KIEW (dpa) — Die Ukrai­ne braucht ihre Helden lebend, sagt Präsi­dent Selen­skyj. Für gut 260 Vertei­di­ger aus dem Stahl­werk Azovs­tal bedeu­tet das einen Umweg über russi­sche Gefan­gen­schaft. Die Ereig­nis­se im Überblick.

Nach wochen­lan­ger Blocka­de haben gut 260 ukrai­ni­sche Solda­ten das Asow-Stahl­werk in Mariu­pol verlas­sen. Darun­ter waren 53 Schwer­ver­letz­te, wie der ukrai­ni­sche General­stab mitteilte.

Fast zeitgleich mit der Evaku­ie­rung gab es erneut einen russi­schen Luftan­griff bei der Großstadt Lwiw im Westen der Ukraine.

Gefan­ge­nen­aus­tausch für Evaku­ier­te aus Azovs­tal geplant

Die anderen 211 ukrai­ni­schen Kämpfer seien aus dem Stahl­werk Azovs­tal in eine von russi­schen Truppen besetz­te Ortschaft gebracht worden. Sie sollten später in einem Gefan­ge­nen­aus­tausch freikom­men, hieß es. An der Evaku­ie­rung der weite­ren Vertei­di­ger des Stahl­werks Azovs­tal werde noch gearbeitet.

Vize-Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Hanna Maljar beton­te, ein Freikämp­fen von Azovs­tal sei nicht möglich gewesen. Von russi­scher Seite wurde ein geplan­ter Gefan­ge­nen­aus­tausch bislang nicht offizi­ell bestä­tigt. Das russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um hatte zuvor ledig­lich von einer Feuer­pau­se für die Evaku­ie­rung gesprochen.

Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sagte in seiner Video­an­spra­che, die Ukrai­ne brauche ihre Helden lebend. An der Evaku­ie­rung der Solda­ten seien unter anderem auch das Inter­na­tio­na­le Rote Kreuz und die Verein­ten Natio­nen betei­ligt gewesen.

Erneut Raketen­an­griff bei Lwiw

Das Gebiet um die Großstadt Lwiw in der Westukrai­ne wurde erneut Ziel eines Luftan­griffs. Die Attacke habe einer Militär­ein­rich­tung im Bezirk Jawor­iw an der Grenze zu Polen gegol­ten, schrieb der lokale Militär­chef Maxim Kosiz­kij bei Telegram. Bürger­meis­ter Andrij Sadowij beton­te, es gebe keine Infor­ma­tio­nen über Raketen­ein­schlä­ge in der Stadt und bedank­te sich bei der Luftab­wehr. Mitte März hätte ein russi­scher Luftan­griff den Truppen­übungs­platz in Jawor­iw getrof­fen, dabei wurden nach ukrai­ni­schen Angaben 35 Menschen getötet. In Jawor­iw hatten in den vergan­ge­nen Jahren ukrai­ni­sche Solda­ten mit westli­chen Ausbil­dern trainiert.

19 Zivilis­ten in Gebie­ten Donezk und Luhansk getötet

In den umkämpf­ten ostukrai­ni­schen Gebie­ten Donezk und Luhansk sind nach Behör­den­an­ga­ben mindes­tens 19 Zivilis­ten getötet worden. «Infol­ge des Beschus­ses von Sjewjer­odo­nezk gab es mindes­tens zehn Tote», teilte der Militär­gou­ver­neur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, im Nachrich­ten­dienst Telegram mit. Es sei aufgrund der Angrif­fe jedoch äußerst schwer, die Örtlich­keit zu überprü­fen. Im benach­bar­ten Donez­ker Gebiet wurden nach Angaben des örtli­chen Militär­gou­ver­neurs Pawlo Kyryl­en­ko weite­re neun Zivilis­ten getötet. Sechs weite­re Menschen wurden verletzt.

London: Russland setzt auf wahllo­sen Artilleriebeschuss

Die russi­schen Streit­kräf­te setzen im Krieg gegen die Ukrai­ne nach briti­schen Erkennt­nis­sen zuneh­mend auf «wahllo­sen Artil­le­rie­be­schuss». Russland habe nur begrenz­te Möglich­kei­ten zur Erfas­sung von Zielen und scheue zudem das Risiko, Kampf­flug­zeu­ge über ukrai­nisch kontrol­lier­tem Gebiet einzu­set­zen, teilte das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in London am Diens­tag unter Berufung auf die Geheim­diens­te mit. «In den kommen­den Wochen wird sich Russland wahrschein­lich weiter­hin stark auf massi­ve Artil­le­rie­an­grif­fe verlas­sen, wenn es seine Offen­si­ve im Donbass wieder in Schwung zu bringen versucht.»

Während des erfolg­lo­sen russi­schen Angriffs auf die Haupt­stadt Kiew seien im nordukrai­ni­schen Gebiet Tscher­ni­hiw rund 3500 Gebäu­de zerstört oder beschä­digt worden, teilte das Minis­te­ri­um weiter mit. Rund 80 Prozent der Zerstö­run­gen beträ­fen Zivil­ge­bäu­de. «Das Ausmaß dieser Schäden zeigt die Bereit­schaft Russlands, Artil­le­rie gegen Wohnge­bie­te einzu­set­zen.» Dabei werde nur minimal auf Verhält­nis­mä­ßig­keit gesetzt.

Scholz sieht kein baldi­ges Kriegsende

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) sieht keine Anzei­chen für ein baldi­ges Ende des Ukrai­ne-Kriegs. «Bisher ist es leider nicht so zu erken­nen, dass die Einsicht gewach­sen ist, dass man das jetzt hier so schnell wie möglich beendet», sagte er in der Sendung «RTL Direkt». Man müsse sich auch «Sorgen machen, dass es eine Eskala­ti­on des Krieges gibt». Scholz beton­te, dass Deutsch­land weiter Waffen in die Ukrai­ne liefern werde. Er rechne mit einer «relativ zügigen» Bereit­stel­lung der verspro­che­nen Flugab­wehr­pan­zer der Bundes­wehr vom Typ Gepard. Er verwies aber darauf, dass dafür weiter­hin Muniti­on im Ausland gesucht werde.

Das wird am Diens­tag wichtig

Das finni­sche Parla­ment debat­tiert weiter über einen Nato-Beitritt. Ob es zu einer Entschei­dung kommt, ist unklar. Zudem reist Finnlands Präsi­dent Sauli Niinistö auf Einla­dung des schwe­di­schen Königs Carl XVI. Gustaf zu einem zweitä­gi­gen Staats­be­such nach Stock­holm. Vor dem Hinter­grund der Entschei­dun­gen beider Länder für einen Antrag auf eine Nato-Mitglied­schaft soll es bei dem Treffen unter anderem um die gemein­sa­me Vertei­di­gungs­po­li­tik gehen.

In Brüssel treffen sich die EU-Vertei­di­gungs­mi­nis­ter und wollen unter anderem über den Krieg in der Ukrai­ne sowie die Umset­zung des sicher­heits­po­li­ti­schen Konzepts der Union sprechen. In der Ukrai­ne wird das Schick­sal der verblie­be­nen ukrai­ni­schen Solda­ten im Stahl­werk Azovs­tal im Mittel­punkt stehen, nachdem gut 260 Kämpfer das Gelän­de verlas­sen konnten.