JAKARTA/KIEW (dpa) — Lange hat der russi­sche Präsi­dent Putin seine Teilnah­me am G20-Gipfel offen­ge­las­sen. Nun steht fest: Er schickt nur einen Vertre­ter. Derweil gehen die Kämpfe an den Fronten in der Ukrai­ne weiter.

Der russi­sche Präsi­dent Wladi­mir Putin wird nach Angaben der indone­si­schen Regie­rung nicht am G20-Gipfel auf Bali teilnehmen.

Statt­des­sen reise Außen­mi­nis­ter Sergej Lawrow zu dem Treffen der 20 großen Indus­trie­na­tio­nen auf der indone­si­schen Insel. Das teilte Jodi Mahar­di, Sprecher des für die Koordi­nie­rung des Gipfels zustän­di­gen Minis­te­ri­ums für Inves­ti­tio­nen, am Donners­tag mit. Der Kreml­chef hatte seine Teilnah­me an dem Treffen am 15. und 16. Novem­ber lange offen gelassen.

Bei dem Gipfel wird der russi­sche Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne zentra­les Thema sein. Für viele kam die Entschei­dung Putins deshalb nicht überra­schend. Der Kreml­chef hatte den Einmarsch ins Nachbar­land am 24. Febru­ar befoh­len. Inzwi­schen hat er inter­na­tio­na­lem Protest zum Trotz vier Gebie­te der Ukrai­ne völker­rechts­wid­rig annek­tiert. Kein Land erkennt diesen Schritt an.

Als Gastge­ber des Gipfels hatte der indone­si­sche Präsi­dent Joko Widodo eine Friedens­in­itia­ti­ve für die Ukrai­ne angekün­digt. Indone­si­en werde alle dazu einla­den, «sich zusam­men­zu­set­zen und sich in einen konstruk­ti­ven Dialog zu begeben», hatte er Ende Oktober gesagt. Den ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj lud Widodo ebenfalls zum Gipfel ein, obwohl das Land nicht zur G20 gehört. Selen­skyj hatte erklärt, dass er nicht zu dem Treffen reisen werde, falls Putin daran teilneh­men sollte. Selen­skyj prangert Russland als «Terror­staat» an und fordert den Ausschluss des «Aggres­sors» aus der G20-Gruppe — in der Moskau angesichts von Unter­stüt­zern wie China, Indien und der Türkei nicht komplett isoliert ist.

Bei dem Gipfel trifft die russi­sche Delega­ti­on erstmals auch wieder auf inter­na­tio­na­ler Bühne mit Staats- und Regie­rungs­chefs der G7 zusam­men, die wegen des Krieges gegen die Ukrai­ne weitrei­chen­de Sanktio­nen gegen Russland erlas­sen haben.

Selen­skyj warnt vor Euphorie

Derweil gehen die Kämpfe an den Fronten in der Ukrai­ne weiter. Ungeach­tet des von Moskau angekün­dig­ten Abzugs aus der südukrai­ni­schen Stadt Cherson und vom gesam­ten rechten Dnipro-Ufer mahnte Selen­skyj zur Zurück­hal­tung. Nach der Ankün­di­gung herrsche zwar «viel Freude», sagte er am Mittwoch­abend in seiner tägli­chen Video­an­spra­che. «Aber unsere Emotio­nen müssen zurück­ge­hal­ten werden — gerade während des Krieges.» Zugleich kündig­te er weite­re Opera­tio­nen an, ohne diese genau­er zu beschreiben.

Selen­skyj verwies darauf, dass der Rückzug der russi­schen Besat­zer in erster Linie den Erfol­gen der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te zu verdan­ken sei. «Der Feind macht uns keine Geschen­ke, macht keine Gesten des guten Willens.» Niemand ziehe sich einfach «nur so» von irgend­wo zurück, «außer unter Druck».

Das ukrai­ni­sche Militär werde sich weiter «sehr vorsich­tig, ohne Emotio­nen, ohne unnöti­ges Risiko» bewegen, sagte Selen­skyj. Und dies mit möglichst wenigen Verlus­ten. «So werden wir die Befrei­ung von Cherson, Kachow­ka, Donezk und unseren anderen Städten sichern.»

Selen­skyj warnte die Entschei­der in Moskau davor, den Befehl zum Spren­gen des Kachow­ka-Staudamms oberhalb von Cherson oder zur Beschä­di­gung des Atomkraft­werk Saporischschja zu geben. «Dies würde bedeu­ten, dass sie der gesam­ten Welt den Krieg erklären».

Unter dem Druck ständi­ger ukrai­ni­scher Angrif­fe hatte der russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Sergej Schoi­gu am Mittwoch den Abzug des russi­schen Militärs aus Cherson und der gesam­ten Region um die Stadt angeord­net. Nach dem Schei­tern des Vormarschs auf Kiew und dem Rückzug bei Charkiw gilt dies als weite­re militä­ri­sche Nieder­la­ge Russlands. Moskau nannte den Abzug eine «militä­ri­schen Notwen­dig­keit» und «Umgrup­pie­rung der Kräfte».

Ukrai­ner rücken bei Cherson vor

Ukrai­ni­sche Solda­ten rückten am Mittwich langsam in Richtung Cherson vor und befrei­ten nach eigener Darstel­lung die Ortschaf­ten Prawdi­no und Kalinow­s­ko­je, die in den vergan­ge­nen Tagen schwer umkämpft waren. Dem Einmarsch der Ukrai­ner sei aber der Abzug der Russen aus den beiden Orten voraus­ge­gan­gen, berich­te­te die «Ukrajins­ka Prawda».

Russi­sche Angrif­fe trafen am Mittwoch­abend die südukrai­ni­sche Stadt Kriwyj Rih. Nach Darstel­lung der ukrai­ni­schen Militär­ver­wal­tung kamen dabei Kasset­ten­bom­ben mit Streu­mu­ni­ti­on aus russi­schen Raketen­wer­fern zum Einsatz. Die Bevöl­ke­rung wurde zu beson­de­rer Vorsicht aufge­ru­fen, um nicht die kleinen, zylin­der­för­mi­gen Spreng­sät­ze auszulösen.

Von russi­scher Seite wurden Vorbe­rei­tun­gen der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te auf ein Vorrü­cken in Richtung des Atomkraft­werks Saporischschja erkannt. Dazu seien rund um die Stadt Saporischschja rund 7000 ukrai­ni­sche Solda­ten zusam­men­ge­zo­gen worden, zitier­te die Agentur Tass einen Vertre­ter der Besat­zungs­ver­wal­tung. Unter diesen Truppen seien auch etwa 300 Komman­do­sol­da­ten, die für diesen Einsatz spezi­ell in Großbri­tan­ni­en ausge­bil­det worden seien. Die Angaben konnten nicht unabhän­gig geprüft werden.

Das russi­sche Militär kontrol­liert das südlich von Saporischschja gelege­ne Atomkraft­werk, das als größte Atoman­la­ge Europas gilt. Die Inter­na­tio­na­le Atomener­gie­be­hör­de (IAEA) bemüht sich seit Monaten, um das Werk eine Schutz­zo­ne ohne Kämpfe einzurichten.

Kiew weist neues Gesprächs­an­ge­bot Russlands zurück

Die ukrai­ni­sche Führung wies ein erneu­tes Gesprächs­an­ge­bot Moskaus am Mittwoch als «neue Nebel­ker­ze» zurück. «Russi­sche Beamte begin­nen, Gesprächs­an­ge­bo­te immer dann zu unter­brei­ten, wenn die russi­schen Truppen Nieder­la­gen auf dem Schlacht­feld erlei­den», schrieb Außen­amts­spre­cher Oleh Nikolen­ko auf Facebook mit Verweis auf den angekün­dig­ten Abzug der russi­schen Besat­zer aus Cherson. Mit dem neuen Dialog­an­ge­bot spiele Russland ledig­lich auf Zeit, um seine Truppen neu zu sortie­ren und zu verstär­ken, und um dann «neue Wellen der Aggres­si­on» einzuleiten.

In Moskau hatte Außen­amts­spre­che­rin Maria Sacha­rowa die Bereit­schaft Russlands zu Gesprä­chen «auf Grund­la­ge der aktuel­len Reali­tä­ten» angebo­ten. Damit war der aktuel­le Stand an den Fronten gemeint. «Wir sind weiter­hin zu Gesprä­chen bereit, wir haben sie nie verwei­gert», sagte sie.

Kiew hat bereits mehre­re Verhand­lungs­an­ge­bo­te aus Moskau abgelehnt, fordert als Vorleis­tung den komplet­ten Rückzug russi­scher Truppen aus der Ukrai­ne, auch von der Halbin­sel Krim