BERLIN (dpa) — Die umstrit­te­ne Gaspipe­line durch die Ostsee ist fertig — aber geht Nord Stream 2 jemals in Betrieb? Kanzler Scholz ist angesichts der Ukrai­ne-Krise skeptisch.

Mit Blick auf die eskalie­ren­de Ukrai­ne-Krise ist die Zukunft der umstrit­te­nen Gaspipe­line Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutsch­land ungewiss. Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) hält es für möglich, dass die Pipeline nie in Betrieb gehen wird.

«Jetzt jeden­falls ist das eine Situa­ti­on, in der niemand darauf wetten sollte», sagte er am Diens­tag in der ARD. «Da sind wir jetzt erstmal weit von entfernt.» Ähnlich äußer­te sich der SPD-Politi­ker zu dieser Frage auch im ZDF.

Nach Ansicht des Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ters wäre es klüger gewesen, Nord Stream 2 gar nicht erst zu bauen. Europa brauche eine vielfäl­ti­ge Energie­land­schaft und nicht «einen Klumpen Risiko durch die Ostsee», sagte Robert Habeck (Grüne) in den ARD-«Tagesthemen». Man habe sich zulan­ge der Illusi­on hinge­ge­ben, dass «die Pipeline nur wirtschafts­po­li­tisch zu betrach­ten ist». Energie­po­li­tik sei aber immer «auch Sicher­heits­po­li­tik und geopo­li­tisch zu beurteilen».

Endgül­ti­ges Aus ist möglich

Auch wenn das Verfah­ren zu Nord Stream 2 erst einmal gestoppt wurde, könne das endgül­ti­ge Aus noch passie­ren, sagte der Wirtschafts­mi­nis­ter. Es sei im Moment «zentral wichtig, dass Europa und die USA geschlos­sen vorge­hen» und «weder in einen Sankti­ons­über­bie­tungs- noch ‑unter­bie­tungs­wett­lauf eintreten».

Die Bundes­re­gie­rung hatte zuvor das Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren für den Betrieb der russisch-deutschen Erdgas­lei­tung ausge­setzt. Damit reagier­te sie auf die russi­sche Anerken­nung der selbst ernann­ten Volks­re­pu­bli­ken Donezk und Luhansk in der Ostukrai­ne. Die Pipeline war nach Angaben des russi­schen Gaskon­zerns Gazprom im Septem­ber 2021 fertig­ge­stellt worden und soll Gas von Russland nach Deutsch­land bringen.

Die Krisen­ge­sprä­che wegen der Lage in der Ukrai­ne gehen auch am Mittwoch weiter: Vor der regulä­ren Sitzung des Bundes­ka­bi­netts beraten Kanzler Scholz und die für Sicher­heits­fra­gen zustän­di­gen Bundes­mi­nis­ter. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regie­rungs­krei­sen. Zudem kommen der Auswär­ti­ge Ausschuss und der Ausschuss für EU-Angele­gen­hei­ten des Bundes­tags zusammen.

Der FDP-Außen­po­li­ti­ker Alexan­der Graf Lambs­dorff sagte der «Rheini­schen Post», Sanktio­nen gegen Russland seien jetzt das richti­ge Mittel. Die diplo­ma­ti­schen Bemühun­gen um eine fried­li­che Lösung schei­ter­ten nicht an Deutsch­land, Europa oder den USA, sondern «an den natio­na­lis­ti­schen und revisio­nis­ti­schen Großmacht­träu­men» Putins, sagte er mit Blick auf den russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin. «Und deshalb ist es auch richtig, die Zerti­fi­zie­rung von Nord Stream 2 auf Eis zu legen.» Ähnlich äußer­te er sich in der «Passau­er Neuen Presse».

Gabri­el begrüßt den Schritt

Vor den Folgen des Stopps der Gaspipe­line auch für Deutsch­land warnte der ehema­li­ge Außen­mi­nis­ter und SPD-Politi­ker Sigmar Gabri­el, dennoch begrüß­te er den Schritt. «Ich glaube, da darf sich keiner was vorma­chen, wir haben ohnehin schon hohe Energie­prei­se, das wird uns auch selber treffen, aber wir müssen jetzt mal zeigen, was uns der Frieden in Europa wert ist und ich finde, da darf man nicht zurück­schre­cken», sagte er den Sendern RTL/ntv.

Der ukrai­ni­sche Botschaf­ter in Deutsch­land, Andrij Melnyk, sagte den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe: «Die Gefahr eines neuen Weltkriegs in Europa ist sehr real und sogar zum Greifen nah.» Auch die Deutschen dürften sich nicht mehr sicher fühlen. «Sollte die Bundes­re­pu­blik uns Ukrai­ner im Stich lassen, anstatt uns mit aller Kraft mit mutigen Taten beizu­ste­hen, wird auch der deutsche Wohlstand als nächs­tes Putin zum Opfer fallen». Melnyk bekräf­tig­te etwa die Forde­rung der Ukrai­ne nach deutschen Verteidigungswaffen.

Scholz lehnt Waffen­lie­fe­run­gen erneut ab

«Leider hat man viel zu lange in Berlin gezögert und gezau­dert und in den letzten kriti­schen Wochen keine robus­ten präven­ti­ven Maßnah­men gegen das aggres­si­ve Vorge­hen Russlands ergrif­fen», sagte Melnyk der Rheini­schen Post. Das Fenster der Diplo­ma­tie habe sich nun massiv verengt. In den nächs­ten Tagen müssten von der Bundes­re­gie­rung und anderer Partner in der EU und Nato mutige Schrit­te unter­nom­men werden.

Scholz hatte Waffen­lie­fe­run­gen in die Ukrai­ne wieder­holt abgelehnt. Am Diens­tag bekräf­tig­te er in der ARD: «Das wäre eine falsche Entschei­dung, das jetzt zu ändern.» Die Bundes­re­gie­rung begrün­det das Nein mit einer grund­sätz­li­chen Ableh­nung von Waffen­ex­por­ten in Krisengebiete.

Zu den geplan­ten EU-Sanktio­nen gegen Russland, die bereits am Mittwoch in Kraft treten sollen, sagte Bundes­kanz­lern Scholz den Sendern RTL/ntv: «Wir sind auch in der Lage, noch weite­re Sanktio­nen zu beschlie­ßen, wenn das passiert, was man angesichts des Militär­auf­mar­sches nicht ausschlie­ßen kann, nämlich, dass es tatsäch­lich zu einer vollstän­di­gen militä­ri­schen Invasi­on der Ukrai­ne seitens Russlands kommt.»