ERFURT (dpa) — Deutsch­land feiert 32 Jahre Wieder­ver­ei­ni­gung mit einem Festakt in Erfurt. Der 3. Oktober ist ein Tag, um Bilanz zu ziehen — aber auch, um Sorgen zu artikulieren.

Ostdeut­sche Minis­ter­prä­si­den­ten sehen die Gefahr, dass die Erfol­ge beim Aufbau Ost seit der Wieder­ver­ei­ni­gung vor 32 Jahren durch die Energie­kri­se in Gefahr geraten. Vor dem Tag der Deutschen Einheit, der heute mit einem Festakt in Erfurt began­gen wird, appel­lier­ten Branden­burgs Minis­ter­prä­si­dent Dietmar Woidke (SPD) sowie Sachsen-Anhalts Minis­ter­prä­si­dent Reiner Hasel­off (CDU) an den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt in Deutsch­land. Sie verwie­sen aber auch auf die Sorgen vieler Ostdeut­scher vor dem Verlust des mühsam Aufgebauten.

Viele Ostdeut­schen hätten die großen Struk­tur­brü­che mit Massen­ar­beits­lo­sig­keit in den 1990er Jahren noch sehr genau vor Augen, sagte Woidke der «Rheini­schen Post». «Deshalb ist auch klar, dass die derzei­ti­ge Situa­ti­on mit großer Sorge wahrge­nom­men wird und viele Angst haben, dass ihnen alles wegbricht, was sie in drei Jahrzehn­ten mühsam aufge­baut haben.» Hasel­off sagte der Zeitung, der russi­sche Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne gefähr­de auch die Erfol­ge des Aufbaus Ost.

Hasel­off: «Solida­ri­tät und Gemein­sinn wichti­ger denn je»

Gerade in schwie­ri­gen Zeiten dürften sich die Deutschen jedoch nicht gegen­ein­an­der ausspie­len lassen. «Heute sind Solida­ri­tät und Gemein­sinn wichti­ger denn je», sagte Hasel­off. Für Thürin­gens CDU-Frakti­ons­chef Mario Voigt ist «gerade die Genera­ti­on der fried­li­chen Revolu­ti­on im Begriff, ihren hart erarbei­te­ten Wohlstand durch die Preis­stei­ge­rung zu verlieren».

Thürin­gens Minis­ter­prä­si­dent Bodo Ramelow (Linke) appel­lier­te ebenfalls an die Gemein­sam­kei­ten der Deutschen, trotz bestehen­der Proble­me beispiels­wei­se durch Lohnun­ter­schie­de zwischen Ost und West. Noch gebe es einen Prozess des Zusam­men­wach­sens mit Brüchen, aber auch vielen positi­ven Impul­sen. Für ihn sei das Glas nicht halb leer, «für mich ist das Glas halb voll», sagte Ramelow in Erfurt.

Sachsens Minis­ter­prä­si­dent Micha­el Kretschmer (CDU) sagte dem Redak­ti­ons­netz­werks Deutsch­land (RND), es müssten unter­schied­li­che Sicht­wei­sen in Ost und West akzep­tiert werden, auch mit Blick auf den Krieg in der Ukrai­ne. «Dieser Krieg wird ein Einschnitt sein, der als ein gemein­sa­mes bitte­res Erleb­nis in das kollek­ti­ve Gedächt­nis der Deutschen einge­hen wird.» Es sei an der Zeit, nicht mehr nur in den Rückspie­gel zu schau­en, sondern die angebro­che­ne Zeiten­wen­de gemein­sam zu gestal­ten, sagte Kretschmer.

Scholz und Stein­mei­er beim Festakt

Zur zentra­len Feier am Tag der Deutschen Einheit werden in der Thürin­ger Landes­haupt­stadt einige Hundert Gästen erwar­tet, darun­ter Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) und Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er. Beim Festakt in der Erfur­ter Oper (12.00 Uhr) wird Bundes­tags­prä­si­den­tin Bärbel Bas (SPD) sprechen. Tradi­tio­nell richtet das Bundes­land die zentra­le Einheits­fei­er aus, das den Bundes­rats­prä­si­den­ten stellt. Ramelow ist noch bis Ende Oktober Präsi­dent der Länderkammer.

Vor dem Festakt, mit dem an die fried­li­che Revolu­ti­on 1989 und die deutsche Wieder­ver­ei­ni­gung vor 32 Jahren erinnert werden, kommen Vertre­ter von Bund und Ländern zu einem ökume­ni­schen Gottes­dienst im Erfur­ter Dom zusam­men. Ein Bürger­fest, bei dem sich unter anderem die 16 Bundes­län­der präsen­tie­ren, lädt Besucher in die histo­ri­sche Altstadt. Am Nachmit­tag lädt Stein­mei­er Vertre­ter aus den verschie­de­nen Bundes­län­dern zu einem Bürger­emp­fang ein. Zu den Feier­lich­kei­ten in Erfurt, die bereits am Samstag began­nen, kamen bisher einige Zehntau­send Besucher.