KIEW (dpa) — Die letzten Zivilis­ten wurden aus dem Stahl­werk in Mariu­pol geret­tet. Es gab hefti­ge Gefech­te im Osten. Und Scholz will sich in einer Fernseh­an­spra­che zum Krieg äußern. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Nach der Evaku­ie­rung der letzten Zivilis­ten aus dem Stahl­werk Azovs­tal in Mariu­pol hofft die Ukrai­ne auf die Rettung auch ihrer Verwun­de­ten und Soldaten.

Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sprach von einer zweiten mögli­chen Phase der Evaku­ie­rung, die vorbe­rei­tet werde. Russi­sche Kräfte setzten unter­des­sen ihre Angrif­fe auf die Fabrik fort, die letzte BAsti­on der Ukrai­ner in der weitge­hend zerstör­ten Hafen­stadt ist.

In der Nacht auf Sonntag gab es in weiten Teile des Landes Luftalarm. Aus den Städten Odessa und Mykola­jiw im Süden wurden Explo­sio­nen gemel­det. Auf inter­na­tio­na­ler Ebene gehen am Sonntag die Bemühun­gen um Hilfe für die angegrif­fe­ne Ukrai­ne weiter. Die Gruppe der sieben führen­den westli­chen Indus­trie­staa­ten (G7) will über neue Sanktio­nen gegen Russland beraten. Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) will sich in einer Fernseh­an­spra­che zum Krieg in der Ukrai­ne äußern.

Russland rück im Donbass vor

Im Donbass-Gebiet haben die russi­schen Truppen nach mehre­ren Tagen ohne nennens­wer­te Fortschrit­te nach ukrai­ni­schen Angaben nun wieder Gelän­de­ge­win­ne erzielt. «In Richtung Liman hat der Feind durch Angrif­fe den Nordrand von Schand­ri­go­lo­we erobert», teilte der ukrai­ni­sche General­stab am Sonntag in seinem Lagebe­richt mit. Schand­ri­go­lo­we liegt rund 20 Kilome­ter nördlich der Großstadt Slowjansk, die Teilziel der russi­schen Opera­ti­on im Donbass ist.

Darüber hinaus fahren die russi­schen Truppen auch weiter­hin Angrif­fe Richtung Sjewjer­odo­nezk, Popas­na, und Awdijiw­ka. «In Richtung Kurachowe versu­che der Feind seine Offen­si­ve auf Nowomy­cha­j­liw­ka mit Unter­stüt­zung der Artil­le­rie wieder aufzu­neh­men», heißt es zudem. In Mariu­pol würden die ukrai­ni­schen Einhei­ten weiter­hin im Stahl­werk blockiert. Mit Luft- und Artil­le­rie­un­ter­stüt­zung setzen die russi­schen Truppen dort ihre Sturm­ver­su­che fort.

Insge­samt spricht die ukrai­ni­sche Militär­füh­rung von neun abgewehr­ten russi­schen Angrif­fen. Dabei seien unter anderem ein Hubschrau­ber vom Typ Mi-28, 19 Panzer und 20 gepan­zer­te Militär­fahr­zeu­ge abgeschos­sen worden.

In die Defen­si­ve sind die Russen dem Bericht zufol­ge im Norden des Gebiets Charkiw geraten. Dort habe «der Gegner seine Anstren­gun­gen darauf konzen­triert, den Vormarsch unserer Truppen in Richtung Grenze nördlich und nordöst­lich von Charkiw zu stoppen», teilte der General­stab mit.

Bericht über viele Tote nach Luftan­griff auf Schule

Nach einem russi­schen Luftan­griff auf eine Schule im Gebiet Luhansk sprechen die ukrai­ni­schen Behör­den von mögli­cher­wei­se bis zu 60 Toten. Nach einem Luftschlag auf die Schule in Biloho­riw­ka seien bisher zwei Leichen gebor­gen worden, teilte der Gouver­neur der Region Serhij Hajdaj am Sonntag auf seinem Telegram-Kanal mit. «Wahrschein­lich sind alle 60 Menschen, die noch unter den Trümmern des Gebäu­des liegen, tot», fügte er hinzu.

Der Luftan­griff ereig­ne­te sich seinen Angaben nach bereits am Samstag­nach­mit­tag. In dem Schul­ge­bäu­de hatten 90 Perso­nen vor den Angrif­fen Schutz gesucht. Durch den Bomben­ab­wurf brach ein Feuer in der Schule aus und das Gebäu­de stürz­te zusam­men. 30 Menschen konnten die Einsatz­kräf­te retten — 7 davon waren verletzt, so der Gouverneur.

Biloho­riw­ka ist eine städti­sche Siedlung etwa zehn Kilome­ter westlich von Lyssytschansk. Die Ortschaft ist schwer umkämpft.

Drama­ti­sche Lage in Azovstal

In einer Feuer­pau­se im Kampf um Azovs­tal am Samstag gelang es nach überein­stim­men­den ukrai­ni­schen und russi­schen Angaben, die letzten Zivilis­ten aus ihren Verste­cken zu bergen. Für die verblei­ben­den Solda­ten ist die Lage aber verzwei­felt. Er könne nur noch auf ein Wunder hoffen, schrieb der Komman­deur der 36. Marine­infan­te­rie­bri­ga­de, Serhij Wolyn­skyj, bei Facebook. «Darauf, dass höhere Kräfte eine Lösung für unsere Rettung finden!»

Beobach­ter gehen davon aus, dass der Kreml Azovs­tal so schnell wie möglich einneh­men will, um am Montag — dem 77. Jahres­tag des Sieges der Sowjet­uni­on über Hitler-Deutsch­land — die Erobe­rung Mariu­pols verkün­den zu können.

«Wir berei­ten jetzt die zweite Etappe der Evaku­ie­rungs­mis­si­on vor, der Verwun­de­ten und Ärzte», sagte Selen­skyj in seiner abend­li­chen Video­an­spra­che. Dies gehe nur, wenn sich alle Seiten an eine Verein­ba­rung hielten. «Natür­lich arbei­ten wir auch daran, unser Militär abzuzie­hen.» Moskau hat jedoch mehrfach angekün­digt, die ukrai­ni­schen Kämpfer selbst im Falle einer Kapitu­la­ti­on in Gefan­gen­schaft nehmen zu wollen.

Von Luftalarm waren in der Nacht auf Sonntag betrof­fen die Haupt­stadt Kiew und ihr Umland, aber auch Lwiw im Westen, Charkiw und Donezk im Osten, Odessa im Süden und andere Gebie­te. Die Ukrai­ne fürch­tet beson­ders hefti­ge Luftan­grif­fe im Zusam­men­hang mit dem bevor­ste­hen­den Geden­ken Russlands an den sowje­ti­schen Sieg im Zweiten Weltkrieg.

Klage über Zerstö­rung von Kulturdenkmälern

Dieser Tage geden­ke die Welt des Sieges über den Natio­nal­so­zia­lis­mus im Zweiten Weltkrieg, sagte Selen­skyj. Doch für ihn zeige das russi­sche Vorge­hen, «dass es unmög­lich ist, das Böse ein für alle Mal zu besie­gen». Er beklag­te, dass in dem seit zweiein­halb Monaten dauern­den Angriffs­krieg 200 ukrai­ni­sche Kultur­er­be­stät­ten getrof­fen worden seien. «Leider kehrt das Böse zurück, wenn Menschen die Rechte anderer Menschen missach­ten, das Gesetz missach­ten und die Kultur zerstö­ren», sagte der Präsident.

Aus den umkämpf­ten Gebie­ten in der Ukrai­ne sind nach Angaben des russi­schen Militärs seit Ende Febru­ar 1,16 Millio­nen Menschen nach Russland gebracht worden. Dazu zählten 205.000 Kinder, teilte das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Moskau mit. Russland betrach­tet dies als Rettung bedroh­ter Zivilis­ten. Kiew wirft Moskau vor, die Menschen gegen deren Willen zu verschlep­pen und einen Wechsel auf ukrai­nisch kontrol­lier­tes Gebiet zu verhindern.

London sagt großes Hilfs­pa­ket zu

Vor der Beratung der G7 sagte Großbri­tan­ni­en der kriegs­ge­plag­ten Ukrai­ne weite­re Militär­hil­fen von 1,3 Milli­ar­den briti­scher Pfund (1,52 Milli­ar­den Euro) zu. «Das Verei­nig­te König­reich hat als erstes Land das Ausmaß der Bedro­hung erkannt und schickt Waffen, damit die Ukrai­ner sich vertei­di­gen können», wurde Premier­mi­nis­ter Boris Johnson von der Agentur PA zitiert. Der Angriff des russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin verur­sa­che nicht nur unsag­ba­re Zerstö­run­gen in der Ukrai­ne. «Er bedroht auch Frieden und Sicher­heit in ganz Europa.»

Einen Teil des neuen Pakets von 300 Millio­nen Pfund hatte Johnson in der vergan­ge­nen Woche bereits angekün­digt. Dafür sollen unter anderem Anti-Artil­le­rie-Radar, Störge­rä­te für Elektro­nik und Nacht­sicht­ge­rä­te gelie­fert werden. Zuvor hatte London bereits 1,5 Milli­ar­den Pfund an militä­ri­scher und humani­tä­rer Hilfe zugesagt.

Das bringt der Tag

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hält am Sonntag eine Fernseh­an­spra­che zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa 1945 und zum Krieg in der Ukrai­ne. Wie die Bundes­re­gie­rung mitteil­te, ist es wegen des laufen­den russi­schen Angriffs auf die Ukrai­ne in diesem Jahr ein beson­de­res Geden­ken zum 8. Mai.

Als bislang ranghöchs­te Vertre­te­rin Deutsch­lands reist Bundes­tags­prä­si­den­tin Bärbel Bas am Sonntag nach Kiew. Sie folgt einer Einla­dung des ukrai­ni­schen Parla­ments­prä­si­den­ten Ruslan Stefant­schuk. Im Namen des Bundes­ta­ges will Bas am Grabmal des Unbekann­ten Solda­ten und am Denkmal für die ermor­de­ten ukrai­ni­schen Juden in Babyn Jar Kränze nieder­le­gen. Bas hofft auch auf ein Treffen mit Präsi­dent Selen­skyj, wenn die Sicher­heits­la­ge es zulässt.