KIEW (dpa) — Russi­sche Truppen beset­zen binnen 24 Stunden 42 Orte in der Region Donezk. Die USA wollen dem ukrai­ni­schen Militär die neu entwi­ckel­te Drohne «Phoenix Ghost» liefern. Entwick­lun­gen im Überblick.

Nach Angaben des ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj hat Russland den Vorschlag einer Feuer­pau­se über die ortho­do­xen Oster­fei­er­ta­ge abgelehnt. Moskau verle­ge zudem weiter Truppen für den Krieg in die Ukraine.

Zuletzt konnten russi­sche Einhei­ten offen­bar verein­zelt Fortschrit­te im Donbass verzeich­nen. Die Bundes­re­gie­rung will derweil Mittel für den Wieder­auf­bau in der Ukrai­ne bereit­stel­len und Fridays for Future berei­tet sich auf eine europa­wei­te Demons­tra­ti­on gegen Gas aus Russland vor, die heute statt­fin­den soll.

Keine Feuer­pau­se zum ortho­do­xen Osterfest

Die Absage einer Feuer­pau­se zum Oster­fest der ortho­do­xen Chris­ten an diesem Wochen­en­de zeige, sagte Selen­skyj, was der christ­li­che Glaube und einer der fröhlichs­ten und wichtigs­ten Feier­ta­ge den Führern Russlands gelte. «Wir werden aber trotz­dem die Hoffnung behal­ten. Die Hoffnung auf Frieden, die Hoffnung darauf, dass das Leben über den Tod siegt», sagte Selenskyj.

Unter anderem hatte Papst Franzis­kus im Vorfeld des Oster­fes­tes der ortho­do­xen Chris­ten an diesem Wochen­en­de zu einer Waffen­ru­he aufge­for­dert. Ortho­do­xe Chris­ten begehen Ostern in diesem Jahr am 24. April. Sie stellen die größte Glaubens­grup­pe in der Ukraine.

Selen­skyj: Weiter Wider­stand in Mariupol

Selen­skyj zufol­ge dauert der Wider­stand in der Hafen­stadt Mariu­pol an. Die Stadt wider­set­ze sich weiter Russland, sagte er in der Nacht zum Freitag. «Trotz allem, was die Beset­zer über sie sagen.»

Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin hatte die Stadt am Donners­tag für erobert erklärt. Aller­dings haben sich in dem dorti­gen Stahl­werk Azovs­tal nach russi­schen Angaben mehr als 2000 ukrai­ni­sche Kämpfer und auslän­di­sche Söldner verschanzt. Sie gingen bisher nicht auf Putins Forde­run­gen ein, die Waffen nieder­zu­le­gen. Putin ordne­te keine Erstür­mung, sondern eine herme­ti­sche Abrie­ge­lung des Gelän­des an.

Nach Ansicht briti­scher Geheim­dienst­ex­per­ten hätten die russi­schen Truppen bei einem Sturm auf das Stahl­werk hohe Verlus­te zu erwar­ten. Putins Entschei­dung, eine Blocka­de um das Werk zu errich­ten, weise auf den Wunsch hin, den ukrai­ni­schen Wider­stand in Mariu­pol in Schach zu halten und russi­sche Streit­kräf­te für den Einsatz in anderen Teilen der östli­chen Ukrai­ne verfüg­bar zu machen.

Laut dem US-Kriegs­for­schungs­in­sti­tut ISW ist es «eher unwahr­schein­lich», dass durch eine Reduzie­rung des Opera­ti­ons­tem­pos in Mariu­pol nun signi­fi­kan­te Kräfte für russi­sche Offen­si­ven an anderen Orten im Osten frei werden. Russi­sche takti­sche Batail­lo­ne hätten im Kampf um die Stadt hohe Verlus­te erlit­ten und bräuch­ten Zeit für eine Verle­gung, heißt es in der jüngs­ten ISW-Analay­se. Ein Teil der dort einge­setz­ten Truppen werde zudem für mehre­re andere Missio­nen gebraucht, darun­ter die Belage­rung des Asovs­tal-Werks oder die Siche­rung der restli­chen Stadt.

Satel­li­ten­auf­nah­men weisen auf mögli­ches Massen­grab hin

In der Nähe von Mariu­pol sollen Medien zufol­ge Satel­li­ten­bil­der auf ein mögli­ches Massen­grab hinwei­sen. Der US-Satel­li­ten­fo­to­dienst Maxar verbrei­te­te Aufnah­men, die in dem Vorort Manhusch mehre­re ausge­ho­be­ne Grabstel­len zeigen sollen. Örtli­che Behör­den sprechen davon, dass in Manhusch Tausen­de Zivilis­ten begra­ben sein sollen. Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hatte von Zehntau­sen­den Toten in der Hafen­stadt gespro­chen. Die ukrai­ni­schen Angaben waren von unabhän­gi­ger Seite nicht überprüf­bar. Präsi­dent Selen­skyj hat sich zu dem mutmaß­li­chen Massen­grab bisher nicht öffent­lich geäußert.

Kiew: Verstärk­te Kämpfe an Front­li­nie im Osten

Im Osten der Ukrai­ne inten­si­vier­ten sich Angaben aus Kiew zufol­ge die Gefech­te an mehre­ren Orten. Die russi­schen Einhei­ten hätten die Kämpfe entlang der gesam­ten Front­li­nie in der Region Donezk verschärft, heißt es im Morgen­be­richt des ukrai­ni­schen General­stabs am Freitag. Russland führe offen­si­ve Opera­tio­nen bei der Siedlung Sarit­sch­ne durch. Es versu­che weiter, rund um die Stadt Rubisch­ne in der Region Luhansk vorzu­sto­ßen. Gefech­te dauer­ten auch um die Stadt Popas­na an. Diese wird ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge teilwei­se bereits von russi­schen Truppen kontrolliert.

Schwe­re Gefech­te habe es zudem wie in den vergan­ge­nen Tagen um Marjin­ka gegeben. Russi­sche Einhei­ten versuch­ten mit Unter­stüt­zung von Artil­le­rie, hier vorzu­sto­ßen. Angaben aus dem Kriegs­ge­biet können nicht unabhän­gig überprüft werden.

Laut einer Berate­rin des ukrai­ni­schen Präsi­den­ten­bü­ros besetz­ten russi­sche Truppen binnen 24 Stunden 42 Orte in der Region Donezk im Osten. Insge­samt kontrol­lier­ten russi­sche Einhei­ten aktuell in der gesam­ten Ukrai­ne mehr als 3500 Orte, sagte Olena Simonen­ko in der Nacht zum Freitag im ukrai­ni­schen Einheits­fern­se­hen. Zuletzt waren auch russi­sche Vorstö­ße in der Region Luhansk gemel­det worden.

Tote und Verletz­te nach Beschuss in mehre­ren Regionen

Ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge sind in mehre­ren Regio­nen im Osten und Süden des Landes mehre­re Menschen durch Beschuss verletzt oder getötet worden. In der Region Charkiw seien zwei Perso­nen ums Leben gekom­men, nachdem ein Geschoss in ihr Auto einge­schla­gen war. Insge­samt seien am Donners­tag in der Region Charkiw etwa 50 russi­sche Angrif­fe durch Artil­le­rie und Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer regis­triert worden, sagte der Gouver­neur Oleh Synjehubow.

Aus der südli­chen Stadt Saporischschja hieß es, bei zweima­li­gem Beschuss der Stadt am Donners­tag seien acht Perso­nen verletzt worden. Die Druck­wel­le einer Rakete habe unter anderem die Fenster von vier Waggons eines Evaku­ie­rungs­zu­ges zerstört. In der Region Dnipro­pe­trowsk seien bei drei Raketen­an­grif­fen fünf Menschen verletzt und Bahnglei­se völlig zerstört worden. Auch aus der südli­chen Großstadt Mykola­jiw wurde in der Nacht zum Freitag erneut Beschuss berich­tet. Die Angaben konnten nicht unabhän­gig geprüft werden.

Polizei­chef: Mehr als 1000 Tote im Kiewer Gebiet gefunden

Seit dem Abzug russi­scher Truppen vor mehr als drei Wochen sind im Gebiet Kiew nach Polizei­an­ga­ben bisher mehr als 1000 Leichen gefun­den worden. «Gerade beträgt die Zahl der Toten 1084, die von Ermitt­lern unter­sucht und zur Gerichts­me­di­zin gebracht wurden», sagte der Polizei­chef der Region um die Haupt­stadt Kiew, Andrij Njeby­tow, am Freitag im ukrai­ni­schen Fernse­hen. Es hande­le sich um Zivilis­ten, die in keiner Bezie­hung zur Gebiets­ver­tei­di­gung oder anderen militä­ri­schen Verbin­dun­gen gestan­den hätten.

«Der überwie­gen­de Teil — von 50 bis 75 Prozent in Abhän­gig­keit vom Ort — sind Menschen, die mit Schuss­waf­fen getötet wurden», beton­te Njeby­tow. Es seien Maschinen‑, Scharf­schüt­zen- und Sturm­ge­weh­re einge­setzt worden, um die Menschen zu töten. Mehr als 300 Leichen konnten nach seinen Angaben noch nicht identi­fi­ziert werden.

Mehrheit der Menschen hat Donezk verlassen

Nach ukrai­ni­schen Angaben haben mittler­wei­le fast drei Viertel aller Menschen den von der Ukrai­ne kontrol­lier­ten Teil der umkämpf­ten Region Donezk im Osten des Landes verlas­sen. Das sagte der Gouver­neur der Region Donezk, Pawlo Kyryl­en­ko, im ukrai­ni­schen Einheits­fern­se­hen, wie die Inter­net-Zeitung «Ukrajins­ka Prawda» am Freitag­mor­gen berichtete.

Demnach befän­den sich noch rund 430.000 Einwoh­ner in dem Gebiet. Vor Beginn des russi­schen Angriffs­krie­ges am 24. Febru­ar seien es noch mehr als 1,6 Millio­nen Menschen gewesen. In der nach Mariu­pol zweit­größ­ten Stadt unter ukrai­ni­scher Kontrol­le in Donezk, Krama­torsk, lebten aktuell nur noch etwas mehr als 40.000 von den ursprüng­lich 200.000 Menschen.

Selen­skyj: Hunder­te Milli­ar­den für Wieder­auf­bau benötigt

Wegen des russi­schen Angriffs­kriegs braucht die Ukrai­ne nach Einschät­zung von Präsi­dent Selen­skyj monat­lich rund sieben Milli­ar­den US-Dollar (rund 6,5 Milli­ar­den Euro), um ihre wirtschaft­li­chen Verlus­te auszu­glei­chen. Zudem werde die Ukrai­ne «Hunder­te Milli­ar­den Dollar brauchen, um später wieder alles aufzu­bau­en», sagte Selen­skyj am Donners­tag per Video­schal­te bei einer inter­na­tio­na­len Geber­kon­fe­renz der Weltbank in Washington.

Die Bundes­re­gie­rung hat derweil angekün­digt, rund 37 Millio­nen Euro für den Wieder­auf­bau bereit­stel­len zu wollen. Die Mittel sollen einge­setzt werden, um Schäden zu beheben, die durch den russi­schen Angriffs­krieg verur­sacht wurden. «Die Ukrai­ne braucht dringend Wohnraum für die Millio­nen Binnen­ver­trie­be­nen und sie braucht ein intak­tes Strom­netz. Hier kann die deutsche Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit kurzfris­tig helfen», sagte Bundes­ent­wick­lungs­mi­nis­te­rin Svenja Schul­ze (SPD) vor der Weltbank­ta­gung der «Augsbur­ger Allgemeinen».

US-Regie­rung liefert neu entwi­ckel­te Drohne

Die USA haben nach Angaben des Penta­gons einen neuar­ti­gen Drohnen­typ entwi­ckelt, der Anfor­de­run­gen des ukrai­ni­schen Militärs entspricht und nun weiter angepasst werden soll. «In Gesprä­chen mit den Ukrai­nern über ihre Anfor­de­run­gen waren wir der Meinung, dass dieses spezi­el­le System sehr gut für ihre Bedürf­nis­se geeig­net wäre, insbe­son­de­re in der Ostukrai­ne», sagte Penta­gon-Sprecher John Kirby am Donners­tag­nach­mit­tag (Ortszeit).

Die Entwick­lung der Drohne mit dem Namen «Phoenix Ghost» habe bereits vor Ausbruch des Ukrai­ne-Kriegs begon­nen. Man wolle diese nun weiter so voran­trei­ben, dass sie noch besser zu den ukrai­ni­schen Anfor­de­run­gen passe. Mehr als 120 der Drohnen sollen im Rahmen eines neuen Militär­hil­fe­pa­kets der US-Regie­rung in die Ukrai­ne gelie­fert werden.

Baerbock: Werden bei Nato-Verstär­kung im Balti­kum vorangehen

Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock hat den balti­schen Staaten eine stärke­re Betei­li­gung Deutsch­lands an der Vertei­di­gung der Nato-Ostflan­ke verspro­chen. «Wenn die Nato entschei­det, dass die Präsenz der Nato auf Briga­den­stär­ke erhöht werden soll, dann werden wir als Bundes­re­pu­blik Deutsch­land dafür einen substan­zi­el­len Beitrag leisten», kündig­te die Grünen-Politi­ke­rin am Freitag nach einem Treffen mit ihrem Amtskol­le­gen Gabrie­li­us Lands­ber­gis in Litau­ens Haupt­stadt Vilni­us an. «Ich habe hier verstan­den, dass das nötig ist. Und dann wird Deutsch­land dort vorangehen.»