KIEW/MOSKAU (dpa) — Gerade erst hat Moskau die Annexi­on von vier ukrai­ni­schen Gebie­ten besie­gelt, da verkün­det Kiew neue militä­ri­sche Erfol­ge. In Donezk sollen russi­sche Truppen einge­kes­selt sein. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Wenige Stunden nach der Annexi­on mehre­rer Gebie­te durch Russland hat der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj Erfol­ge seiner Armee im Osten des Landes verkün­det. «Jeder hat gehört, was in Lyman passiert», sagte Selen­skyj in einer Video­an­spra­che in der Nacht mit Blick auf die strate­gisch wichti­ge Klein­stadt im gerade erst von Moskau einver­leib­ten Gebiet Donezk. Zuvor hatte bereits der Donez­ker Besat­zungs­chef Denis Puschi­lin die fast komplet­te Einschlie­ßung russi­scher Truppen in Lyman durch ukrai­ni­sche Solda­ten eingestanden.

Mehr als sieben Monate nach Kriegs­be­ginn hatte Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin am Freitag neben Donezk auch die ukrai­ni­schen Gebie­te Luhansk, Cherson und Saporischschja annek­tiert. Inter­na­tio­nal wird dieser völker­rechts­wid­ri­ge Schritt nicht anerkannt.

Die USA verkün­de­ten angesichts der jüngs­ten Eskala­ti­on durch Moskau neue Sanktio­nen gegen Russland. Die Ukrai­ne selbst hofft auf ein beschleu­nig­tes Aufnah­me­ver­fah­ren in die Nato. Am Abend gab es zwischen­zeit­lich in allen Teilen des angegrif­fe­nen Landes Luftalarm. Samstag ist der 220. Tag des Krieges.

Selen­skyj stellt Antrag auf beschleu­nig­ten Nato-Beitritt

Unmit­tel­bar nach der Annexi­on der vier Gebie­te seines Landes kündig­te Selen­skyj an, einen beschleu­nig­ten Beitritt der Ukrai­ne zur Nato beantra­gen zu wollen. «Faktisch haben wir unseren Weg in die Nato schon beschrit­ten», sagte er. «Heute stellt die Ukrai­ne den Antrag, um es auch de jure zu tun», fügte er hinzu.

Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg beton­te darauf­hin die Politik der offenen Tür des Vertei­di­gungs­bünd­nis­ses. «Wir haben immer wieder erklärt, dass die Tür der Nato offen bleibt», sagte der Norwe­ger. Eine Entschei­dung müsse aber von allen Mitglied­staa­ten im Konsens getrof­fen werden. Derzeit konzen­trie­re man sich auf die unmit­tel­ba­re Unter­stüt­zung der Ukrai­ne. «Das ist das Haupt­au­gen­merk und die Haupt­an­stren­gung der Nato-Verbün­de­ten», so Stoltenberg.

Stolten­berg sieht größte Eskala­ti­on seit Beginn des Kriegs

Stolten­berg bezeich­ne­te das jüngs­te Vorge­hen Russlands im Krieg gegen die Ukrai­ne als schwers­te Eskala­ti­on seit Beginn der Invasi­on am 24. Febru­ar. «Das ist ein entschei­den­der Moment», sagte er in Brüssel. Der Nato-Chef verwies neben den Annexio­nen auch auf die Teilmo­bi­li­sie­rung Russlands sowie auf nuklea­res Säbel­ras­seln. «Nichts davon zeugt von Stärke. Es zeigt Schwä­che.» Dies sei ein Einge­ständ­nis, dass der Krieg nicht nach Plan verlau­fe und Russlands Präsi­dent Putin bei seinen strate­gi­schen Zielen völlig versagt habe.

Die US-Regie­rung bekräf­tig­te, dass sie die Annexi­on ukrai­ni­scher Gebie­te durch Russland keines­wegs akzep­tie­ren werde. Auch die G7-Gruppe führen­der Indus­trie­staa­ten verur­teil­te die Einver­lei­bung der vier besetz­ten ukrai­ni­schen Gebie­te als «einen neuen Tiefpunkt der eklatan­ten Missach­tung des Völker­rechts durch Russland».

USA verkün­den weite­re Sanktio­nen gegen Russland

Als Reakti­on auf die russi­sche Annexi­on der vier besetz­ten ukrai­ni­schen Gebie­te verhän­gen die USA weite­re Sanktio­nen gegen Russland. Die Straf­maß­nah­men richten sich unter anderem gegen weite­re russi­sche Regie­rungs­ver­tre­ter, deren Famili­en­mit­glie­der sowie Angehö­ri­ge des Militärs, wie die US-Regie­rung in Washing­ton mitteil­te. Die Liste umfasst Hunder­te Perso­nen — und auch Firmen. Betrof­fen sind demnach ebenso Netzwer­ke für die Beschaf­fung von Vertei­di­gungs­gü­tern, einschließ­lich inter­na­tio­na­ler Lieferanten.

Zudem passier­te der US-Zwischen­haus­halt, der Milli­ar­den­hil­fen für die Ukrai­ne enthält, den Kongress. Präsi­dent Joe Biden setzte den beschlos­se­nen Etat mit seiner Unter­schrift in Kraft. Das bis Mitte Dezem­ber angeleg­te Budget sieht militä­ri­sche und wirtschaft­li­che Unter­stüt­zung für die Ukrai­ne in Höhe von rund 12,3 Milli­ar­den Dollar (12,5 Mrd Euro) vor.

30 Tote bei Beschuss von zivilem Autokon­voi in Saporischschja

Bei einem Raketen­an­griff auf einen zivilen Autokon­voi in der südukrai­ni­schen Stadt Saporischschja wurden nach ukrai­ni­schen Angaben 30 Menschen getötet. Weite­re 88 Menschen wurden laut Polizei­an­ga­ben verletzt. Der Gouver­neur der Gebiets­ver­wal­tung von Saporischschja, Olexan­der Staruch, machte russi­sche Truppen für den Angriff verant­wort­lich. Unabhän­gig sind die Angaben nicht zu überprüfen.

Protest gegen Russland bei Unesco-Konfe­renz in Mexiko

Zum Abschluss einer Unesco-Konfe­renz in Mexiko-Stadt haben die Vertre­ter von 48 Ländern gegen Russlands Angriffs­krieg in der Ukrai­ne protes­tiert. Dutzen­de Delegier­te verlie­ßen am Freitag (Ortszeit) vorüber­ge­hend den Saal, als der russi­sche Vertre­ter sich zu Wort melde­te. An der Konfe­renz der UN-Organi­sa­ti­on für Bildung, Wissen­schaft und Kultur nahmen Vertre­ter aus rund 120 Staaten teil. In einer gemein­sa­men Erklä­rung riefen zunächst die Delegier­ten der EU, Kanadas, der USA, Japans und anderer Staaten Russland dazu auf, sich aus der Ukrai­ne zurück­zu­zie­hen. Sie pranger­ten auch die Beschä­di­gung und Plünde­rung von Kultur­stät­ten in der Ukrai­ne an.

Was am Samstag wichtig wird

Ungeach­tet der jüngs­ten russi­schen Annexio­nen versucht die Ukrai­ne weiter, den besetz­ten Teil ihres Landes zu befrei­en. Ein beson­de­rer Fokus dürfte auf den nun weitge­hend einge­kes­sel­ten russi­schen Truppen in Lyman im Donez­ker Gebiet in der Ostukrai­ne liegen.