KIEW (dpa) — Am 9. Mai feiert Russland den Sieg im Zweiten Weltkrieg. Was wird Putin dann für den Ukrai­ne-Krieg befeh­len? Einer seiner Kreml-Spitzen­leu­te besucht schon mal das erober­te Mariu­pol. Die Entwicklungen.

Die Ukrai­ne hofft auf weite­re Rettungs­ak­tio­nen für bedroh­te Zivilis­ten aus der von Russland fast vollstän­dig erober­ten Hafen­stadt Mariupol.

Das russi­sche Militär kündig­te für Donners­tag, Freitag und Samstag jeweils Feuer­pau­sen an, damit die Menschen das dort belager­te Stahl­werk Azovs­tal verlas­sen können. In Kiew sicher­te Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj dassel­be für die ukrai­ni­sche Seite zu. «Wir hoffen, weiter­hin Menschen aus Azovs­tal, aus Mariu­pol retten zu können», sagte er in seiner abend­li­chen Video­an­spra­che am Mittwoch.

Mit schwe­ren Raketen­an­grif­fen auf Bahnan­la­gen in der Ukrai­ne versuch­ten russi­sche Truppen am Mittwoch weiter, die Nachschub­we­ge für westli­che Waffen zu zerstö­ren. In der polni­schen Haupt­stadt Warschau soll am Donners­tag eine inter­na­tio­na­le Geber­kon­fe­renz Geld für humani­tä­re Hilfe in der kriegs­ge­plag­ten Ukrai­ne sammeln.

Kämpfe und Feuer­pau­sen am Stahl­werk Azovstal

Nach Angaben des ukrai­ni­schen Militärs haben die russi­schen Truppen erneut versucht, das Stahl­werk Azovs­tal in der Hafen­stadt Mariu­pol zu erstür­men. «Mit Unter­stüt­zung der Luftwaf­fe hat der Gegner seinen Angriff mit dem Ziel erneu­ert, das Fabrik­ge­län­de unter seine Kontrol­le zu bringen», teilte der ukrai­ni­sche General­stab am Donners­tag­mor­gen in seinem Lagebe­richt mit.

In dem Stahl­werk haben neben den ukrai­ni­schen Kämpfern Schät­zun­gen zufol­ge auch noch bis zu 200 Zivilis­ten Zuflucht gesucht. Für die nächs­ten Tage hat Russland eine tägli­che, auf mehre­re Stunden begrenz­te Feuer­pau­se angekün­digt, damit diese Menschen sich in Sicher­heit bringen können.

Gespannt bleibt die Lage auch an anderen Front­ab­schnit­ten im Donbass. Demnach stehen die ukrai­ni­schen Truppen vor Donezk unter schwe­rem Beschuss von Artil­le­rie und Luftwaf­fe. Das russi­sche Militär versucht, weiter Angrif­fe auf die Städte Liman, Popas­na und Sjewjer­odo­nezk zu initi­ie­ren. Eigenen Angaben nach konnten die Ukrai­ner die Angrif­fe abwehren.

Einen Erfolg melde­te der General­stab von der Südfront: Demnach sei es dort gelun­gen, dem Gegner die Kontrol­le über mehre­re Ortschaf­ten an der Grenze zwischen den Gebie­ten Cherson und Mykola­jiw zu entrei­ßen. Details und Ortsna­men nannte die Kiewer Militär­füh­rung dabei nicht. Von unabhän­gi­ger Seite ließen sich die Angaben nicht überprüfen.

Kreml­be­am­ter zeigt neue russi­sche Macht in Mariupol

Wenige Tage vor dem 9. Mai, dem «Tag des Sieges» über Hitler-Deutsch­land, demons­trier­te Moskau seine neu gewon­ne­ne Macht mit einem Besuch des rangho­hen Kreml­be­am­ten Sergej Kirijen­ko in Mariu­pol. Der frühe­re Regie­rungs­chef organi­siert für Präsi­dent Wladi­mir Putin die russi­sche Innen­po­li­tik. Den Angaben zufol­ge besuch­te er in Mariu­pol das Ilitsch-Stahl­werk und den Hafen und war auch zu Gast in Wolno­wacha, einer Stadt in der Separa­tis­ten­re­pu­blik Donezk.

Die Menschen in der Volks­re­pu­blik Donezk verstün­den Kirijen­kos Besuch als Symbol, «dass Russland für immer hierher zurück­ge­kehrt ist», schrieb Denis Puschi­lin, Chef der Donez­ker Separa­tis­ten. Kurz vor dem Angriff auf die Ukrai­ne hatte Russland die 2014 abgespal­te­nen sogenann­ten Volks­re­pu­bli­ken Donezk und Luhansk als unabhän­gig anerkannt. In Moskau wird speku­liert, ob Putin bei der tradi­tio­nel­len Parade zum Tag des Sieges die weite­re Richtung im Ukrai­ne-Krieg verkün­den wird. Der Kreml demen­tier­te aber, dass Putin eine allge­mei­ne Mobil­ma­chung verkün­den werde.

In der Exkla­ve Kalinin­grad an der Ostsee übte die russi­sche Armee Angrif­fe mit dem atomwaf­fen­fä­hi­gen Raketen­sys­tem Iskander‑M. Etwa 100 Solda­ten rückten mit 20 Fahrzeu­gen aus, wie das Militär am Mittwoch mitteil­te. Dann seien einzel­ne oder massen­haf­te Starts simuliert worden, um gegne­ri­sche Raketen­sys­te­me, Flugplät­ze, Bunker oder Truppen zu treffen. Iskander‑M kann mit Marsch­flug­kör­pern oder Raketen bis zu 500 Kilome­ter weit schie­ßen. Von Kalinin­grad aus liegen damit Warschau, Berlin und andere Haupt­städ­te in Reichweite.

Raketen treffen Bahnan­la­gen in Dnipro

Die wieder­hol­ten russi­schen Raketen­an­grif­fe auf Eisen­bahn­an­la­gen haben den Zugver­kehr in der Ukrai­ne empfind­lich gestört. Nach einem Überblick der Bahnge­sell­schaft Ukrsa­lis­nyz­ja vom Mittwoch­abend waren etwa 20 Fernzü­ge mit Verspä­tun­gen von bis zu zwölf Stunden unterwegs.

«Russland versucht, unsere Logis­tik zu ruinie­ren, weil sie uns im Felde nicht besie­gen können», schrieb der Leiter des ukrai­ni­schen Präsi­di­al­am­tes, Andrij Jermak, auf Telegram. Er bestä­tig­te den Angriff auf ein Objekt der Eisen­bahn mitten in der Stadt Dnipro.

Nicht verifi­zier­te Videos im Inter­net ließen vermu­ten, dass dort eine Eisen­bahn­brü­cke über den breiten Strom Dnipro getrof­fen worden war. Der Zugver­kehr an der Stelle sei einge­stellt worden, teilten örtli­che Behör­den mit. Wegen der russi­schen Raketen herrsch­te auch in der Nacht zu Donners­tag in fast allen Teilen der Ukrai­ne Luftalarm.

Trotz der Angrif­fe gelang­ten die gelie­fer­ten Waffen in die Hände der Ukrai­ne, sagte John Kirby, Sprecher des US-Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums, in Washing­ton. Der Sender CNN berich­te­te, von 90 zugesag­ten Haubit­zen aus den USA seien etwa 80 bereits in der Ukrai­ne. Auch 90.000 von 144.000 zugesag­ten Geschos­sen Muniti­on hätten ihr Ziel erreicht.

Das bringt der Tag

Am Donners­tag, dem 71. Tag des Krieges, tritt in Polen eine inter­na­tio­na­le Geber­kon­fe­renz zusam­men. Sie soll Geld für humani­tä­re Hilfe in der Ukrai­ne sammeln. Die Veran­stal­tung in Warschau wird von Polen und Schwe­den gemein­sam organi­siert. Partner der Konfe­renz sind die Präsi­den­ten der Europäi­schen Kommis­si­on und des Europäi­schen Rates. Auch die Verein­ten Natio­nen betei­li­gen sich.