KIEW (dpa) — In den Bemühun­gen um inter­na­tio­na­le Sicher­heits­ga­ran­tien sieht Selen­skyj Fortschrit­te. Derweil müssen schwer verwun­de­te Solda­ten aus dem Werk Azovs­tal evaku­iert werden. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sieht deutli­che Fortschrit­te bei den Bemühun­gen um inter­na­tio­na­le Sicher­heits­ga­ran­tien für sein Land. Damit könnte die von Moskau gefor­der­te politi­sche Neutra­li­tät der Ukrai­ne in einer Nachkriegs­zeit abgesi­chert werden.

Vize-Regie­rungs­chefin Iryna Werescht­schuk verhan­delt unter­des­sen mit der russi­schen Seite um ein ungewöhn­li­ches Tausch­ge­schäft — russi­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne gegen schwer verwun­de­te ukrai­ni­sche Solda­ten aus dem Werk Azovs­tal in Mariupol.

Zuver­sicht bei Gesprä­chen über Sicherheitsgarantien

«Wir verhan­deln mit den führen­den Natio­nen der Welt, um der Ukrai­ne Vertrau­en in die Sicher­heit für die kommen­den Jahrzehn­te zu geben», sagte Selen­skyj am Mittwoch­abend in seiner tägli­chen Video­an­spra­che. Unter anderem sei am 8. Mai beim Treffen der G7, an dem die Ukrai­ne erstmals teilnahm, über dieses Thema gespro­chen worden.

«Dies ist nun das erste Mal in der Geschich­te unseres Staates, dass solche Garan­tien erfasst werden können», sagte Selen­skyj. Und zwar nicht in irgend­wel­chen Memoran­den oder unkla­ren Formu­lie­run­gen, «sondern konkre­te Garan­tien». Diese seien damit auch «nicht nur rechts­gül­tig, sondern auch so formu­liert, dass klar ist: Was genau, wer konkret und wie konkret (der Ukrai­ne) garan­tiert wird».

Die russi­sche Armee hatte am 24. Febru­ar ihre Offen­si­ve gegen die Ukrai­ne gestar­tet. Eine der Forde­run­gen Moskaus zur Beendi­gung der Kampf­hand­lun­gen ist ein klares Bekennt­nis Kiews zur politi­schen Neutra­li­tät, für die das Land jedoch starke inter­na­tio­na­le Sicher­heits­ga­ran­tien sucht.

Kiew schlägt Russland Tausch­ge­schäft vor

Die ukrai­ni­sche Führung schlägt dem russi­schen Militär ein Tausch­ge­schäft für die im Stahl­werk Azovs­tal in Mariu­pol verschanz­ten letzten Vertei­di­ger der Hafen­stadt vor. «Als ersten Schritt haben wir den Russen folgen­den Tausch angebo­ten: Wir trans­por­tie­ren unsere schwer­ver­wun­de­ten Jungs in einem humani­tä­ren Korri­dor aus Azovs­tal ab», sagte Vize-Regie­rungs­chefin Werescht­schuk nach Angaben der «Ukrajins­ka Prawda». Gleich­zei­tig lasse das ukrai­ni­sche Militär russi­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne «nach Standard­re­geln für deren Austausch» frei. Die Verhand­lun­gen dazu dauer­ten noch an.

In den vergan­ge­nen Tagen war mehrfach über das Leiden der verwun­de­ten ukrai­ni­schen Solda­ten im Stahl­werk berich­tet worden. Nach Darstel­lung eines Sanitä­ters herrscht dort inzwi­schen absolu­ter Mangel an Medika­men­ten. Das weiträu­mi­ge Stahl­werk ist die letzte Basti­on der ukrai­ni­schen Truppen in der schwer zerstör­ten Hafen­stadt Mariu­pol. Das russi­sche Militär fordert von den Vertei­di­gern die Kapitu­la­ti­on, die ukrai­ni­schen Truppen lehnen das katego­risch ab.

Russi­sches Militär fordert Evaku­ie­rung ukrai­ni­scher Orte

Wohl zur Erleich­te­rung eigener Angrif­fe hat das russi­sche Militär inter­na­tio­na­le Organi­sa­tio­nen zur Evaku­ie­rung ostukrai­ni­scher Orte aufgerufen.

«Mit Blick auf die drohen­de katastro­pha­le humani­tä­re Lage der meisten Zivilis­ten in Krama­torsk und Slowjansk rufen wir die Weltge­mein­schaft, die UN, die OSZE und das Inter­na­tio­na­le Komitee des Roten Kreuzes auf, unver­züg­lich alle Maßnah­men zur schnel­len und siche­ren Evaku­ie­rung der Zivilis­ten aus diesen Städten unter der Kontrol­le der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te einzu­lei­ten», wurde der General­oberst Michail Misin­zew vom Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Moskau von der Agentur Inter­fax zitiert.

Nach Misin­zews Darstel­lung haben sich die ukrai­ni­schen Truppen in diesen Orten verschanzt und missbrauch­ten die eigene Zivil­be­völ­ke­rung als leben­den Schutz­schild. In Slowjansk und Krama­torsk hielten sich demnach rund 90.000 Zivilis­ten auf. Krama­torsk und Slowjansk gelten als Eckpfei­ler der ukrai­ni­schen Abwehr­li­ni­en in der Ostukraine.

Ukrai­ne: Kämpfe zwischen Cherson und Mykolajiw

Russi­sche und ukrai­ni­sche Truppen haben sich in der Region zwischen Cherson und Mykola­jiw im Süden der Ukrai­ne erneut erbit­ter­te Gefech­te gelie­fert. Dabei gaben die Vertei­di­ger den russi­schen Angrei­fern «keine Gelegen­heit zum Vordrin­gen», wie die ukrai­ni­sche Militär­füh­rung mitteilte.

Im Verlauf der Kämpfe seien mindes­tens 23 russi­sche Solda­ten getötet und zwei Panzer zerstört worden, ebenso wie ein Muniti­ons­la­ger, zitier­te die Agentur Unian aus der Mittei­lung. Die Angaben konnten nicht unabhän­gig geprüft werden.

Klitsch­ko befürch­tet weiter­hin russi­sche Angrif­fe auf Kiew

Ungeach­tet des Abzugs russi­scher Truppen aus der Umgebung von Kiew befürch­tet Bürger­meis­ter Vitali Klitsch­ko «jeder­zeit» einen neuen Angriff auf die ukrai­ni­sche Haupt­stadt. Im Gespräch mit dem US-Sender CNN schloss Klitsch­ko in der Nacht zum Donners­tag sogar den Einsatz takti­scher Atomwaf­fen nicht aus. Kiew bleibe weiter­hin das Haupt­ziel des russi­schen Militärs.

«Und solan­ge in der Ukrai­ne Krieg herrscht, können wir nicht einem Ukrai­ner irgend­wel­che Garan­tien geben», sagte der frühe­re Box-Weltmeis­ter. «Aktuell hat Sicher­heit für uns obers­te Priori­tät», sagte er. Zwar werde das Land von «unseren Kriegern» vertei­digt, doch das Risiko bleibe. «Und ohne unsere Partner, ohne die USA und die europäi­schen Staaten können wir nicht überleben.»

Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock berät ab heute in Wangels an der Ostsee mit ihren Kolle­gen aus der G7-Gruppe der führen­den demokra­ti­schen Indus­trie­na­tio­nen über die Auswir­kun­gen des russi­schen Angriffs­kriegs. Bei den Gesprä­chen sollen zeitwei­se auch die Außen­mi­nis­ter der Ukrai­ne und der Republik Moldau, Dmytro Kuleba und Nicu Popes­cu, dabei sein.

In Helsin­ki will der finni­sche Präsi­dent Sauli Niinistö seine Positi­on zu einer mögli­chen Nato-Mitglied­schaft seines Landes verkün­den. Die Bekannt­ga­be gilt als wegwei­send dafür, ob sich Finnland im Zuge des russi­schen Angriffs­kriegs dazu entschließt, die Aufnah­me in das Militär­bünd­nis zu beantra­gen. Auch Schwe­den denkt über einen Nato-Beitritt nach.

In Tokio treffen EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen und EU-Ratsprä­si­dent Charles Michel den japani­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Fumio Kishi­da. Beim 28. EU-Japan-Gipfel soll es unter anderem um die gemein­sa­men Sanktio­nen gegen Russland sowie um Hilfen für Kiew gehen.

In Genf kommt der Menschen­rechts­rat der UN zu einer Sonder­sit­zung zur Ukrai­ne zusammen.