KIEW/NEW YORK/MOSKAU (dpa) — Stein­mei­er muss in Kiew in einem Bunker Schutz suchen — und erlebt, so Selen­skyj, die Bedeu­tung einer funktio­nie­ren­den Luftab­wehr. Putin-Unter­stüt­zer Kadyrow will ukrai­ni­sche Städte auslö­schen. Die News.

Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er hat der Ukrai­ne bei seinem unange­kün­dig­ten Besuch in Kiew weite­re deutsche Unter­stüt­zung zugesagt. Einer­seits sollten die Waffen­lie­fe­run­gen fortge­setzt werden — gerade deutsche Luftab­wehr­sys­te­me sind in Kiew sehr begehrt — anderer­seits sollten Städte­part­ner­schaf­ten das kriegs­ge­beu­tel­te Land besser über den Winter bringen.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj dankte Deutsch­land für die Unter­stüt­zung seines von Russland angegrif­fe­nen Landes.

Während in New York der UN-Sicher­heits­rat unter Ausschluss der Öffent­lich­keit über Russlands Vorwür­fe debat­tier­te, die Ukrai­ne plane die Zündung einer «schmut­zi­gen» — also atomar verseuch­ten — Bombe, machte in Russland der berüch­tig­te Tsche­tsche­nen­füh­rer Ramsan Kadyrow seinem Ärger über den Verlauf des Kriegs Luft und forder­te, ukrai­ni­sche Städte auszu­lö­schen. Als mögli­cher Auslö­ser gelten hohe Verlus­te in den von ihm kontrol­lier­ten Einhei­ten. Für die Ukrai­ne beginnt heute der 245. Tag des Kriegs.

Selen­skyj: Dank an Deutsch­land, Appell an Israel

Selen­skyj dankte Deutsch­land für die Hilfe und forder­te von Israel mehr Unter­stüt­zung. «Wir werden die Zusam­men­ar­beit mit Deutsch­land verstär­ken», sagte er in seiner tägli­chen Video­an­spra­che. Einen Appell richte­te Selen­skyj an die israe­li­sche Führung, die zwar den russi­schen Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne verur­teilt hat, sich aber aus eigenen Sicher­heits­in­ter­es­sen weder an den Sanktio­nen gegen Moskau betei­ligt, noch Kiew Waffen liefert.

«Je früher dank des ukrai­ni­schen Siegs Frieden in unserem Land erreicht wird, desto weniger Böses wird Russland in andere Regio­nen bringen können, den Nahen Osten, wo es mit dem Iran paktiert, einge­schlos­sen.» Das israe­li­sche Volk habe das begrif­fen, er hoffe die Landes­füh­rung auch bald, sagte der 44-Jähri­ge. Iran und Israel sind stark verfeindet.

Selen­skyj sagte in seiner Rede, Stein­mei­er habe während seiner Visite Unter­schlupf im Luftschutz­bun­ker suchen müssen und dabei am eigenen Leib die Bedeu­tung einer funktio­nie­ren­den Luftab­wehr erfah­ren. Das deutsche Luftab­wehr­sys­tem Iris‑T sei hochef­fi­zi­ent, lobte Selen­skyj. «Wir warten auf mehr Syste­me davon.»

Stein­mei­er in der Ukraine

Stein­mei­er, der am Diens­tag­mor­gen per Zug in Kiew zu seiner unange­kün­dig­ten Visite einge­trof­fen war, besuch­te nicht nur die ukrai­ni­sche Haupt­stadt. Unmit­tel­bar nach seiner Ankunft in der Klein­stadt Korjukiw­ka nordöst­lich von Kiew wurde dort Luftalarm ausge­löst. Stein­mei­er musste in einen Luftschutz­kel­ler. «Das hat uns beson­ders eindrück­lich nahe gebracht, unter welchen Bedin­gun­gen die Menschen hier leben», sagte er. Zurück in Kiew ließ er sich von Bürger­meis­ter Witali Klitsch­ko die Folgen der jüngs­ten russi­schen Luftan­grif­fe zeigen, zum Beispiel ein zerstör­tes Wohnhaus.

Beim die Reise abschlie­ßen­den Treffen mit Selen­skyj versprach Stein­mei­er, der Ukrai­ne weiter Hilfe zu leisten. Gelie­fert werden sollen Waffen, daneben will Berlin aber auch helfen, das Strom­netz in der Ukrai­ne zu stabi­li­sie­ren. Große Teile der Strom- und Fernwär­me-Netze sind durch russi­sche Raketen­an­grif­fe beschä­digt worden. Um ukrai­ni­sche Kommu­nen durch den bevor­ste­hen­den Winter zu helfen, riefen die Präsi­den­ten zur raschen Gründung deutsch-ukrai­ni­scher Städte­part­ner­schaf­ten auf.

Kiew will Flücht­lin­ge im Winter im Ausland lassen

Wegen der Kriegs­schä­den an Strom- und Wärme­ver­sor­gung der Ukrai­ne bittet die Regie­rung geflüch­te­te Frauen und Männer, erst im kommen­den Frühjahr zurück­zu­keh­ren. «Wenn sich die Möglich­keit bietet, bleiben Sie und verbrin­gen Sie den Winter im Ausland!», sagte Vizere­gie­rungs­chefin Iryna Werescht­schuk am Diens­tag in Kiew im landes­wei­ten Fernsehen.

Kadyrow fordert mehr Härte gegen Ukraine

Kadyrow bekun­de­te erneut seinen Unmut über den Kriegs­ver­lauf. «Früher haben wir immer gesagt, dass wir eine militä­ri­sche Spezi­al­ope­ra­ti­on auf dem Terri­to­ri­um der Ukrai­ne führen, aber der Krieg findet bereits auf unserem Terri­to­ri­um statt», sagte Kadyrow gestern in seinem Telegram-Kanal. Er sei damit sehr unzufrieden.

Zugleich drohte er den westli­chen Unter­stüt­zer-Ländern der Ukrai­ne mit Vernich­tung. Es sei bereits das Kriegs­recht in Grenz­re­gio­nen zur Ukrai­ne verhängt worden, sagte Kadyrow. «Aber sie schie­ßen weiter auf fried­li­che Bürger und zivile Objek­te.» Russlands Antwort darauf sei «schwach». Kadyrow forder­te als Vergel­tung die Auslö­schung von ukrai­ni­schen Städten, «damit wir den fernen Horizont sehen können».

Tsche­tsche­ni­sche Solda­ten unter Beschuss

Auslö­ser von Kadyrows Unmut könnten Meldun­gen sein, wonach im von Russland besetz­ten Gebiet Cherson mehr als 100 Solda­ten aus Tsche­tsche­ni­en von der Artil­le­rie getrof­fen worden seien. Das teilte der ukrai­ni­sche General­stab in seinem abend­li­chen Lagebe­richt mit. Mehre­ren überein­stim­men­den Berich­te zufol­ge sollen Solda­ten von Kadyrow getrof­fen und verschüt­tet worden sein. Unabhän­gig konnten die Angaben nicht überprüft werden.

UN-Sicher­heits­rat debat­tiert über «schmut­zi­ge Bombe»

Russland brach­te seine Vorwür­fe, die ukrai­ni­sche Regie­rung wolle eine atomar verseuch­te Bombe zünden, vor den UN-Sicher­heits­rat. Am Diens­tag gab es eine entspre­chen­de Ausspra­che des mächtigs­ten UN-Gremi­ums hinter verschlos­se­nen Türen, wie Vize-UN-Botschaf­ter Dmitri Poljan­ski nach der Sitzung mitteilte.

Nähere Details wurden zunächst nicht bekannt. Trotz westli­cher Zurück­wei­sun­gen hält Russland an der Behaup­tung fest, Kiew wolle Moskau mit einer «schmut­zi­gen» Bombe diskreditieren.

Was heute wichtig wird

In der Ukrai­ne wollen die Kiewer Truppen weiter Gelän­de zurück­er­obern. Beide Seiten haben in den letzten Wochen viele neue Solda­ten an die Front verlegt.

Auf politi­scher Ebene richtet Kiew derweil den Blick nach Europa: In Frank­reich empfängt Präsi­dent Emmanu­el Macron Bundes­kanz­ler Olaf Scholz — bei dem Treffen geht es auch um vertei­di­gungs­po­li­ti­sche Fragen.