KIEW (dpa) — In der Stadt Sjewjer­odo­nezk kämpfen russi­sche und ukrai­ni­sche Solda­ten um jede Straße, um jedes Haus. Die Zerstö­rung einer Brücke schnei­det den Ukrai­nern den Rückweg ab. Die Ereig­nis­se im Überblick.

Vor einem mögli­chen Besuch von Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) in Kiew fordert der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj eindeu­ti­ge Unter­stüt­zung durch Deutschland.

«Wir brauchen von Kanzler Scholz die Sicher­heit, dass Deutsch­land die Ukrai­ne unter­stützt. Er und seine Regie­rung müssen sich entschei­den», sagte Selen­skyj in einem Inter­view des ZDF-«heute-journals». Deutsch­land dürfe keinen Spagat zwischen der Ukrai­ne und den Bezie­hun­gen zu Russland versuchen.

Scholz, der franzö­si­sche Präsi­dent Emmanu­el Macron und Itali­ens Regie­rungs­chef Mario Draghi könnten Mitte der Woche die Ukrai­ne besuchen. Eine offizi­el­le Termin­an­ga­be steht aber noch aus. Im Osten der Ukrai­ne gingen die erbit­ter­ten Kämpfe auch in der Nacht zu Diens­tag weiter. Russland hatte das Nachbar­land Ende Febru­ar überfallen.

Selen­skyj legt Messlat­te für Scholz hoch

«Deutsch­land ist etwas später als einige unserer Nachbar­län­der dazuge­kom­men, was die Waffen­lie­fe­run­gen angeht», kriti­sier­te Selen­skyj im ZDF. Doch nicht nur die balti­schen Staaten und andere östli­che EU-Länder, auch die USA und Großbri­tan­ni­en seien früher aktiv gewor­den. Deutsch­land und Frank­reich hätten die Ukrai­ne anfangs nur politisch und rheto­risch unterstützt.

Von ukrai­ni­scher Seite wurde zuletzt häufig angepran­gert, dass Deutsch­land bereits verspro­che­ne Waffen zu zöger­lich liefe­re. Die ukrai­ni­sche Regie­rung erhofft sich konkre­te Zusagen für eine sofor­ti­ge Liefe­rung deutscher Panzer.

Selen­skyj sagte weiter, er wünsche sich, dass der Bundes­kanz­ler persön­lich die EU-Mitglied­schaft der Ukrai­ne unter­stüt­ze. Er erwar­te, dass die Europäi­sche Union seinem Land noch im Juni den Status eines Beitritts­kan­di­da­ten zuerken­ne. EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen hatte am Wochen­en­de in Kiew angekün­digt, die Analy­se des EU-Beitritts­an­trags der Ukrai­ne Ende kommen­der Woche abzuschlie­ßen. Auf jeden Fall dürfte die Empfeh­lung ihrer Behör­de an die Forde­rung nach weite­ren Refor­men in der Ukrai­ne geknüpft sein.

Scholz wies den Vorwurf zurück, bereits verspro­che­ne Waffen zu zöger­lich zu liefern. Die Ausbil­dung ukrai­ni­scher Solda­ten an den teils sehr moder­nen und kompli­zier­ten Waffen­sys­te­me laufe. «Es geht um richtig schwe­res Gerät. Das muss man benut­zen können, dafür muss man trainiert werden, das findet in der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land gegen­wär­tig statt», sagte Scholz am Montag in Greifs­wald. «Wir werden die Waffen, die wir auf den Weg gebracht haben, alle liefern.»

Wann reist das Trio nach Kiew?

Zu dem mögli­chen Besuch in Kiew sagte Scholz nichts. Das Verhält­nis zwischen Berlin und Kiew war zu Beginn des Krieges stark abgekühlt. Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er war in der Ukrai­ne nicht willkom­men, weil Kiew ihm seine moskauf­reund­li­che Politik vorhielt. Hinzu kam die Kontro­ver­se um Ausmaß und Schnel­lig­keit der Unter­stüt­zung Deutsch­lands für das angegrif­fe­ne Land.

Als mögli­chen Termin für den Dreier­be­such von Scholz, Macron und Draghi nannte die italie­ni­sche Zeitung «La Stampa» diesen Donners­tag. Ukrai­ni­sche Medien berich­te­ten unter Berufung auf franzö­si­sche Diplo­ma­ten in Kiew, Macron werde schon am Mittwoch erwartet.

Selen­skyj verspricht Rückerobe­rung der Krim

Kurz vor dem erwar­te­ten Treffen stell­te Selen­skyj erneut klar, dass für die Ukrai­ne die Rückho­lung der Halbin­sel Krim von Russland ein Kriegs­ziel sei. «Natür­lich werden wir auch unsere Krim befrei­en», sagte der ukrai­ni­sche Präsi­dent. «Die ukrai­ni­sche Flagge wird wieder über Jalta und Sudak, über Dschankoj und Jewpa­to­ri­ja wehen.»

Russland hatte die Halbin­sel im Schwar­zen Meer 2014 militä­risch besetzt, als die Ukrai­ne nach einem Macht­wech­sel geschwächt war und keinen Wider­stand leisten konnte. Dann wurde ein inter­na­tio­nal nicht anerkann­tes Referen­dum abgehal­ten und die Krim Russland einverleibt.

Selen­skyj rief die Bürge­rin­nen und Bürger der Ukrai­ne auf, den Kontakt in die russisch besetz­ten Landes­tei­le, nach Donezk und ins Gebiet Charkiw zu halten. Auch diese Gebie­te würden wieder befreit. «Sagen Sie ihnen, dass die ukrai­ni­sche Armee auf jeden Fall kommen wird!», so Selen­skyj. Im Osten im Donbass sei die Armee unter Druck, ihre Verlus­te seien fürch­ter­lich. Die Streit­kräf­te bräuch­ten von ihren auslän­di­schen Partnern dringend moder­ne Artil­le­rie, um sich durch­set­zen zu können.

Letzte Brücke aus umkämpf­ter Stadt zerstört

In der seit Wochen umkämpf­ten Stadt Sjewjer­odo­nezk im Osten der Ukrai­ne ist nach Behör­den­an­ga­ben auch die dritte und letzte Brücke über den Fluss Siwers­kyj Donez zerstört worden. Damit sei die Stadt zwar nicht vollstän­dig abgerie­gelt, sagte der Gouver­neur des Gebie­tes Luhansk, Serhij Hajdaj. Es sei aber nicht möglich, Zivilis­ten zu evaku­ie­ren oder Hilfs­lie­fe­run­gen in die Stadt hineinzubringen.

Sjewjer­odon­zek sei größten­teils in russi­scher Hand. «Stand heute kontrol­liert Russland leider über 70 Prozent, jedoch nicht die ganze Stadt», sagte Hajdaj beim TV-Sender Belsat. Es gebe harte Kämpfe um jedes Haus. Mit der Einnah­me der Großstadt hätten die prorus­si­schen Separa­tis­ten mit Moskaus Hilfe die Region Luhansk fast komplett unter Kontrol­le gebracht und damit ein wichti­ges Kriegs­ziel erreicht.

London: Russen machen Fortschrit­te um Charkiw

Die russi­schen Invasi­ons­trup­pen in der Ukrai­ne machten derwel nach Angaben des briti­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums wohl erstmals seit Wochen kleine­re Fortschrit­te im Bereich um die Millio­nen­stadt Charkiw. Die haupt­säch­li­chen russi­schen Angriffs­be­mü­hun­gen seien aber weiter­hin auf den Kessel von Sjewjer­odo­nezk gerich­tet, hieß es in dem tägli­chen Geheim­dienst-Update zum Ukrai­ne-Krieg am Dienstag.

Nach Einschät­zung briti­scher Regie­rungs­exper­ten passt sich Russlands Indus­trie dank Finan­zie­rung durch den Kreml langsam an die Nachfra­ge durch den Ukrai­ne-Krieg an. «Die Indus­trie könnte aber Schwie­rig­kei­ten haben, viele dieser Bedürf­nis­se zu decken, zum Teil wegen der Sanktio­nen und eines Mangels an Exper­ti­se», so die Mittei­lung. Schwie­rig­kei­ten, Materi­al zu erset­zen, dürfte Moskau vor allem im Bereich hochwer­ti­ger Optik und fortschritt­li­cher Elektro­nik haben, hieß es weiter.

Das wird heute wichtig

Macron tritt am Diens­tag eine Reise an, die ihn bereits dicht an die Konflikt­re­gi­on heran­führt. Er wird im Nato- und EU-Mitglieds­staat Rumäni­en dorthin verleg­te franzö­si­sche Truppen besuchen und Staats­prä­si­dent Klaus Iohan­nis treffen. Tags darauf soll er in der Republik Moldau deren Präsi­den­tin Maia Sandu treffen. Die Ex-Sowjet­re­pu­blik grenzt an die Ukrai­ne und will ebenfalls der EU beitreten.

In Den Haag trifft sich Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg mit den Regie­rungs­chefs von Dänemark, Belgi­en, Rumäni­en, Polen, Lettland und der Nieder­lan­de. Sie wollen den kommen­den Nato-Gipfel vorbereiten.