mit dem US-Fernseh­sen­der PBS. Russland greife zum Atomwaf­fen­ar­se­nal nur bei einer «Bedro­hung der Existenz» einset­zen werde.

Die staat­li­che Existenz Russlands und die Ereig­nis­se in der Ukrai­ne hätten «nichts mitein­an­der zu tun». Die Sorge im Westen über mögli­che Atomwaf­fen­plä­ne Moskaus war gestie­gen, als Putin zum Auftakt des Angriffs­krie­ges in der Ukrai­ne eine erhöh­te Alarm­be­reit­schaft der russi­schen Nukle­ar­streit­kräf­te anordnete.

Keine Schäden an Nukle­ar­ma­te­ri­al in Charkiw

Bei kürzli­chem Beschuss hat eine nuklea­re Forschungs­ein­rich­tung in der ostukrai­ni­schen Stadt Charkiw zwar Schäden erlit­ten, ihre gerin­ge Menge an Nukle­ar­ma­te­ri­al aber ist intakt geblie­ben. Das teilte der Direk­tor der Inter­na­tio­na­len Atomener­gie­be­hör­de (IAEA), Rafael Grossi, am Montag­abend unter Berufung auf Infor­ma­tio­nen der ukrai­ni­schen Atomauf­sichts­be­hör­de mit.

Kiew kündigt drei Flucht­kor­ri­do­re an

Die ukrai­ni­sche Regie­rung hat eigenen Angaben zufol­ge fürheu­te mit den russi­schen Truppen drei Flucht­kor­ri­do­re für die Evaku­ie­rung von Zivilis­ten ausge­han­delt. Aus der belager­ten Hafen­stadt Mariu­pol im Gebiet Donezk soll es möglich sein, mit priva­ten Autos über Berdjansk nach Saporischschja zu fahren, sagte Vizere­gie­rungs­chefin Iryna Werescht­schuk. Zudem seien 34 Busse von Saporischschja nach Berdjansk am Asowschen Meer unter­wegs. Diese sollen Menschen aus Mariu­pol mitneh­men, die eigen­stän­dig in das knapp 70 Kilome­ter entfern­te Berdjansk gelangt sind. Angaben örtli­cher Behör­den zufol­ge harren in Mariu­pol von den einst 440.000 Einwoh­nern immer noch mehr als 100.000 aus.

Halbe Milli­on Ukrai­ner seit Kriegs­be­ginn zurückgekehrt

Seit Beginn des russi­schen Angriffs­krie­ges sind nach Angaben der ukrai­ni­schen Grenz­po­li­zei rund 510.000 Menschen aus dem Ausland zurück­ge­kehrt. Allein in der vergan­ge­nen Woche seien es 110.000 Menschen gewesen, sagte ein Sprecher der Behör­de der Tages­zei­tung «Welt».

Acht von zehn Einrei­sen­den seien Männer. Die meisten kämen aus Polen. Vor Beginn des Krieges lebten rund 44 Millio­nen Menschen in der Ukrai­ne. Rund 3,9 Millio­nen Menschen sind nach Angaben des UN-Flücht­lings­hilfs­wer­kes UNHCR ins Ausland geflüchtet.