STUTTGART/BERLIN (dpa/lsw) — «Exit» schon am 20. März? Das wäre vier Wochen vor Ostern. Zuletzt hatte Regie­rungs­chef Kretsch­mann ein Ende der Corona-Aufla­gen vor Ostern noch abgelehnt. Nun kommt Dynamik in die Diskussion.

Baden-Württem­berg will voraus­sicht­lich schon kommen­de Woche seine Corona-Schutz­maß­nah­men weiter lockern. Es wäre der erste Schritt auf dem Weg zum vollstän­di­gen Ausstieg aus den Corona-Aufla­gen, der von Bund und Ländern nun für den 20. März angesteu­ert wird. Aller­dings hatte Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) noch vor Kurzem vor einem zu schnel­len Ausstieg aus allen Schutz­maß­nah­men gewarnt. Mehrfach sagte er, dass man über einen «Exit» erst nach Ostern Mitte April reden könne.

Exper­ten im Bund und im Südwes­ten halten jedoch eine vorsich­ti­ge, schritt­wei­se Öffnung für möglich, weil der Anstieg der Corona-Zahlen in den nächs­ten Wochen zu einem Ende kommen soll und die Klini­ken durch die etwas milde­re Omikron-Varian­te nicht mehr so stark belas­tet sind. Bei der Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz soll an diesem Mittwoch der weite­re Öffnungs­kurs festge­zurrt werden.

Kein «Freedom Day», aber vorsich­ti­ge Lockerungen

Uwe Lahl, Amtschef im Sozial­mi­nis­te­ri­um, deute­te am Montag an, dass Baden-Württem­berg schon nächs­te Woche von der Alarm­stu­fe I in die Warnstu­fe zurück­ge­hen könnte. Dafür sollen die Grenz­wer­te für die Stufen angepasst werden. In der Warnstu­fe gelten in den meisten Lebens­be­rei­chen nur noch die 3G-Regeln. Nach einer Anhörung von Exper­ten sagte er: «Wir können zwar nicht kurzfris­tig den «Freedom Day» ausru­fen.» Jedoch hielten Epide­mio­lo­gen und ärztli­che Direk­to­ren eine schritt­wei­se Öffnung für verant­wort­bar. Zuvor hatten mehre­re Chefärz­te erklärt, die Klini­ken könnten noch deutlich mehr Covid-19-Patien­ten aufneh­men als zurzeit. Zugleich mahnten sie zu beson­ne­nen Maßnahmen.

Der kalen­da­ri­sche Frühlings­an­fang soll Freihei­ten zurückbringen

Zuvor war bekannt gewor­den, dass Bund und Länder bis 20. März schritt­wei­se alle Maßnah­men bis auf die Masken­pflicht aufhe­ben wollen. In einem zwischen Kanzler­amt, Vorsitz und Co-Vorsitz der Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz (MPK) abgestimm­ten Vorschlag, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es, die größe­ren Schutz­maß­nah­men sollten nach dem Abebben der Omikron-Welle am 20. März größten­teils wegfal­len. Die Landes­re­gie­rung hält das Vorge­hen für weitge­hend richtig, will aber etwa bei Zwischen­schrit­ten mehr Tempo, hieß es in Regierungskreisen.

Schritt­fol­ge und Tempo noch in der Diskussion

Der Beschluss­vor­schlag sieht vor, dass in einem ersten Schritt die Obergren­ze von zehn Perso­nen für priva­te Treffen von Geimpf­ten und Genese­nen gelockert werden soll. Zudem soll der Zugang zum Einzel­han­del gar nicht mehr beschränkt werden. In einem zweiten Schritt soll vom 4. März an in Gastro­no­mie und Hotel­le­rie nur noch die 3G-Regel gelten. Das heißt, auch Ungeimpf­te mit einem aktuel­len negati­ven Test könnten wieder in Restau­rants essen oder in Hotels übernach­ten. Clubs und Discos sollen wieder öffnen dürfen, aller­dings nur für Geimpf­te und Genese­ne, die zudem einen negati­ven Test vorwei­sen können. Darüber hinaus sollen bei Großver­an­stal­tun­gen wieder mehr Zuschau­er zugelas­sen werden.

Hier wünscht sich Baden-Württem­berg ein schnel­le­res Vorge­hen. Hinter­grund ist die geplan­te Rückkehr in die Warnstu­fe noch im Febru­ar. In einem dritten und letzten Schritt sollen ab dem 20. März alle tiefgrei­fen­de­ren Schutz­maß­nah­men fallen, dann bliebe nur die Masken­pflicht an bestimm­ten Orten. Ob das Land hierbei mitgeht, müsse noch disku­tiert werden, hieß es.

Virolo­gen warnen vor extre­mem Anstieg der Infektionen

Die Locke­rungs­vor­schlä­ge in der Beschluss­vor­la­ge nehmen Bezug auf die jüngs­te Stellung­nah­me des Exper­ten­rats der Bundes­re­gie­rung. Das Gremi­um hält Corona-Locke­run­gen in den kommen­den Wochen unter bestimm­ten Bedin­gun­gen für möglich, warnte aber auch, ein zu frühes Öffnen berge die Gefahr eines erneu­ten Anstiegs der Krankheitslast.

Bei der Anhörung des baden-württem­ber­gi­schen Sozial­mi­nis­te­ri­ums ergab sich ein ähnli­ches Bild. Hartmut Bürkle, ärztli­cher Direk­tor der Unikli­nik Freiburg, und sein Kolle­ge Götz Geldner aus Ludwigs­burg, halten es für möglich, den Grenz­wert für die Belas­tung der Kranken­häu­ser, die sogenann­te Hospi­ta­li­sie­rungs­in­zi­denz, anzuhe­ben. Die Zahl gibt an, wie viele Corona-Infizier­te inner­halb einer Woche und pro 100.000 Einwoh­ner in eine Klinik kamen. Bisher liegt der Grenz­wert für Alarm­stu­fe 1 bei einer Inzidenz von 3,0, für die Alarm­stu­fe 2 bei 6,0. Bürkle sagte, die Klini­ken könnten eine Hospi­ta­li­sie­rungs­in­zi­denz von 15 bis 20 verkraf­ten. Zurzeit liegt der Wert etwas unter 7.

Grenz­wer­te dürften stark verän­dert werden

Der Amtschef im Sozial­mi­nis­te­ri­um sagte am Ende der Anhörung, der Vorschlag der Exper­ten sehe vor, dass künftig der Grenz­wert für den Übergang von der Warn- in die Alarm­stu­fe 1 bei 15 liegen könnte. Zudem solle demnach der Grenz­wert für die Basis­stu­fe mit nur noch wenigen Einschrän­kun­gen bei 5 liegen. «Das müssen wir erstmal verdau­en», sagte Lahl.

Geldner, ärztli­cher Direk­tor der RKH Klini­ken Ludwigs­burg, hatte zuvor erklärt, Sorgen berei­te­ten den Klini­ken vor allem Perso­nal­aus­fäl­le durch Infek­tio­nen. «Das ist das einzi­ge, das uns ein wenig in Habacht­stel­lung bringt.» Für die Ballungs­ge­bie­te und Univer­si­täts­städ­te sei das eher unpro­ble­ma­tisch, aber auf dem Land könne es womög­lich schwie­ri­ge Situa­tio­nen geben.

Der Ulmer Medizin­sta­tis­ti­ker Ulf Dennler hält Locke­run­gen für machbar, prognos­ti­ziert aber eine neue Corona-Welle bis Mitte März. Diese hätte aber voraus­sicht­lich eine deutli­che gerin­ge­re «Krank­heits­schwe­re» als voran­ge­gan­ge­ne Wellen und damit keine allzu starke Mehrbe­las­tung für die Kranken­häu­ser zur Folge. «Es ist komplett realis­tisch, dass wir damit zurecht­kom­men müssten.»

FDP will 20. März als «Freedom Day» festklopfen

FDP-Frakti­ons­chef Hans-Ulrich Rülke hält eine weitge­hen­de Öffnung zum kalen­da­ri­schen Frühlings­an­fang für vernünf­tig. «Am 20. März jeden­falls — zum Frühlings­an­fang — müssen die Menschen in Baden-Württem­berg wieder alle Bürger­rech­te haben», sagte Rülke. Die Masken­pflicht könne anschlie­ßend an manchen Stellen noch gelten, wo es dafür eine zwingen­de Begrün­dung gebe.