KIEW (dpa) — Russlands Militär hat eigenen Angaben zufol­ge einen Flugha­fen und eine Panzer­fa­brik in der Ostukrai­ne beschos­sen. Zudem rücken russi­sche Truppen auf Bachmut vor. Die aktuel­len Entwicklungen.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sieht die Lage seines Landes im Krieg gegen die russi­schen Angrei­fer weiter als kompli­ziert. Auf dem Schlacht­feld im Osten des Landes stemme sich die ukrai­ni­sche Armee mutig gegen den Feind, sagte er.

Unter­des­sen stell­te Kreml­chef Wladi­mir Putin in Moskau den von ihm befoh­le­nen Waffen­gang gegen die Ukrai­ne auf eine Ebene mit dem Großen Nordi­schen Krieg unter Zar Peter I. — und sprach von einer Rückhol­ak­ti­on russi­scher Erde. Russland hatte die Ukrai­ne am 24. Febru­ar angegrif­fen. Der Freitag ist für Kiew der 107. Tag des Krieges.

Frank­reichs Präsi­dent Emmanu­el Macron sicher­te der Ukrai­ne bei Bedarf die Liefe­rung weite­rer schwe­rer Waffen zu. Unklar sei dagegen bisher noch, wann Deutsch­land die jüngst der Ukrai­ne zugesag­ten Waffen liefern werde, beklag­te der Botschaf­ter in Berlin, Andrij Melnyk.

Kiew kriti­sier­te unter­des­sen das Todes­ur­teil des Obers­ten Gerichts der separa­tis­ti­schen Donez­ker Volks­re­pu­blik gegen drei auslän­di­sche Kämpfer der ukrai­ni­schen Armee.

Flugha­fen und Panzer­fa­brik unter Beschuss

Die russi­schen Streit­kräf­te haben eigenen Angaben zufol­ge in der Nacht einen Flugha­fen und eine Panzer­fa­brik im Osten der Ukrai­ne angegrif­fen. «Auf dem Flugha­fen Dnipro wurde mit hochprä­zi­sen Boden-Luft-Raketen Luftfahr­tech­nik der ukrai­ni­schen Streit­kräf­te vernich­tet, im Raum Charkiw Produk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten zur Repara­tur von Waffen­tech­nik», sagte der Sprecher des russi­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums, Igor Konaschenkow.

An der Front seien zudem durch die russi­schen Luft‑, Raketen- und Artil­le­rie­ein­schlä­ge insge­samt mehr als 500 ukrai­ni­sche Solda­ten getötet sowie 13 Panzer­wa­gen, 9 Artil­le­rie­ge­schüt­ze, 6 Raketen­wer­fer und 16 Militär­fahr­zeu­ge außer Gefecht gesetzt und 16 Muniti­ons­de­pots vernich­tet worden. Zudem berich­te­te Konaschen­kow über den Abschuss von zwei Kampf­jets und fünf Drohnen.

Im Osten nichts Neues

Die Situa­ti­on an der Front sei «ohne wesent­li­che Änderun­gen», sagte Selen­skyj am Donners­tag in einer Video­bot­schaft. Der strate­gisch wichti­ge Ort Sjewjer­odo­nezk und seine Nachbar­stadt Lyssytschansk sowie andere Städte im Donbass, die russi­sche Angrei­fer derzeit als Schlüs­sel­zie­le im Osten des Landes betrach­te­ten, könnten sich wirksam vertei­di­gen. Er warb für eine weite­re Annähe­rung der EU an sein Land. «Die meisten Europä­er unter­stüt­zen die Integra­ti­on der Ukraine.»

Russi­sche Truppen rücken von Südos­ten auf Bachmut vor

Bei anhal­tend schwe­ren Kämpfen im Donbass sind die russi­schen Truppen nach ukrai­ni­schen Angaben zuletzt auf den Verkehrs­kno­ten­punkt Bachmut vorge­rückt. Sie drohen damit, den Nachschub für das Verwal­tungs­zen­trum Sjewjer­odo­nezk abzuschnei­den. «Der Feind hat in Richtung Wosdwy­schen­ka — Roty angegrif­fen, teilwei­se Erfolg gehabt und setzt sich an den einge­nom­me­nen Stellun­gen fest», teilte der ukrai­ni­sche General­stab am Freitag in seinem Lagebe­richt mit. Die Ortschaf­ten befin­den sich nur etwa zehn Kilome­ter südwest­lich von Bachmut. Auch die Straße von Bachmut nach Sjewjer­odo­nezk kann von dort mit schwe­rem Gerät beschos­sen werden.

«Russen haben mehr Verlus­te als Ukrainer»

Die russi­schen Truppen erlei­den ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge beim Kampf um Sjewjer­odo­nezk erheb­li­che Verlus­te. «Die Russen haben wesent­lich mehr Verlus­te als die Ukrai­ner», teilte der Luhans­ker Gouver­neur Serhij Hajdaj bei Facebook mit. Das Verhält­nis liege «bei eins zu zehn». Zu ukrai­ni­schen Verlus­ten machte er keine Angaben. Die russi­sche Armee habe die Überres­te von Einhei­ten aus der Teilre­pu­blik Burja­ti­en im Fernen Osten Russlands abgezo­gen. «Sie sterben wie die Fliegen», meinte Hajdaj. Die Angaben sind nicht unabhän­gig zu prüfen.

Lage an der Front ist schwierig

Laut dem ukrai­ni­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Olexij Resni­kow ist die Lage an der Front schwie­rig. «Jeden Tag werden bis zu 100 unserer Solda­ten getötet und bis zu 500 verwun­det», schrieb Resni­kow bei Facebook. Russland erlei­de zwar große Verlus­te. «Aber es gibt immer noch Kräfte, die in einigen Teilen der Front vorrü­cken», beton­te er.

Die Ukrai­ne brauche dringend schwe­re Waffen. «Wir haben bewie­sen, dass wir im Gegen­satz zu vielen anderen den Kreml nicht fürch­ten. Aber als Land können wir es uns nicht leisten, unsere besten Söhne und Töchter zu verlie­ren.» Präsi­den­ten­be­ra­ter Mycha­j­lo Podol­jak sprach gar von 100 bis 200 Toten täglich.

Frank­reich sichert Ukrai­ne weite­re schwe­re Waffen zu

Frank­reichs Präsi­dent Macron sicher­te der Ukrai­ne zu, bei Bedarf weite­re schwe­re Waffen zu liefern. In einem Telefo­nat mit Selen­skyj habe Macron betont, dass sein Land weiter an der Seite der Ukrai­ne stehe, teilte der Élysé­e­pa­last mit. Macron habe Selen­skyj nach Bedürf­nis­sen in Bezug auf militä­ri­sche Ausrüs­tung, politi­sche und finan­zi­el­le Unter­stüt­zung sowie humani­tä­re Hilfe gefragt.

Ukrai­ni­scher Botschaf­ter will mehr Klarheit von Deutschland

Die Ukrai­ne hat noch keine Auskunft aus Deutsch­land, wann ihr die jüngst von der Bundes­re­gie­rung zugesag­ten Waffen zum Abwehr­kampf gegen Russland gelie­fert werden. Es gebe bisher keine Klarheit, wann die Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer Mars aus Bestän­den der Bundes­wehr überge­ben werden, sagte der Botschaf­ter in Deutsch­land, Andrij Melnyk, dem «Tages­spie­gel» (Online). «Wir erwar­ten, dass die Ampel dieses Verspre­chen zügig erfüllt, weil unsere Truppen dieses Waffen­sys­tem am dring­lichs­ten brauchen, um die ukrai­ni­sche Zivil­be­völ­ke­rung vor barba­ri­schen Angrif­fen Russlands zu schützen.»

Ukrai­ne kriti­siert Todes­ur­tei­le prorus­si­scher Separatisten

Die Ukrai­ne hat einen Prozess gegen drei auslän­di­sche Kämpfer in den Reihen ihrer Streit­kräf­te scharf kriti­siert. Das Obers­te Gericht der separa­tis­ti­schen Donez­ker Volks­re­pu­blik hatte zwei Briten und einen Marok­ka­ner als Söldner zum Tode verur­teilt. Außen­amts­spre­cher Oleh Nikolen­ko sagte dazu, Auslän­der in der ukrai­ni­schen Armee seien regulä­re Solda­ten und müssten auch so behan­delt werden. Sie besäßen die Rechte von Kriegs­ge­fan­ge­nen. Der Prozess stelle Propa­gan­da über Gesetz und Moral. Die drei Männer können noch Berufung einlegen.

Putin will wie Zar Peter der Große russi­sche Erde «zurück­ho­len»

Kreml­chef Wladi­mir Putin hat den von ihm befoh­le­nen Krieg gegen die Ukrai­ne auf eine Ebene mit dem Großen Nordi­schen Krieg unter Russlands Zar Peter I. gestellt und von einer Rückhol­ak­ti­on russi­scher Erde gespro­chen. Peter habe das Gebiet um die heuti­ge Millio­nen­stadt St. Peters­burg nicht von den Schwe­den erobert, sondern zurück­ge­won­nen. «Offen­bar ist es auch unser Los: Zurück­zu­ho­len und zu stärken», zog Putin der Agentur Inter­fax zufol­ge Paral­le­len zum Krieg gegen die Ukrai­ne. Am 9. Juni ist der 350. Geburts­tag von Peter dem Großen, der sich als erster russi­scher Zar den Titel «Impera­tor» gab.

Selen­skyj drängt auf Tempo in ukrai­ni­schem EU-Prozess

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hat die EU zu mehr Tempo bei einem Beitritt seines Landes gedrängt. Wenn eine Umfra­ge zeige, dass 71 Prozent der Europä­er die Ukrai­ne als Teil der europäi­schen Familie betrach­te­ten, dann frage er sich, warum es immer noch skepti­sche Politi­ker gebe, die in der Hinsicht zöger­ten, sagte er am Freitag in einer Video­bot­schaft auf dem Kopen­ha­ge­ner Demokra­tie-Gipfel der von Ex-Nato-General­se­kre­tär Anders Fogh Rasmus­sen gegrün­de­ten Stiftung Alliance of Democracies.