BERLIN (dpa) — Die Corona-Zahlen steigen, der Gesund­heits­mi­nis­ter blickt sorgen­voll auf den Herbst. Für die Anpas­sung der gesetz­li­chen Schutz­maß­nah­men will er sich rasch mit dem Justiz­mi­nis­ter einigen.

Deutsch­land steuert nach Einschät­zung von Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach schon bald auf eine deutli­che Verschär­fung der Corona-Lage zu. «Wir stehen vor schwe­ren Wellen im Herbst und im Winter», sagte der SPD-Politi­ker im ZDF-«heute journal».

Lauter­bach versprach nach Vorla­ge eines Exper­ten­gut­ach­tens Tempo bei der Neufas­sung des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes. Im Frühjahr waren die Bestim­mun­gen stark zurück­ge­fah­ren worden, die jetzi­ge bundes­wei­te Rechts­grund­la­ge läuft am 23. Septem­ber aus.

Frage­zei­chen angesichts mangeln­der Daten

Am Freitag hatte ein Sachver­stän­di­gen­aus­schuss ein lang erwar­te­tes Gutach­ten über die Wirksam­keit bishe­ri­ger Corona-Schutz­maß­nah­men vorge­stellt. Demnach können Schutz­maß­nah­men wie das Masken­tra­gen auch weiter gegen das Corona­vi­rus hilfreich sein. Hinter vielen anderen bekann­ten Aufla­gen setzten die Exper­ten aber Frage­zei­chen, mangels ausrei­chen­der Daten seien keine siche­ren Bewer­tun­gen möglich.

«Es wird ein schwe­rer Herbst werden, wir müssen vorbe­rei­tet sein», sagte Lauter­bach auch in den ARD-«Tagesthemen». Er glaube, dass «wir mit der BA.5‑Variante, die sich jetzt hier ausbrei­tet, große Schwie­rig­kei­ten bekom­men werden». Er rechne mit sehr hohen Fallzah­len, was auch zu einer Überlas­tung der kriti­schen Infra­struk­tur führen könne.

Einen Lockdown wie zu Beginn der Pande­mie schloss Lauter­bach im ZDF aus: «Das würden wir nicht wieder­ho­len.» Es könne aber sein, dass die eine oder andere Maßnah­me wieder sinnvoll sei. Details wollte Lauter­bach mit Hinweis auf vertrau­li­che Verhand­lun­gen mit Justiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP) nicht nennen. Sie hätten mit einem andert­halb­stün­di­gen Gespräch am Freitag bereits begon­nen. «Ich glaube, wir werden schnell sein», beton­te Lauter­bach jedoch. In den nächs­ten Wochen werde man ein gutes Infek­ti­ons­schutz­ge­setz vorbereiten.

Lauter­bach kriti­siert Ende der FFP2-Masken­pflicht in Bayern

Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) hat die Abschaf­fung der FFP2-Masken­pflicht im öffent­li­chen Nahver­kehr in Bayern kriti­siert. Das sei angesichts der Corona-Sommer­wel­le ein klarer Fehler, schrieb Lauter­bach am Samstag auf Twitter. «Lockern in Welle hinein wirkt unlogisch und diskre­di­tiert den gleich­zei­ti­gen Ruf nach mehr Maßnah­men durch den Bund.» Er sei sicher, dass der bayeri­sche Gesund­heits­mi­nis­ter Klaus Holet­schek (CSU) überstimmt worden sei.

Seit diesem Samstag ist im Freistaat nur noch eine medizi­ni­sche Maske in Bussen und Bahnen vorge­schrie­ben. «Wir setzen damit stärker auf die Eigen­ver­ant­wor­tung der Bürge­rin­nen und Bürger», hatte Holet­schek zur Begrün­dung gesagt.

Dürr: Länder sollten bei Corona nicht nur nach Bund rufen

Angesichts der steigen­den Corona-Infek­ti­ons­zah­len und der befürch­te­ten Herbst­wel­le hat FDP-Bundes­tags­frak­ti­ons­chef Chris­ti­an Dürr den Ländern vorge­wor­fen, immer nur nach dem Bund zu rufen, aber selbst zu wenig zur Vorbeu­gung zu tun. «Die rufen oft nach freiheits­ein­schrän­ken­den Maßnah­men, aber berei­ten sich selbst organi­sa­to­risch nicht auf die Herbst-/Winter­wel­le vor», sagte Dürr am Samstag im Deutsch­land­funk. «Ich erwar­te eine organi­sa­to­ri­sche Vorbe­rei­tung ohne jede Freiheits­ein­schrän­kung zunächst mal, und dann schau­en wir uns an, was ist noch nötig, was müssen wir dem einzel­nen Bürger noch abverlangen.»

Dürr gab zu: «Corona ist sehr gefähr­lich, und Corona bleibt wahrschein­lich für immer.» Und: «Es wird wieder eine Welle geben.» Die Bundes­län­der drängen deshalb quasi geschlos­sen darauf, frühzei­tig vor dem Herbst bundes­wei­te Regelun­gen zu treffen, nachdem die meisten auf Drängen der FDP ausge­lau­fen waren und auch der weiter gelten­de Rechts­sta­tus für Basis-Schutz­maß­nah­men Mitte Septem­ber ausläuft.

Göring-Eckardt: Corona-Vorsor­ge schnell erarbeiten

Die grüne Bundes­tags­vi­ze­prä­si­den­tin Katrin Göring-Eckardt dringt angesichts steigen­der Corona-Infek­ti­ons­zah­len auf eine schnel­le recht­li­che Vorbe­rei­tung für eine Herbst­wel­le. «Die weite­re Corona-Vorsor­ge muss jetzt sehr schnell erarbei­tet werden, damit die bewähr­ten Maßnah­men auch im Herbst und Winter bei Bedarf möglich bleiben», schrieb sie am Samstag auf Twitter. «Recht­zei­ti­ge Vorsor­ge ist das Entschei­den­de in der Bekämp­fung einer Pande­mie. Für den Fall, dass eine neue Virus­va­ri­an­te auftaucht oder das Gesund­heits­sys­tem an seine Grenzen kommt, müssen wir vorbe­rei­tet bleiben. Bewähr­tes muss dann wieder möglich sein.»

Gassen mahnt geplan­ten Übergang zur Endemie an

Zur Eile mahnt auch der Deutsche Städte­tag. «Die Ampel muss sich noch vor der Sommer­pau­se einigen. Erst im Herbst ein Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren für ein neues Infek­ti­ons­schutz­ge­setz zu starten, kommt zu spät», sagte Haupt­ge­schäfts­füh­rer Helmut Dedy den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe. Der Bund solle ermög­li­chen, dass «bei Gefah­ren­la­ge Masken tragen in Innen­räu­men verpflich­tend möglich ist», forder­te Dedy. Auch Zugangs­re­ge­lun­gen für 2G/3G gehör­ten in den Instrumentenkasten.

Der Vorstands­vor­sit­zen­de der Kassen­ärzt­li­chen Bundes­ver­ei­ni­gung, Andre­as Gassen, forder­te eine Abkehr von den Inzidenz­zah­len als Grund­la­ge für weitrei­chen­de Corona-Maßnah­men. Die Politik sollte sich beim Übergang zur Endemie zuvor­derst auf den Schutz von Risiko­grup­pen konzen­trie­ren, sagte Gassen der «Rheini­schen Post». Nachvoll­zieh­bar nannte er die Begren­zung einer Masken­pflicht auf Innen­räu­me oder Ort mit höherem Infektionsrisiko.

Schul­schlie­ßun­gen sollten Gassen zufol­ge vermie­den werden. «Dazu wird es nicht mehr kommen», machte FDP-Frakti­ons­chef Chris­ti­an Dürr in der «Welt am Sonntag» klar. Der Chef der Bundes­ärz­te­kam­mer, Klaus Reinhardt, schlug in den Funke-Zeitun­gen einen Runden Tisch von Gesund­heits- und Kultus­mi­nis­tern, Ärzten, Pädago­gen und anderen Exper­ten vor, «um eine tragfä­hi­ge Corona-Strate­gie für Schulen und Kitas zu entwickeln».

Die Infek­ti­ons­zah­len steigen seit einiger Zeit wieder, die anste­cken­de­re Omikron-Subli­nie BA.5 dominiert bereits das Infek­ti­ons­ge­sche­hen. Knapp die Hälfte der Menschen in Deutsch­land spricht sich einer Umfra­ge zufol­ge deshalb für sofor­ti­ge schär­fe­re Regeln aus. In einer Befra­gung des Meinungs­for­schungs­in­sti­tuts Civey im Auftrag der «Augsbur­ger Allge­mei­nen» bejah­ten 49 Prozent die Frage, ob die aktuel­len Corona-Maßnah­men umgehend verschärft werden sollten. 43 Prozent waren dagegen, 8 Prozent unentschieden.

Debat­te um kosten­lo­se Bürgertests

Der Deutsche Städte- und Gemein­de­bund verlangt mit Blick auf eine schär­fe­re Lage im Herbst eine baldi­ge Wieder­auf­nah­me der kosten­lo­sen Corona-Bürger­tests. «Wir gehen davon aus, dass spätes­tens im Herbst, wenn die nächs­te große Corona-Welle droht, es wieder flächen­de­ckend unent­gelt­li­che Tests geben muss», sagte Haupt­ge­schäfts­füh­rer Gerd Lands­berg dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND). Die kosten­lo­sen Schnell­tests seien ein wichti­ger Baustein für die Pandemie-Bekämpfung.

Seit Donners­tag gibt es kosten­lo­se Tests nur noch für Risiko­grup­pen und andere Ausnah­me­fäl­le. Für Tests etwa für Famili­en­fei­ern, Konzer­te oder Treffen mit Menschen ab 60 werden drei Euro Zuzah­lung fällig. Wer einen solchen Test will, muss unter­schrei­ben, dass er zu diesem Zweck gemacht wird. Lauter­bach hatte die Einschrän­kung unter anderem mit den hohen Kosten für die Tests begründet.

Die Kassen­ärzt­li­che Bundes­ver­ei­ni­gung (KBV) und die für die Abrech­nun­gen zustän­di­gen Kassen­ärzt­li­chen Verei­ni­gun­gen hatten am Donners­tag mit Hinweis auf die schwie­ri­ge Überprüf­bar­keit der Anspruchs­vor­aus­set­zun­gen erklärt, dass sie Bürger­tes­tun­gen «zukünf­tig nicht mehr abrech­nen und auszah­len können». Lauter­bach setzt auf eine Regelung mit den Ärzten in den nächs­ten Tagen.