BRÜSSEL (dpa) — Bislang stehen Touris­ten auf dem Weg nach Kroati­en oft stunden­lang im Stau. Das dürfte sich 2023 ändern. Zwei andere Länder mussten in Brüssel dagegen eine herbe Enttäu­schung hinnehmen.

Der Weg für den Beitritt Kroati­ens zum Schen­gen-Raum ohne Grenz­kon­trol­len ist frei. Darauf verstän­dig­ten sich die zustän­di­gen Minis­ter am Donners­tag bei einem Treffen in Brüssel. Für die Aufnah­me von Bulga­ri­en und Rumäni­en gab es dagegen nicht die notwen­di­ge Einstim­mig­keit. Deutsch­land hatte sich dafür stark gemacht, alle drei Länder aufzunehmen.

Die Freude in Kroati­en war angesichts der Entschei­dung groß. «Auf unserem Weg nach Europa gibt es keine Grenzen mehr», twitter­te Innen­mi­nis­ter Davor Bozino­vic. Minis­ter­prä­si­dent Andrej Plenko­vic befand, vom Wegfall der Grenz­kon­trol­len würden sowohl die Bürger als auch die Wirtschaft Kroati­ens profi­tie­ren. Ihm zufol­ge kommen 80 Prozent der Waren und 75 Prozent der auslän­di­schen Besucher aus Schen­gen-Ländern nach Kroatien.

Die Kontrol­len an den See- und Landgren­zen des belieb­ten Urlaubs­lands zu anderen Schen­gen-Staaten sollen nun bereits Anfang des kommen­den Jahres wegfal­len. An den Flughä­fen soll es am 26. März so weit sein. Für Touris­ten dürfte die Reise in das Adria-Land damit deutlich einfa­cher werden. Bislang stehen Reisen­de aus Deutsch­land im Sommer oft stunden­lang im Stau, um ins Land zu kommen.

Von Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen gab es Kritik

Mehre­re Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen warfen der EU vor, mit der Entschei­dung ihre Verpflich­tung zur Wahrung der Grund­rech­te zu missach­ten. Amnes­ty Inter­na­tio­nal, Human Rights Watch und sechs weite­re Organi­sa­tio­nen verwie­sen in einer gemein­sa­men Mittei­lung darauf, dass Kroati­en regel­mä­ßig vorge­wor­fen werde, Schutz­su­chen­de an seinen Außen­gren­zen gewalt­tä­tig zurückzuweisen.

Mit der Entschei­dung vom Donners­tag steht die erste Schen­gen-Erwei­te­rung seit mehr als zehn Jahren bevor. 2011 wurden die Kontrol­len an den Landgren­zen zu Liech­ten­stein aufge­ho­ben. Kroati­en führt Anfang 2023 zudem den Euro als Zahlungs­mit­tel ein.

Für Rumäni­en und Bulga­ri­en verlief der Tag dagegen ernüch­ternd. Ihre Aufnah­me in den Schen­gen-Raum wurde vor allem durch Öster­reich blockiert. Zwar versuch­te der tsche­chi­sche EU-Ratsvor­sitz noch, in stunden­lan­ger Debat­te einen Beschluss für alle drei Länder zu erzie­len — blieb aber erfolg­los. EU-Innen­kom­mis­sa­rin Ylva Johans­son sprach deshalb von einem «Tag der Enttäu­schung». Beide Länder hätten es verdient, dem Schen­gen-Raum mit seiner Freizü­gig­keit anzugehören.

Die EU-Staaten hätten sich in der Sache uneins gezeigt — «und das macht uns sehr schwach», sagte die Schwe­din. Die Schen­gen-Erwei­te­rung um Bulga­ri­en und Rumäni­en sei für sie eine Priori­tät. Sie sei davon überzeugt, dass dies noch bis zum Ende des laufen­den Mandats der EU-Kommis­si­on gelin­gen werde — also bis zum Frühjahr 2024.

Enttäu­schung bei Faeser und Baerbock

Auch Bundes­in­nen­mi­nis­te­rin Nancy Faeser (SPD) hatte sich für den Beitritt aller drei Länder zum Schen­gen-Raum ausge­spro­chen. Einen Teil der Schen­gen-Regeln wenden Kroati­en, Rumäni­en und Bulga­ri­en bereits an, doch wurden die Kontrol­len an den Binnen­gren­zen zu ihnen bislang aufrechterhalten.

Faeser sagte nach dem Treffen in Brüssel, es sei eine Schwä­che der EU, dass so entschie­den worden sei. «Es gab Krite­ri­en, die sie zu erfül­len hatten. Alle drei haben sie gleicher­ma­ßen erfüllt.» Deshalb wäre es nur folge­rich­tig gewesen, allen drei Staaten den vollstän­di­gen Schen­gen-Beitritt zu gewähren.

Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock sprach von einer «schwe­ren Enttäu­schung» und kriti­sier­te Wien. Bei einem Besuch in Dublin sagte die Grünen-Politi­ke­rin zum Ausgang der Beratun­gen in Brüssel, sie halte dies «europa­po­li­tisch und geopo­li­tisch für mehr als falsch».

Weltweit größter Raum der Reisefreiheit

Dem Schen­gen-Raum gehören derzeit 22 EU-Staaten sowie Norwe­gen, Liech­ten­stein, Island und die Schweiz an. An den Binnen­gren­zen zwischen diesen Staaten gibt es in der Regel keine statio­nä­ren Grenz­kon­trol­len. Es ist damit der weltweit größte Raum der Reise­frei­heit. Neue Mitglie­der können nur einstim­mig aufge­nom­men werden. Rumäni­en und Bulga­ri­en warten seit 2011 auf den Beschluss.

Öster­reichs Innen­mi­nis­ter Gerhard Karner begrün­de­te seine Ableh­nung damit, dass aus Wiener Sicht derzeit zu viele Migran­ten in das Land kommen, obwohl eigent­lich die Länder an den EU-Außen­gren­zen für sie zustän­dig wären. In diesem Jahr hat es ihm zufol­ge bereits mehr als «100.000 illega­le Grenz­über­trit­te» nach Öster­reich gegeben, von denen 75.000 zuvor nicht regis­triert worden waren.

Tatsäch­lich ist die unerwünsch­te Migra­ti­on in die EU 2022 deutlich gestie­gen. Zwischen Januar und Oktober zählte die Grenz­schutz­agen­tur Frontex 281.000 irregu­lä­re Grenz­über­trit­te, ein Plus von 77 Prozent im Vergleich zum Vorjah­res­zeit­raum. Zumin­dest mit Blick auf Rumäni­en waren die Zahlen derer, die dort regis­triert wurden und unerlaubt nach Öster­reich weiter­reis­ten, jedoch sehr niedrig. Innen­mi­nis­te­rin Faeser sagte, die öster­rei­chi­sche Argumen­ta­ti­on hinke.

Gegen die Aufhe­bung der Kontrol­len zu Bulga­ri­en wandten sich auch die Nieder­lan­de, die weite­re Maßnah­men Sofias zur Stärkung des Rechts­staats und im Kampf gegen Korrup­ti­on forderten.