Ist es schon Zeit darüber zu sprechen, ob Geimpf­te künftig weniger Corona-Beschrän­kun­gen hinneh­men müssen? Aus Sicht zweier SPD-Minis­ter ja. Kabinetts­kol­le­gen in der Union sehen das aber anders.

Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lambrecht hat sich dafür ausge­spro­chen, Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen für Geimpf­te möglichst aufzuheben.

«Es geht hier nicht um Privi­le­gi­en, sondern um die Rücknah­me von Grund­rechts­be­schrän­kun­gen», sagte die SPD-Politi­ke­rin dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND). «Nicht die Ausübung von Grund­rech­ten bedarf der Recht­fer­ti­gung, sondern die Einschrän­kung der Grund­rech­te durch den Staat.»

Aller­dings kommt die Aufhe­bung von Einschrän­kun­gen für Lambrecht nur in Frage, wenn wissen­schaft­lich sicher belegt ist, dass die Impfung auch vor einer Weiter­ga­be des Virus schützt. Lambrechts Partei­kol­le­ge, Außen­mi­nis­ter Heiko Maas, hatte sich vergan­ge­nen Sonntag dafür ausge­spro­chen, Menschen mit Corona-Impfung früher als anderen den Besuch von Restau­rants oder Kinos zu erlau­ben. Er sprach auch von der bisher ungeklär­ten Frage, ob Geimpf­te auch andere anste­cken können, argumen­tier­te aber gegen­über «Bild» etwas weiter: «Ein Geimpf­ter nimmt nieman­dem mehr ein Beatmungs­ge­rät weg. Damit fällt mindes­tens ein zentra­ler Grund für die Einschrän­kung der Grund­rech­te weg.»

Die Union hält die Debat­te zumin­dest für verfrüht. Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) hatte gesagt: «Wir wissen nicht, ob der Geimpf­te andere anste­cken kann. So lange stellt sich die Frage von Privi­le­gi­en überhaupt nicht.» Ähnlich hatte das CDU-geführ­te Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um kürzlich argumen­tiert. Bundes­in­nen­mi­nis­ter Horst Seeho­fer (CDU) sagte noch Ende Dezem­ber — Privi­le­gi­en für Geimpf­te, das könnte eine Impfpflicht durch die Hinter­tür bedeu­ten und die Gesell­schaft spalten.

Fast jeder zweite Deutsche (49 Prozent) nimmt einer Umfra­ge zufol­ge die aktuel­len Regeln zur Bekämp­fung der Corona-Pande­mie als sehr starke oder starke Belas­tung wahr. Das geht aus dem neuen «Deutsch­land­trend» des «ARD-Morgen­ma­ga­zins» hervor. In der Woche vor Weihnach­ten waren es noch 36 Prozent der Befrag­ten. Die Akzep­tanz des Krisen­ma­nage­ments von Bund und Ländern ist aller­dings rückläu­fig. Während sich Mitte Dezem­ber noch 57 Prozent der Befrag­ten positiv zum Krisen­ma­nage­ment äußer­ten, zeigten sich aktuell nur noch 46 Prozent der Deutschen damit zufrieden.

Die Menschen im bevöl­ke­rungs­reichs­ten Bundes­land NRW müssen ab Montag OP-Masken, FFP2-Masken oder KN95-Masken in Bussen und Bahnen, Super­märk­ten, Arztpra­xen und Gottes­diens­ten tragen. Das geht aus der neuen Coronaschutz-Verord­nung des Landes hervor.

Wegen der Masken­pflicht fordern Sozial­ver­bän­de finan­zi­el­le Unter­stüt­zung für ärmere Menschen. «Es kann nicht sein, dass Menschen, die bereits jetzt jeden Tag schau­en müssen, wie sie etwas zu essen auf den Tisch bekom­men, zwingend notwen­di­ge Schutz­aus­rüs­tung aus der eigenen Tasche finan­zie­ren müssen», sagte der Präsi­dent des Sozial­ver­bands Deutsch­land (SoVD), Adolf Bauer, der dpa. Die Präsi­den­tin des Sozial­ver­bands VdK, Verena Bente­le, forder­te «100 Euro sofort für Grund­si­che­rungs­emp­fän­ger, damit sie sich FFP2-Masken leisten können».

Merkel hatte darauf verwie­sen, dass die Regie­rung für 34 Millio­nen Menschen, darun­ter alle über 60-Jähri­gen, die beson­ders gut schüt­zen­den FFP-2-Masken für den Winter zur Verfü­gung gestellt habe. Vorge­se­hen ist ein Eigen­an­teil von zwei Euro für je sechs Masken. Sollten die Einschrän­kun­gen jedoch noch lange anhal­ten, müsse man «natür­lich auch darüber nachden­ken, ob wir an der Stelle nochmal helfen müssen», sagte Merkel.

Die Grünen-Frakti­on verlangt eine Regie­rungs­er­klä­rung von Kanzle­rin Angela Merkel (CDU). «Es kann nicht sein, dass sie Peter Altmai­er in der Regie­rungs­er­klä­rung vorschickt, während die Kanzle­rin selbst in die Bundes­pres­se­kon­fe­renz geht», sagte die Erste Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­re­rin Britta Haßel­mann der dpa. «Wir erwar­ten, dass sich die Bundes­kanz­le­rin in der nächs­ten Sitzungs­wo­che im Parla­ment zur Corona-Pande­mie erklärt». Es soll am kommen­den Donners­tag um 9 Uhr tatsäch­lich eine Regie­rungs­er­klä­rung geben, bei der sich aller­dings Wirtschafts­mi­nis­ter Peter Altmai­er (CDU) zum Jahres­wirt­schafts­be­richt äußern soll.

Indes fordert die Deutsche Stiftung Patien­ten­schutz, dass bei Corona-Todes­fäl­len auch der Sterbe­ort zentral erfasst wird. «Der Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter muss endlich das Robert Koch-Insti­tut beauf­tra­gen, dazu eine tägli­che Statis­tik zu veröf­fent­li­chen», sagte der Vorsit­zen­de Eugen Brysch den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe. Es mange­le an verläss­li­chen Daten und Fakten zum Sterbe­ort der Covid-19-Patienten.

Hinter­grund der Forde­rung ist die Beobach­tung der Patien­ten­schüt­zer, dass viele Covid-19-Patien­ten derzeit nicht auf den Inten­siv­sta­tio­nen sterben. Das Durch­schnitts­al­ter auf den Inten­siv­sta­tio­nen sei mittler­wei­le teilwei­se auf unter 60 Jahre gesun­ken. «Doch der Anteil der über 70-Jähri­gen, die an und mit Covid-19 verster­ben, beträgt über 90 Prozent. Dieser Wider­spruch ist besorg­nis­er­re­gend», so Brysch. Hinzu käme, dass die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Neuin­fek­tio­nen zwar stetig sinke, die täglich gemel­de­te Zahl der Toten aber nicht in gleichem Maße. «Deshalb muss geklärt werden, warum so viele Hochbe­tag­te und Pflege­heim­be­woh­ner die Klini­ken gar nicht erst errei­chen», forder­te Brysch.

SPD-Gesund­heits­po­li­ti­ker Karl Lauter­bach nannte in den Funke-Zeitun­gen einen mögli­chen Grund dafür: «Pflege­be­dürf­ti­ge, die an Covid-19 erkran­ken, haben eine Sterbe­wahr­schein­lich­keit von zum Teil mehr als 75 Prozent. Wer die Erkran­kung überlebt, hat ein hohes Risiko für einen schwe­ren Demenz­schub, viele erholen sich trotz Rehabi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men nicht mehr davon.» Weil viele Pflege­be­dürf­ti­ge per Patien­ten­ver­fü­gung länge­re lebens­er­hal­ten­de Maßnah­men wie etwa künst­li­che Beatmung ablehn­ten, würden die zustän­di­gen Ärzte zusam­men mit den Angehö­ri­gen sich nun offen­sicht­lich öfter gegen eine Einwei­sung in die Klinik entscheiden.

Die Zahl der Neuin­fek­tio­nen mit dem Corona­vi­rus ist in Deutsch­land zuletzt deutlich gesun­ken. So gab das Robert Koch-Insti­tut (RKI) die sogenann­te 7‑Tage-Inzidenz am Donners­tag­mor­gen mit 119,0 an — das ist der niedrigs­te Wert seit dem 1. Novem­ber. Am Freitag­vor­mit­tag äußern sich Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU), RKI-Präsi­dent Lothar Wieler und der Virolo­ge Chris­ti­an Drosten zur aktuel­len Corona-Lage in Deutschland.