KIEW/MOSKAU (dpa) — Die Ukrai­ner rücken weiter auf Cherson vor. Noch ist die Großstadt nicht komplett zurück unter ihrer Kontrol­le. Dennoch nennt Präsi­dent Selen­skyj das Gesche­hen bereits «histo­risch». Die News im Überblick.

Nach dem Abzug der russi­schen Solda­ten hat der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj von einem weite­ren Vorrü­cken der eigenen Truppen auf die Gebiets­haupt­stadt Cherson im Süden des Landes berich­tet. «Heute ist ein histo­ri­scher Tag», sagte Selen­skyj in seiner tägli­chen Video­an­spra­che. Zugleich muss sein Land das gerade erst zurück­er­ober­te Gebiet bereits gegen neue russi­sche Angrif­fe verteidigen.

Die EU will unter­des­sen den vom Krieg schwer betrof­fe­nen ukrai­ni­schen Fracht­ver­kehr finan­zi­ell unter­stüt­zen. Angesichts einer drohen­den Nahrungs­mit­tel­knapp­heit rufen die Verein­ten Natio­nen Länder weltweit dazu auf, Hinder­nis­se für den Export von Dünge­mit­teln aus Russland zu besei­ti­gen. Russland wieder­um belegt weite­re 200 US-Ameri­ka­ner mit Einrei­se­ver­bo­ten. Samstag ist der 262. Tag des Krieges.

Selen­skyj: Menschen in Cherson haben Ukrai­ne nie aufgegeben

Noch sei die Stadt Cherson nicht komplett von der «Präsenz des Feindes» befreit, sagte Selen­skyj. Ukrai­ni­sche Spezi­al­ein­hei­ten seien aber bereits vor Ort. Die Bewoh­ner von Cherson entfern­ten zudem selbst­stän­dig russi­sche Symbo­le von Straßen und Gebäu­den. Selen­skyj veröf­fent­lich­te auch ein Video, das Autokor­sos und Jubel­chö­re für die anrücken­den ukrai­ni­schen Solda­ten zeigen soll. «Die Menschen in Cherson haben gewar­tet. Sie haben die Ukrai­ne nie aufge­ge­ben», sagte der Staatschef.

Unter dem Druck der ukrai­ni­schen Gegen­of­fen­si­ven hatte Russland am Mittwoch den Abzug seiner Truppen aus dem nordwest­lich des Flusses Dnipro gelege­nen Teil Chersons angekün­digt. Dort liegt auch die gleich­na­mi­ge Gebiets­haupt­stadt Cherson. Erstmals seit Kriegs­be­ginn hat Russland damit einen größe­ren Teil eines Gebiets wieder verlo­ren, das es völker­rechts­wid­rig annek­tiert hat und vor diesem Hinter­grund als eigenes Staats­ge­biet bezeichnet.

Selen­skyj infor­miert Scholz über Vorrü­cken der Armee

Selen­skyj infor­mier­te auch Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) in einem Telefo­nat über das Vorrü­cken seiner Streit­kräf­te in Cherson. Neben der militä­ri­schen sei es auch um die politi­sche und humani­tä­re Lage in der Ukrai­ne gegan­gen, sagte Regie­rungs­spre­cher Steffen Hebestreit. Beide Politi­ker verur­teil­ten zudem «den anhal­ten­den geziel­ten Beschuss ziviler Infra­struk­tur in der Ukrai­ne durch die russi­schen Streit­kräf­te und bespra­chen konkre­te Maßnah­men zur Stärkung der ukrai­ni­schen Energie­infra­struk­tur». Scholz habe die fortwäh­ren­de Unter­stüt­zung der Ukrai­ne mit den gegen­wär­ti­gen Priori­tä­ten in den Berei­chen Energie­infra­struk­tur und Luftver­tei­di­gung bekräftigt.

Russland beschießt aufge­ge­be­nes Gebiet in Cherson

Russland seiner­seits starte­te eigenen Angaben zufol­ge erste Angrif­fe auf den gerade erst aufge­ge­be­nen Teil des Gebiets Cherson. «Aktuell werden Truppen und Militär­tech­nik der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te auf dem rechten Ufer des Flusses Dnipro beschos­sen», teilte das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Moskau mit. Nur wenige Stunden zuvor hatte die Behör­de erklärt, alle russi­schen Einhei­ten in dem südukrai­ni­schen Gebiet seien auf die linke Fluss­sei­te gebracht worden. Insge­samt handelt es sich laut Angaben aus Moskau um mehr als 30.000 Solda­ten, die nun südöst­lich des Dnipro statio­niert seien.

London: Großer Image­scha­den für Russland

Die Rückerobe­rung der südukrai­ni­schen Großstadt Cherson durch ukrai­ni­sche Truppen bedeu­tet nach briti­scher Einschät­zung einen erheb­li­chen Image­scha­den für Russland. «Der Rückzug ist eine öffent­li­che Anerken­nung der Schwie­rig­kei­ten, mit denen die russi­schen Streit­kräf­te am Westufer des Flusses Dnipro konfron­tiert sind», kommen­tier­te das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in London.

Die Ukrai­ne habe große Teile des Gebiets Cherson am Westufer des Dnipro einge­nom­men und kontrol­lie­re mittler­wei­le weitest­ge­hend die gleich­na­mi­ge Stadt, teilte die Behör­de unter Berufung auf Geheim­dienst­er­kennt­nis­se mit.

Eine Milli­ar­de Euro soll Ausbau von Fracht­ver­kehr fördern

Die EU will gemein­sam mit Partnern rund eine Milli­ar­de Euro in alter­na­ti­ve Fracht­ver­bin­dun­gen zwischen der Ukrai­ne und anderen Ländern inves­tie­ren. Die sogenann­ten Solida­ri­täts­kor­ri­do­re seien derzeit die einzi­ge Möglich­keit für die Ukrai­ne, nicht-landwirt­schaft­li­che Güter zu expor­tie­ren, teilten die EU-Kommis­si­on und die anderen Betei­lig­ten mit. Zudem könnten nur über sie Güter wie Treib­stoff oder humani­tä­re Hilfe impor­tiert werden.

Vor dem Angriff Russlands hatte die Ukrai­ne vor allem über seine großen Schwarz­meer­hä­fen Handel betrie­ben. Diese können derzeit aller­dings nur für Trans­por­te ausge­wähl­ter landwirt­schaft­li­cher Produk­te genutzt werden, weil es für andere Trans­por­te nicht die notwen­di­gen Sicher­heits­ga­ran­tien gibt.

UN wollen Erleich­te­rung für Dünge­mit­tel­ex­por­te aus Russland

Die Verein­ten Natio­nen haben unter­des­sen Länder weltweit aufge­ru­fen, Hinder­nis­se für den Export von Dünge­mit­teln aus Russland aus dem Weg zu räumen. «Die Welt kann es sich nicht leisten, dass die weltwei­ten Proble­me bei der Verfüg­bar­keit von Dünge­mit­teln zu einer weltwei­ten Nahrungs­mit­tel­knapp­heit führen», teilten die UN am Freitag­abend nach Gesprä­chen mit dem russi­schen Vizeau­ßen­mi­nis­ter Sergej Werschi­nin und seiner Delega­ti­on in Genf mit.

Russland hatte die Fortset­zung des im Juli geschlos­se­nen Getrei­de­ab­kom­mens infra­ge gestellt, das ukrai­ni­sche Expor­te durch das Schwar­ze Meer ermög­lich­te. Moskau hatte die Expor­te seit Beginn seines Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne blockiert. Das Abkom­men läuft am 19. Novem­ber aus. Russland moniert, dass es wegen westli­cher Sanktio­nen kaum in der Lage ist, eigene Expor­te von Nahrungs- und Dünge­mit­teln auf den Weltmarkt zu bringen. Die ungehin­der­te Ausfuhr von Lebens­mit­teln und Dünge­mit­teln aus Russland war neben einer Verlän­ge­rung des Getrei­de­ab­kom­mens Schwer­punkt der Gespräche.

Russland weitet Einrei­se­ver­bo­te gegen USA aus

Als Reakti­on auf westli­che Sanktio­nen hat Russland weite­ren 200 US-Ameri­ka­nern die Einrei­se verbo­ten. Auf der sogenann­ten Stop-Liste stehen nun auch die beiden Brüder von US-Präsi­dent Joe Biden, James und Francis Biden, sowie Schwes­ter Valerie Biden, wie das Außen­mi­nis­te­ri­um in Moskau mitteil­te. Gegen den US-Staats­chef selbst hatte die Behör­de bereits Mitte März ein Einrei­se­ver­bot verhängt.

Banksy bestä­tigt Werk auf zerstör­tem Haus in der Ukraine

Der myste­riö­se Street­art-Künst­ler Banksy hat sich mutmaß­lich in der Ukrai­ne verewigt. Auf seinem Insta­gram-Kanal veröf­fent­lich­te er am Freitag­abend Bilder von einem Werk auf einem kriegs­zer­stör­ten Haus, die in der stark verwüs­te­ten Stadt Borod­jan­ka nahe Kiew aufge­nom­men worden sein sollen. Das Werk zeigt auf der grauen Hauswand ein Mädchen, das schein­bar auf Trümmern einen Handstand macht. Die Veröf­fent­li­chung auf seinem Insta­gram-Kanal gilt als Zeichen, dass Banksy ein Werk als seines bestä­tigt. Auch in der Vergan­gen­heit war der Künst­ler bereits in Krisen­ge­bie­ten unter­wegs, unter anderem im Westjor­dan­land. Banksys Identi­tät ist nach wie vor unbekannt.

Das wird am Samstag wichtig

Ein Fokus des Kriegs­ge­sche­hens dürfte weiter auf der Stadt Cherson liegen. Nach dem Abzug der russi­schen Truppen wollen die Ukrai­ner dort ihren Vormarsch fortset­zen und die Stadt ganz unter ihre Kontrol­le bringen.