BERLIN (dpa) — Hundert­tau­sen­de sollen in Chinas Nordwes­ten in Umerzie­hungs­la­ger gesteckt und misshan­delt worden sein. Nun wird auch Kritik am China-Kurs der Bundes­re­gie­rung laut.

Nach neuen Berich­ten über die bruta­le Unter­drü­ckung der musli­mi­schen Minder­heit der Uiguren in China betont die Bundes­re­gie­rung, dass Deutsch­land stärker auf Distanz zu dem kommu­nis­ti­schen Regime gehen wird.

Die Volks­re­pu­blik sei zwar ein großer Handels­part­ner, es gebe aber «sehr relevan­te Proble­me», auch bei der Einhal­tung von Menschen­rech­ten, erklär­te Vizekanz­ler und Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck. «Das wurde jahre­lang ausge­blen­det. Diese Regie­rung hat den Umgang mit den China-Fragen aber verän­dert», beton­te der Grünen-Politiker.

Hinter­grund sind Medien­be­rich­te, die unter Berufung auf ein Daten­leck das Ausmaß der Verfol­gung und Massen­in­ter­nie­rung von Uiguren veran­schau­li­chen. In der Provinz Xinjiang sind nach Angaben von Menschen­recht­lern Hundert­tau­sen­de in Umerzie­hungs­la­ger gesteckt worden.

Erschüt­tern­de Berichte

Habeck erklär­te am Diens­tag­abend, über den bruta­len Umgang mit den Uiguren gebe es immer wieder erschüt­tern­de Berich­te. «Dennoch sind die Infor­ma­tio­nen, die uns über Inter­nie­rung, Misshand­lung und Zwangs­ar­beit errei­chen, beson­ders schockie­rend. Hier muss es inter­na­tio­nal eine klare Antwort und weite­re Aufklä­rung geben.»

Zum künfti­gen deutsch-chine­si­schen Verhält­nis sagte Habeck: «Wir diver­si­fi­zie­ren uns stärker und verrin­gern unsere Abhän­gig­kei­ten auch von China. Die Wahrung der Menschen­rech­te hat ein höheres Gewicht.»

So werden nach seinen Worten Anträ­ge deutscher Unter­neh­men auf Bürgschaf­ten des Bundes für Inves­ti­tio­nen in China mit Blick auf Umwelt‑, Sozial und Menschen­rechts­aspek­te genau unter­sucht, um Menschen­rechts­ver­let­zun­gen und Zwangs­ar­beit auch in der Liefer­ket­te auszu­schlie­ßen. Auch werde genau geschaut, ob es eine Betrof­fen­heit der Region Xinjiang gibt. «Anträ­ge, die den Anfor­de­run­gen nicht Rechnung tragen, werden entspre­chend abgelehnt.» Der Minis­ter fügte an: «Wir prüfen zudem chine­si­sche Übernah­me­of­fer­ten in Deutsch­land sehr genau und mit dem nötigen kriti­schen Blick.»

Konse­quen­zen gefordert

Grünen-Frakti­ons­chefin Katha­ri­na Dröge pochte auf Konse­quen­zen für die europäi­sche Handels­po­li­tik. «Menschen­rech­te dürfen in Handels­be­zie­hun­gen nicht an zweiter Stelle stehen.» Es brauche jetzt ein Import­ver­bot für Produk­te, die aus Zwangs­ar­beit entstan­den seien und ein starkes europäi­sches Lieferkettengesetz.

Die Menschen­rechts­be­auf­trag­te der Bundes­re­gie­rung, Luise Amtsberg (Grüne), sagte zur deutschen China-Politik, ein Weiter-so dürfe es nicht geben. Dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land sagte sie: «Wir brauchen eine offene Debat­te über unsere wirtschaft­li­chen Abhän­gig­kei­ten von Staaten, die eine solch erschre­cken­de Menschen­rechts­bi­lanz aufwei­sen.» Das habe schon der russi­sche Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne gezeigt.

Amtsberg forder­te die UN-Menschen­rechts­kom­mis­sa­rin Michel­le Bache­let auf, ihren Bericht über Menschen­rechts­ver­let­zun­gen in der chine­si­schen Provinz Xinjiang schnell zu veröf­fent­li­chen. Die aktuel­le Reise Bache­lets nach China sei richtig. «Sie muss aber den Beginn einer Aufklä­rung der Vorwür­fe markie­ren, gerade weil wir davon ausge­hen müssen, dass Bache­let nicht ungehin­der­ten Zugang bekom­men wird.»

China: Berich­te «verleum­de­risch»

Über die «Xinjiang Police Files» berich­te­te ein Medien­ver­bund, an dem unter anderen das Nachrich­ten­ma­ga­zin «Der Spiegel», der Bayeri­sche Rundfunk, die briti­sche BBC, «USA Today» und die Zeitung «Le Monde» betei­ligt sind. Chinas Führung wies die Berich­te als «verleum­de­risch» zurück.

Chinas Führung wirft Uiguren in der Region Separa­tis­mus, Extre­mis­mus und Terro­ris­mus vor, während sich die musli­mi­sche Minder­heit politisch, religi­ös und kultu­rell unter­drückt fühlt. Nach ihrer Macht­über­nah­me 1949 hatten die Kommu­nis­ten das ehema­li­ge Osttur­ke­stan der Volks­re­pu­blik einverleibt.

Chinas Staats- und Partei­chef Xi Jinping wandte sich in einem Video­ge­spräch mit Bache­let bei deren China-Besuch gegen eine «Politi­sie­rung» der Menschen­rech­te oder «zweier­lei Maß» bei deren Betrach­tung. «Länder brauchen keine gängeln­den Lekto­ren», sagte er. Unter­schied­li­che Wege einzel­ner Länder müssten respek­tiert werden. «Menschen­rech­te haben einen histo­ri­schen, spezi­fi­schen und prakti­schen Kontext.»

Der höchs­te Vertre­ter der uiguri­schen Exilor­ga­ni­sa­ti­on «Weltkon­gress der Uiguren» kriti­sier­te die Bundes­re­gie­rung für ihren Umgang mit China. «Ich finde, dass die Bundes­re­gie­rung längst nicht genug tut. Menschen­rechts­ver­let­zun­gen gibt es vieler­orts, hier aber geht es um Genozid», sagte Dolkun Isa dem «Spiegel».

Röttgen fordert Debatte

Der CDU-Außen­po­li­ti­ker Norbert Röttgen forder­te eine Debat­te über die Wirtschafts­be­zie­hun­gen Deutsch­lands mit China. Das Daten­leck sollte Anlass geben, die wirtschaft­li­che Abhän­gig­keit gegen­über China auf die gleiche Weise zu überden­ken wie derzeit gegen­über Russland, sagte er der «Augsbur­ger Allge­mei­nen» (Mittwoch). «Wir haben gegen­über China in strate­gi­schen Berei­chen unserer Volks­wirt­schaft Abhän­gig­kei­ten, die wir sogar weiter inten­si­vie­ren», warnte er.

Die Vizeprä­si­den­tin der EU-Kommis­si­on, Margre­the Vesta­ger, rügte im «Handels­blatt», ein großer Teil der europäi­schen Indus­trie basie­re auf «sehr billi­ger Energie aus Russland, auf sehr billi­ger Arbeits­kraft aus China und auf hochsub­ven­tio­nier­ten Halblei­tern aus Taiwan». Europa sei nicht naiv gewesen bei diesen Risiken, sondern gierig.

Auch der Grünen-Politi­ker Anton Hofrei­ter forder­te, Geschäf­te mit China zu hinter­fra­gen. «Überspitzt gesagt fußt deutscher Wohlstand darauf, dass wir in der einen Dikta­tur, in Russland, billi­ge Rohstof­fe einkau­fen, dann hier Produk­te herstel­len — um sie dann der anderen Dikta­tur, China, zu verkau­fen. Das muss aufhö­ren», sagte er dem «Spiegel».