STUTTGART (dpa/lsw) — Seit Monaten rufen die Kommu­nen nach mehr Unter­stüt­zung bei der Aufnah­me von Flücht­lin­gen. Jetzt legen die Landrä­te und Landrä­tin­nen im Südwes­ten eine Resolu­ti­on vor — und wollen die Schutz­su­chen­den selbst in die Pflicht nehmen.

Mithel­fen in der Alten­pfle­ge oder auf dem Bauhof: Die Landkrei­se in Baden-Württem­berg fordern für Flücht­lin­ge eine Pflicht zu arbei­ten — im Zweifel auch gemein­nüt­zig. «Es wäre uns Landkrei­sen — auch mit Blick auf die dringend benötig­te gesell­schaft­li­che Akzep­tanz — wichtig, dass Geflüch­te­te rasch in Arbeit kommen, hilfs­wei­se auch in gemein­nüt­zi­ge», sagte der Präsi­dent des Landkreis­tags, Joachim Walter (CDU), einer Mittei­lung zufol­ge. Es müsse «ohne ideolo­gi­sche Scheu­klap­pen hinter­fragt werden, ob das deutsche Sozial­recht bei den Geflüch­te­ten immer die richti­gen Anrei­ze setzt».

In einer einstim­mig verab­schie­de­ten Resolu­ti­on sprechen sich die Landrä­tin­nen und Landrä­te dafür aus, dass «eine über die bishe­ri­gen Regelun­gen und Umset­zungs­for­ma­te hinaus­ge­hen­de Verpflich­tung Schutz­su­chen­der zur Annah­me von auch gemein­nüt­zi­ger Arbeit etabliert und organi­siert wird». Sinnvoll seien dabei auch Angebo­te zum weite­ren Sprach­er­werb. Es brauche «prakti­ka­ble, bürokra­tie­ar­me Umset­zungs­for­ma­te», sagte Walter, der auch Landrat im Kreis Tübin­gen ist.

Zustim­mung für die Forde­rung der Landrä­te kommt von den Gemein­den in Baden-Württem­berg. «Unser Sozial­staat hilft denen, die Hilfe brauchen. Der Staat muss jedoch erwar­ten dürfen, dass jeder Einzel­ne dann auch im Rahmen seiner Möglich­kei­ten zum Gelin­gen der Gesell­schaft beiträgt — beispiels­wei­se auch über eine gemein­nüt­zi­ge Arbeit», sagte Steffen Jäger, Präsi­dent des Gemein­de­tags. Unter­stüt­zung werde etwa in Berei­chen der öffent­li­chen Daseins­vor­sor­ge benötigt, etwa auf Bauhö­fen — sowie im Alten- und Pflege­be­reich sowie generell in Mangelberufen.

Der CDU-Landes­vor­sit­zen­de Thomas Strobl forder­te angesichts der Initia­ti­ve der Landkrei­se erneut, dass in Berlin Maßnah­men zur Begren­zung und Steue­rung der Migra­ti­on ergrif­fen würden. Die Kommu­nen würden im Stich gelas­sen, meinte der Innen­mi­nis­ter. «Die Bundes­re­gie­rung muss die Signa­le der Kommu­na­len endlich hören und sofort handeln, sonst kolla­bie­ren die Systeme.»

Die Landtags-SPD meinte, dass der Vorschlag der Kreise angesichts des «behörd­li­chen Schwergangs» kaum umzuset­zen sei. «Menschen wollen arbei­ten, aber sie müssen lange auf die Erlaub­nis warten», sagte Innen­ex­per­te Sascha Binder. Die Behör­den schaff­ten es bereits jetzt kaum, Verfah­ren in angemes­se­ner Zeit abzuar­bei­ten. «Wer jetzt fordert, sie sollten eine allge­mei­ne Arbeits­pflicht überwa­chen und umset­zen, darf gerne erklä­ren, woher die Kapazi­tä­ten kommen sollen.»

Zudem fordern die Landrä­tin­nen und Landrä­te erneut eine Absen­kung der Standards bei der Aufnah­me, Unter­brin­gung und Betreu­ung von Flücht­lin­gen — auch bei älteren unbeglei­te­ten minder­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen. Außer­dem müssten die deutschen Sozial­leis­tun­gen für Schutz­su­chen­de europa­weit harmo­ni­siert werden. Dazu gehöre, neu nach Deutsch­land kommen­den Kriegs­flücht­lin­gen aus der Ukrai­ne Leistun­gen nach dem Asylbe­wer­ber­leis­tungs­ge­setz statt des Bürger­gelds zu zahlen.

«Auch wenn wir Landkrei­se zu unserer humani­tä­ren Verant­wor­tung stehen und dies tagtäg­lich unter Beweis stellen, ist es doch so, dass wir immer häufi­ger an unsere Leistungs­gren­zen stoßen», sagte Walter weiter. Weil der Aufwand für Unter­brin­gung und Versor­gung so groß sei, leide auch die Integra­ti­on der Menschen. «Ich fürch­te ernst­haft, dass uns dies am langen Ende gesamt­ge­sell­schaft­lich auf die Füße fallen wird. Integra­ti­on ist bekannt­lich ein Langstre­cken­lauf, und wir stolpern auf den ersten Metern», sagte Walter.

Die Kommu­nen im Südwes­ten forder­ten außer­dem erneut mehr Geld vom Bund. Dabei gehe es neben den Kosten für Unter­brin­gung und Lebens­un­ter­halt auch um die Kosten für Kita, Schule und Integra­ti­ons- und Sprach­kos­ten, die oft von den Kreisen bezuschusst würden. Wer wie der Bund die Rahmen­be­din­gun­gen für den Zuzug von Geflüch­te­ten setze, müsse auch für die kommu­na­len Folge­kos­ten einste­hen, sagte Walter. Hier gelte das Verur­sa­cher­prin­zip. «Genau­so klar ist aber auch, dass wir die Erstat­tung unserer Geflüch­te­ten­kos­ten vom Land einfor­dern werden, wenn der Bund säumig bleibt.»