KIEW (dpa) — Angesichts des russi­schen Beschus­ses von Energie­an­la­gen warnt die Ukrai­ne vor einer humani­tä­ren Katastro­phe im Land. Einmal mehr sollen Waffen des Westens die Lösung sein. News kompakt.

Trotz der massi­ven russi­schen Raketen­an­grif­fe gegen Energie­an­la­gen in der Ukrai­ne sieht der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj die Truppen seines Landes weiter auf dem Vormarsch in den von Moskau besetz­ten Gebieten.

Die Streit­kräf­te kämen jeden Tag an der Front voran, die Schlä­ge gegen die Infra­struk­tur von russi­scher Seite könnten sie nicht aufhal­ten, sagte Selen­skyj in seiner am Samstag­abend in Kiew verbrei­te­ten Video­bot­schaft. «Die Ukrai­ner sind vereint und wissen genau, dass Russland keine Chance hat, diesen Krieg zu gewinnen.»

Selen­skyj hatte bereits zuvor am Samstag eine Vielzahl an russi­schen Raketen­an­grif­fen auf die Energie-Infra­struk­tur der Ukrai­ne beklagt. Kein Schlag der «russi­schen Terro­ris­ten» könne das Land stoppen. «Die russi­schen Propa­gan­dis­ten lügen, wenn sie sagen, dass dieser Terror gegen unsere Infra­struk­tur und Menschen die aktiven Handlun­gen unseres Militärs irgend­wie bremsen könnte.» Selen­skyj kündig­te an, dass in Abstim­mung mit den USA an Sanktio­nen gegen Propa­gan­dis­ten des Kreml gearbei­tet werde.

Russland ziehe sich bereits auf dem Schlacht­feld zurück und merke, dass es verlie­re. Der Aggres­sor versu­che deshalb, mit Angrif­fen auf Zivilis­ten und Infra­struk­tur militä­ri­sche Siege vorzu­täu­schen, sagte Selen­kyj weiter. Die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te erhiel­ten jeden Tag alles Nötige zur Vertei­di­gung des Landes. Noch sei es nicht möglich, alle russi­schen Angrif­fe abzuweh­ren. Selen­skyj beton­te, dass dies aber mit Hilfe des Westens gelin­gen werde.

Insge­samt gab es nach ukrai­ni­schen Angaben am Samstag 40 Raketen­an­grif­fe, zudem habe die russi­sche Seite 16 irani­sche Drohnen geschickt. 20 Raketen und 11 Kampf­droh­nen seien abgeschos­sen worden, hieß es in Kiew. Sonntag ist der 242. Tag des Krieges.

Kiew warnt wegen Moskaus Angrif­fen auf Energieanlagen

Angesichts der schwe­ren Schäden an der Energie-Infra­struk­tur forder­te Selen­skyj die Bevöl­ke­rung erneut zum Strom­spa­ren auf. Nach seiner Darstel­lung waren unter anderem die Regio­nen Chmel­nyz­kyj, Odessa, Saporischschja und Dnipro­pe­trowsk neben vielen anderen von den Angrif­fen betrof­fen. «Das Haupt­ziel der Terro­ris­ten ist die Energie», sagte Selen­skyj. Die Stabi­li­tät der Versor­gung im Land hänge von jeder Stadt ab. Teils sei die Versor­gung schon wieder hergestellt.

Nach Angaben der Präsi­di­al­ver­wal­tung waren im Land rund 1,5 Millio­nen Kunden des Energie­ver­sor­gers Ukren­er­ho ohne Strom. Selen­sky­js Berater Mycha­j­lo Podol­jak sagte, Russland versu­che, Ukrai­ner zu einer neuen massen­haf­ten Flucht nach Europa zu drängen. «Der einzi­ge Weg, eine humani­tä­re Katastro­phe zu stoppen, ist die schnel­le Liefe­rung von Flugab­wehr­sys­te­men und zusätz­li­chen Raketen», sagte Podoljak.

Zuvor hatte Ukren­er­ho von beson­ders schwe­ren Schäden durch die russi­schen Angrif­fe im Westen des Landes gespro­chen. Laut Behör­den wurde in Luzk ein Objekt zur Energie­ver­sor­gung beson­ders schwer getrof­fen, die Versor­gung fiel aus. Ukren­er­ho hatte mitge­teilt, Hundert­tau­sen­de Haushal­te seien ohne Strom. Befürch­tet wird, dass die Menschen wegen Kälte und Dunkel­heit infol­ge der fehlen­den Energie noch schwe­rer in Not geraten und die Flucht ergrei­fen. Selen­skyj warf Russland einmal mehr eine «typische Taktik von Terro­ris­ten» vor. «Die Welt kann und muss diesen Terror stoppen», sagte der Staatschef.

Russland hatte am Samstag mit neuen Raketen­an­grif­fen auf die Ukrai­ne landes­weit Luftalarm ausge­löst. Das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Moskau bestä­tig­te eine Vielzahl an Angrif­fen. Russland führt seit fast acht Monaten einen Angriffs­krieg gegen die Ukraine.

Giffey: Kapazi­tä­ten bei Flücht­lings­auf­nah­me nahezu ausgeschöpft

Angesichts der Sorge, dass mehr Menschen aus der Ukrai­ne vor dem Winter ihre Heimat verlas­sen müssen, sieht Berlins Regie­ren­de Bürger­meis­te­rin Franzis­ka Giffey (SPD) die Haupt­stadt am Rande ihrer Möglich­kei­ten bei der Aufnah­me von Geflüch­te­ten. «Berlin als Haupt­an­zie­hungs­punkt» habe seine Kapazi­tä­ten nahezu ausge­schöpft, sagte sie der «Bild am Sonntag». So seien 340.000 Ukrai­ner in Berlin erstver­sorgt worden, 100.000 hätten ihren Wohnsitz inzwi­schen in der Haupt­stadt. «Wir brauchen dringend weite­re Immobi­li­en des Bundes, um Menschen gut unter­zu­brin­gen, finan­zi­el­le Unter­stüt­zung für die immensen Kosten und eine gerech­te Vertei­lung im Bundes­ge­biet», forder­te Giffey.

Russi­sche Grenze: Tote nach Beschuss von ukrai­ni­scher Seite

Einmal mehr beklag­te auch die russi­sche Grenz­re­gi­on Belgo­rod Beschuss von ukrai­ni­scher Seite. Zwei Menschen seien dabei am Samstag in der Grenz­stadt Schebe­ki­no getötet worden, teilte Gouver­neur Wjatsches­law Gladkow mit. Elf Menschen seien verletzt worden, vier von ihnen schwer. Gladkows Angaben zufol­ge wurde bei dem Beschuss auch Energie-Infra­struk­tur getrof­fen. Details nannte er nicht. Rund 15.000 Menschen seien zeitwei­lig ohne Strom, Heizung und Wasser gewesen.

Das Gebiet Belgo­rod beklagt mit anderen Grenz­re­gio­nen wie etwa Kursk und Brjansk schon seit Beginn des russi­schen Angriffs­krie­ges auf die Ukrai­ne immer Feuer von der Gegen­sei­te. Einge­räumt hat die Ukrai­ne die Vorwür­fe nicht. Russland hatte immer wieder gedroht, noch härter in dem Krieg vorzu­ge­hen und auch Komman­do­zen­tra­len in Kiew ins Visier zu nehmen, wenn der Beschuss nicht aufhöre.

Nach Darstel­lung des Gouver­neurs hat sich die Lage in den vergan­ge­nen Wochen weiter verschärft. Wer sehr nah an der Grenze zur Ukrai­ne lebe, solle deshalb in der Nähe von Moskau unter­ge­bracht werden, sagte er. Gladkow ordne­te zudem eine stren­ge­re Bewachung von Objek­ten der Energie-Infra­struk­tur an. Wegen der gespann­ten Lage hatte er auch die Herbst­fe­ri­en vorge­zo­gen und verlängert.

Kretschmer: Ukrai­ne muss nicht auf Terri­to­ri­um verzichten

Der sächsi­sche Minis­ter­prä­si­dent Micha­el Kretschmer setzt zur Beendi­gung des Ukrai­ne-Kriegs weiter auf Gesprä­che. «Es braucht jetzt eine gemein­sa­me diplo­ma­ti­sche Anstren­gung von der EU, den USA, China, Indien und Japan. Dieser Krieg muss angehal­ten werden», sagte der CDU-Politi­ker der «Bild am Sonntag.» Solche Verhand­lun­gen müssten nicht automa­tisch dazu führen, dass die Ukrai­ne auf Teile ihres Staats­ge­bie­tes verzich­ten müsste. «Es gibt keinen einzi­gen Grund, warum die Ukrai­ne auch nur auf einen Quadrat­me­ter ihres Terri­to­ri­ums verzich­ten sollte. Kriegs­schä­den müssen von Russland ausge­gli­chen, Kriegs­ver­bre­cher zur Verant­wor­tung gezogen werden. Mit dieser Haltung muss man in Friedens­ge­sprä­che gehen», sagte Kretschmer.

Was heute wichtig wird

Die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te setzten trotz der Gefahr russi­scher Raketen- und Drohnen­an­grif­fe ihre Offen­si­ve zur Befrei­ung der von Russland besetz­ten Gebie­te fort. Nach Darstel­lung Selen­sky­js kommt die Armee voran. Beson­ders gespannt ist die Lage in der südli­chen Region Cherson, wo es aus ukrai­ni­scher Sicht immer mehr Erfol­ge gibt. Die Besat­zer riefen die Menschen auf, Cherson zu verlas­sen. Russland hatte einge­räumt, dass die Lage für seine Truppen dort schwie­rig sei.