KIEW/LYMAN (dpa) — Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Selen­skyj betont, künfti­ge Kriege seien nur mit einem Sieg über den russi­schen Aggres­sor zu verhin­dern. In Lyman wurde ein Massen­grab entdeckt. Die Nachrich­ten im Überblick.

Nach dem Abzug russi­scher Truppen aus der Stadt Lyman im Osten der Ukrai­ne haben die Behör­den nach eigenen Angaben rund 200 Gräber und ein Massen­grab gefun­den. Mit den Exhumie­run­gen sei bereits begon­nen worden, schrieb der Militär­gou­ver­neur des Gebiets Donezk, Pawlo Kyryl­en­ko, am Freitag­abend in seinem Kanal im Nachrich­ten­dienst Telegram. Dazu veröf­fent­lich­te er Fotos, die viele kleine Holzkreu­ze und Einsatz­kräf­te in weißen Schutz­an­zü­gen zeigten. Die zeitwei­se von russi­schen Truppen besetz­te strate­gisch wichti­ge Klein­stadt war von den Ukrai­nern Anfang Oktober zurück­er­obert worden.

Bei den Toten könne es sich ersten Erkennt­nis­sen zufol­ge sowohl um ukrai­ni­sche Solda­ten als auch um Zivilis­ten handeln, hieß es. Wie viele Leichen in dem Massen­grab lägen, müsse erst noch ermit­telt werden. Polizei­an­ga­ben zufol­ge sollen unter den getöte­ten Menschen auch mehre­re Klein­kin­der und ganze Famili­en sein.

Bereits am vergan­ge­nen Mittwoch hatten ukrai­ni­sche Medien über den Fund Dutzen­der Gräber in Lyman berich­tet. Einige der Opfer sollen durch hefti­gen Beschuss im Zuge der russi­schen Erobe­rung des Ortes im Mai ums Leben gekom­men sein.

Schon in der Vergan­gen­heit waren nach dem Abzug russi­scher Truppen in verschie­de­nen Teilen der Ukrai­ne Massen­grä­ber gefun­den worden. Inter­na­tio­nal für beson­de­res Entset­zen sorgten Anfang April die Leichen­fun­de in der Kiewer Vorstadt Butscha. Dort waren Hunder­te getöte­ter Zivilis­ten gefun­den worden — einige mit Folter­spu­ren und gefes­sel­ten Händen. Butscha gilt seitdem als Symbol für schwers­te Kriegsverbrechen.

Selen­skyj sieht weite­re Fortschrit­te bei Kiews Offensive

Präsi­dent Selen­skyj sieht indes weite­re Fortschrit­te bei der Vertei­di­gungs­of­fen­si­ve der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te. In der vergan­ge­nen Woche seien 776 Quadrat­ki­lo­me­ter Land befreit worden; 29 Ortschaf­ten insge­samt, davon 6 im Gebiet Luhansk, sagte er. Wieder unter ukrai­ni­scher Kontrol­le seien Ortschaf­ten, in denen die Besat­zer unlängst noch Schein­re­fe­ren­den über einen Beitritt zu Russland abgehal­ten hatten. Seit Beginn der Offen­si­ve seien insge­samt 2434 Quadrat­ki­lo­me­ter und 96 Siedlun­gen wieder unter ukrai­ni­sche Kontrol­le gekom­men. Die Befrei­ung der Gebie­te gehe weiter, sagte er.

Die russi­schen Besat­zer müssten überall vertrie­ben und als Aggres­sor besiegt werden, sagte Selen­skyj. Nur so könnten Kriege in Zukunft verhin­dert werden. In einer neuen Reakti­on auf die Annexi­on ukrai­ni­scher Gebie­te durch Russland erkann­te Selen­skyj nun die Pazifik-Insel­grup­pe der südli­chen Kurilen als Hoheits­ge­biet Japans an. In einer Video­bot­schaft forder­te er die Weltge­mein­schaft auf, das russi­sche Gebiet ebenfalls als japanisch anzuerkennen.

Die im Norden von Japan gelege­nen Gebie­te hatte die Sowjet­uni­on als Sieger­macht im Zweiten Weltkrieg erobert. Japan und Russland als Rechts­nach­fol­ger der Sowjet­uni­on haben wegen des Terri­to­ri­al­streits bis heute keinen Friedens­ver­trag. «Russland hat kein Recht auf diese Gebie­te», sagte Selen­skyj nun.

Selen­skyj entschärft Aussa­gen zu «Präven­tiv­schlä­gen»

Zugleich entschärf­te Selen­skyj in einem Fernseh­in­ter­view seine umstrit­te­nen Aussa­gen zu einem «Präven­tiv­schlag» gegen Russland. «Man muss präven­ti­ve Tritte ausfüh­ren, keine Angrif­fe. Wir sind keine Terro­ris­ten, wir greifen kein anderes Terri­to­ri­um an», sagte Selen­skyj am Freitag in Kiew in einem BBC-Inter­view auf Englisch. Auch nach all dem Kriegs­leid sei die Ukrai­ne noch immer nicht bereit, «Menschen umzubrin­gen, so wie die Russen es tun».

Selen­skyj hatte am Donners­tag mit Forde­run­gen nach der entschie­de­nen Verhin­de­rung eines russi­schen Atomwaf­fen­ein­sat­zes für Aufse­hen gesorgt. Der Kreml in Moskau verur­teil­te die Aussa­gen scharf als «Aufruf zum Beginn des Dritten Weltkriegs».

Ausbil­dung ukrai­ni­scher Solda­ten von Deutsch­land unterstützt

Deutsch­land wird nach Angaben von Bundes­kanz­ler Olaf Scholz einen «wichti­gen Beitrag» zu der geplan­ten EU-Ausbil­dungs­mis­si­on für die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te leisten. Das sagte der SPD-Politi­ker am Freitag nach einem EU-Gipfel in Prag. Scholz beton­te, dass die Missi­on «einen großen Umfang» haben werde und er davon ausge­he, dass bereits in der nächs­ten Woche Entschei­dun­gen dazu bekannt gemacht werden könnten. Geplant wurde zuletzt, dass die EU außer­halb der Ukrai­ne für rund 15.000 ukrai­ni­sche Solda­ten Trainings­pro­gram­me anbie­tet, 2800 davon könnten Spezi­al­kräf­te sein.

Angesichts des russi­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne hatte der EU-Außen­be­auf­trag­te Josep Borrell im August ein neues Programm zur Ausbil­dung der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te ins Gespräch gebracht. Konkret könnte es nach frühe­ren Angaben Fortbil­dun­gen in Berei­chen wie Logis­tik und dem Schutz vor atoma­ren, biolo­gi­schen und chemi­schen Waffen umfassen.

Bereits heute bilden mehre­re EU-Staaten ukrai­ni­sche Solda­ten auf Basis natio­na­ler Abspra­chen aus. Deutsch­land engagier­te sich zuletzt vor allem in den Berei­chen Luftver­tei­di­gung und Artil­le­rie. Zudem wurde gemein­sam mit den Nieder­lan­den ein Vorschlag erarbei­tet, wie die Ausbil­dung zur Minen­ab­wehr verstärkt werden könnte.

Die Vorsit­zen­de des Vertei­di­gungs­aus­schus­ses im Bundes­tag, Marie-Agnes Strack-Zimmer­mann (FDP), sprach sich für eine Panzer­aus­bil­dung der ukrai­ni­schen Solda­ten in der EU aus. «Die Spani­er wären bereit, in Lettland die ukrai­ni­schen Solda­ten am Leopard 2 auszu­bil­den», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur am Freitag in Kiew. Dafür müsste Deutsch­land aber grünes Licht geben.

Lebens­mit­tel­kri­se: Ukrai­ne bekommt 1,3 Milli­ar­den Dollar

Vom Inter­na­tio­na­len Währungs­fonds (IWF) bekommt die Ukrai­ne frische Milli­ar­den­hil­fe aus einem neuen Programm zum Abfedern von Lebens­mit­tel-Preis­schocks. Der IWF-Rat billig­te am Freitag die Auszah­lung von 1,3 Milli­ar­den Dollar (1,33 Milli­ar­den Euro). Mit dem Geld sollten unter anderem die Einnah­me­aus­fäl­le durch im Zuge des russi­schen Angriffs­krie­ges wegge­fal­le­ne Getrei­de­ex­por­te ausge­gli­chen werden, teilte der Währungs­fonds mit. Für die ukrai­ni­sche Wirtschaft werde in diesem Jahr ein Schrump­fen um 35 Prozent vorher­ge­sagt und der Finan­zie­rungs­be­darf bleibe hoch. Das neue IWF-Unter­stüt­zungs­pro­gramm im Zusam­men­hang mit der Lebens­mit­tel­kri­se war erst vor wenigen Tagen gestar­tet worden.

Was heute wichtig wird

Die Ukrai­ne setzt ihre Offen­si­ve im Osten und Süden des Landes fort, um die russi­schen Truppen weiter zurück­zu­drän­gen und weite­re Ortschaf­ten zu befrei­en. Das russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um verlegt unter­des­sen immer mehr Reser­vis­ten, die im Zuge einer Teilmo­bil­ma­chung einbe­ru­fen werden, in das überfal­le­ne Land. Die Einbe­ru­fe­nen solle dort besetz­te Gebie­te in den Regio­nen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson halten.