KIEW/MOSKAU (dpa) — «Grund­la­ge für groß angeleg­te Katastro­phe»: Selen­skyj warnt vor der mögli­chen Spren­gung des Wasser­kraft­werks Kachow­ka. Putin lässt sich beim Schie­ßen mit einem Scharf­schüt­zen­ge­wehr filmen. News kompakt.

Die Ukrai­ne zeigt trotz massi­ver russi­scher Luftan­grif­fe auf Kraft­wer­ke und andere Infra­struk­tur ungebro­chen Kampfes­wil­len. «Russi­sche Truppen greifen unsere Kraft­wer­ke weiter­hin mit Raketen und Drohnen an. Am Ende wird auch eine solche russi­sche Gemein­heit schei­tern», sagte der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj in seiner abend­li­chen Videoansprache.

Russland wolle das Energie­sys­tem der Ukrai­ne zerstö­ren und das Nachbar­land noch mehr leiden lassen. «Aber dies mobili­siert nur die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft, uns noch mehr zu helfen und noch mehr Druck auf den Terror­staat auszu­üben», beton­te der Präsident.

Energie­pro­ble­me erwartet

Das ukrai­ni­sche Versor­gungs­un­ter­neh­men Ukren­er­ho teilte am Abend mit, es erwar­te heute infol­ge der beschä­dig­ten Anlagen im ganzen Land vorüber­ge­hen­de Einschrän­kun­gen im Energie­ver­brauch. Bereits gestern war das Unter­neh­men zu Strom­ab­schal­tun­gen gezwungen.

Der Berater im Präsi­di­al­amt in Kiew, Olexij Aresto­wytsch, schloss länger­fris­ti­ge Proble­me nicht aus. «Wir können durch­aus vor einer Situa­ti­on stehen, in der wir Wochen oder sogar Monate ohne Wasser, ohne Licht und Wärme oder mit großen Einschrän­kun­gen sitzen werden.» Er sei aber sicher, dass die Ukrai­ner die Proble­me bewäl­ti­gen würden.

Selen­skyj warnt vor Spren­gung eines Staudamms durch Russen

Selen­skyj warnte zudem vor einer mögli­chen Spren­gung des Wasser­kraft­werks Kachow­ka. «Russland schafft bewusst die Grund­la­ge für eine groß angeleg­te Katastro­phe im Süden der Ukrai­ne», sagte der Staats­chef in einer Video­an­spra­che beim EU-Gipfel. Kiew lägen Infor­ma­tio­nen vor, dass Moskau das Gelän­de vermint habe und einen Angriff unter falscher Flagge plane. Unabhän­gig überprü­fen ließ sich das nicht.

Sollte das Kraft­werk tatsäch­lich gesprengt werden, werde es zu massi­ven Überschwem­mun­gen kommen, die etwa die Stadt Cherson betref­fen könnten, warnte Selen­skyj. Hundert­tau­sen­de Menschen könnten betrof­fen sein.

Bereits seit Tagen lässt die russi­sche Armee Menschen aus dem Gebiet Cherson wegbrin­gen. Tausen­de Zivilis­ten sollen bereits auf angeb­lich siche­re­rem Gebiet sein. Moskau begrün­det den Schritt offizi­ell mit einer wahrschein­lich bevor­ste­hen­den ukrai­ni­schen Gegenoffensive.

UNHCR plant Winterhilfe

Das UN-Flücht­lings­hilfs­werk (UNHCR) will Vertrie­be­nen und Menschen in vom Krieg stark beschä­dig­ten Wohnun­gen in der Ukrai­ne helfen, die kalten Winter­mo­na­te gesund zu überste­hen. «Wir haben in der Ukrai­ne 390 öffent­li­che Gebäu­de so umgebaut, dass dort jetzt 109.000 Schlaf­plät­ze vorhan­den sind», sagte die stell­ver­tre­ten­de UN-Flücht­lings­kom­mis­sa­rin Kelly Clements der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Das seien meist Schulen oder Turnhallen.

Bulga­ri­en, Tsche­chi­en und Moldau benötig­ten zudem weite­re Unter­stüt­zung bei der Versor­gung ukrai­ni­scher Flücht­lin­ge, führte Clements aus, die diese Woche zu Gesprä­chen im Bundes­tag und im Auswär­ti­gen Amt war. «Was uns im Moment am meisten beschäf­tigt, das ist die Kälte», sagte sie.

Selen­skyj dankt Scholz

Selen­skyj dankte beim EU-Gipfel in Brüssel in einer Video­an­spra­che Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) für die Liefe­rung des Flugab­wehr­sys­tems Iris‑T. «Dieses deutsche System schirmt nicht nur den ukrai­ni­schen Luftraum ab. Es schützt die europäi­sche Stabi­li­tät, indem es den russi­schen Terror eingrenzt, der sowohl unser Land trifft als auch in Zukunft Ihre Länder», sagte Selen­skyj vor den Staats- und Regie­rungs­chefs der 27 EU-Staaten.

Das erste System war vor einer Woche an die Ukrai­ne überge­ben worden. Der ukrai­ni­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Olexij Resni­kow hatte von einer «neuen Ära der Luftver­tei­di­gung» gesprochen.

Putin zeigt sich mit Rekruten

In Russland ließ sich Kreml­chef Wladi­mir Putin fast acht Monate nach Kriegs­be­ginn in der Ukrai­ne auf einem Truppen­übungs­platz erstmals selbst beim Schie­ßen mit einem Scharf­schüt­zen­ge­wehr filmen. Das Staats­fern­se­hen zeigte gestern, wie der Oberbe­fehls­ha­ber liegend unter einem Tarnnetz die Waffe vom Typ Dragu­now abfeuerte.

Anschlie­ßend sprach er auf dem Areal in Rjasan rund 200 Kilome­ter südöst­lich von Moskau mit Solda­ten. Zusam­men mit Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Sergej Schoi­gu kontrol­lier­te Putin vor laufen­der Kamera auch demons­tra­tiv die Ausrüs­tung der Kämpfer. Der Besuch erfolg­te inmit­ten von Kritik an einer schlech­ten Vorbe­rei­tung russi­scher Solda­ten für den Krieg in der Ukraine.

Lage an der Front schwierig

Selen­skyj nannte die Lage an der Front schwie­rig. Dies betref­fe beson­ders den Donbass im Osten und einige Richtun­gen im Süden. «Aber wir behaup­ten uns. Wir vertei­di­gen unser Land. Wir bewegen uns allmäh­lich vorwärts und verdrän­gen den Feind.» Die Ukrai­ne werde siegen. «Terro­ris­ten verlie­ren immer. Freiheit gewinnt immer.»

USA: Iraner helfen Russland in Ukraine

Nach Erkennt­nis­sen der US-Regie­rung setzt Russland Kampf­droh­nen aus dem Iran im Ukrai­ne-Krieg ein — mit Unter­stüt­zung irani­scher Kräfte vor Ort. «Wir können heute bestä­ti­gen, dass russi­sche Militär­an­ge­hö­ri­ge, die auf der Krim statio­niert sind, irani­sche Drohnen gesteu­ert haben und diese für Angrif­fe in der gesam­ten Ukrai­ne einge­setzt haben, darun­ter auch für Angrif­fe auf Kiew in den letzten Tagen», sagte der Kommu­ni­ka­ti­ons­di­rek­tor des Natio­na­len Sicher­heits­ra­tes, John Kirby. «Wir gehen davon aus, dass irani­sches Militär­per­so­nal auf der Krim statio­niert war und Russland bei diesen Opera­tio­nen unter­stützt hat.»

Russland bestrei­tet, irani­sche Drohnen einzu­set­zen; der Iran bestrei­tet, sie an Russland gelie­fert zu haben.

US-Regie­rung kriti­siert Umsiedlungen

Die US-Regie­rung kriti­sier­te die Umsied­lun­gen im südukrai­ni­schen Gebiet Cherson durch die russi­sche Besat­zungs­macht. «Es überrascht uns nicht, dass die Russen mit solch plumpen Takti­ken versu­chen, Kontrol­le über eine Bevöl­ke­rung auszu­üben, die Putin und seinen Krieg eindeu­tig ablehnt», sagte die Spreche­rin des Weißen Hauses auf die Frage eines Journa­lis­ten. Die Umsied­lun­gen seien ein weite­res Beispiel der Grausam­keit und Bruta­li­tät der Besatzer.

Die russi­sche Besat­zungs­macht im südukrai­ni­schen Gebiet Cherson hat nach eigenen Angaben bereits mehre­re tausend Zivilis­ten auf sicher von Russland kontrol­lier­tes Terri­to­ri­um gebracht. Die Ukrai­ne sprach von Depor­ta­tio­nen. Die russi­sche Armee befürch­tet einen großen Angriff des ukrai­ni­schen Militärs, um die Stadt Cherson und das Gebiet am nördli­chen Ufer des Flusses Dnipro zu befrei­en. Deshalb sollen Zivilis­ten von dort umgesie­delt werden.

Biden sorgt sich um Ukraine-Hilfe

US-Präsi­dent Joe Biden hat sich besorgt über die weite­re militä­ri­sche Unter­stüt­zung der Ukrai­ne im Fall eines Sieges der Republi­ka­ner bei den Parla­ments­wah­len im Novem­ber gezeigt. Er sei besorgt darüber, weil die Republi­ka­ner gesagt hätten, dass sie die Ukrai­ne-Hilfen kürzen würden, sagte Biden bei einem Besuch im US-Bundes­staat Pennsylvania.

Im Falle eines Wahlsie­ges wollten die Republi­ka­ner die Unter­stüt­zung Kiews nicht wie bisher fortset­zen. Sie verstün­den nicht, wie folgen­reich und ernst dies wäre, nicht nur für die Ukrai­ne, sondern auch für Osteu­ro­pa und die Nato, beklag­te Biden.

Das wird heute wichtig

Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) will bei einer Westbal­kan-Konfe­renz in Berlin konkre­te Schrit­te für eine besse­re regio­na­le Koope­ra­ti­on erreichen.

In Wismar findet eine Mahnwa­che als Zeichen der Solida­ri­tät für Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne statt — Anlass ist der Brand in einer Unter­kunft in Nordwestmecklenburg.