STUTTGART (dpa/lsw) — Geduld und Glück waren bislang gefragt, um einen Impfter­min zu ergat­tern. Es gab Schlan­gen bei Impfak­tio­nen, Hausärz­te klagten und Impfstoff war eigent­lich immer knapp oder gar nicht erst da. Das hat sich geändert. Stockt die Impfkam­pa­gne bereits?

Geduld und auch ein bisschen Glück waren bis vor wenigen Tagen noch gefragt, um einen Impfter­min zu ergat­tern. Lange Schlan­gen bilde­ten sich in den ersten Monaten bei Impfak­tio­nen, die Kritik war laut, Hausärz­te stöhn­ten und Impfstoff war eigent­lich immer zu knapp. Auch in Baden-Württem­berg hat sich die Lage sechs Monate nach dem Start der Impfkam­pa­gne deutlich entspannt. Mehr noch: Termi­ne bleiben ungenutzt, Impfzen­tren schlie­ßen und Perso­nal muss gehen. Dabei ist erst etwa jeder Dritte voll geimpft. Stockt die Impfkam­pa­gne bereits? Und woran könnte das liegen?

IMPFINTERESSE

Es herrscht Flaute am Sprit­zen­tisch. «Wir bemer­ken in der Tat, dass der Run auf die Impfzen­tren und die Anmel­de­sys­te­me nachlässt», sagt eine Spreche­rin des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums. «Die Lage hat sich gedreht», heißt es auch beim Landrats­amt Ravens­burg. «Seit dieser Woche haben wir viele freie Termi­ne.» Auch die beiden Karls­ru­her Impfzen­tren werden nach Angaben der Stadt derzeit nur mit knapp 50 Prozent der geplan­ten Auslas­tung betrie­ben. Dabei sei die Nachfra­ge nach Impfter­mi­nen bis vor kurzem noch ungebro­chen groß gewesen.

Flaute auch im Kreis­impf­zen­trum Meßstet­ten (Zollern­alb­kreis): «Bei uns bleiben neu einge­stell­te Termi­ne zum Teil tagelang ungebucht, sie werden nicht in Anspruch genom­men», sagt Anja Heinz, Spreche­rin des Landrats­amts. Die Zahl der Impfun­gen nehme zwar nicht ab. «Aber wir haben mehr Impfstoff und könnten mehr impfen.» Noch deutli­cher wird es beim Blick nach Stutt­gart. «Wir bieten derzeit am Tag 120 Astra­ze­ne­ca-Termi­ne an, 20 werden gebucht», sagt der Medizi­ni­sche Geschäfts­füh­rer der Robert-Bosch-Kranken­haus, Marc Dominik Alscher. Mit dem Impfstoff habe das nichts zu tun. «Auch Biontech bleibt liegen.»

ZWEITIMPFUNGEN

In den vergan­ge­nen Wochen fanden fast ausschließ­lich Zweit­imp­fun­gen statt, freie Termi­ne für Erstimp­fun­gen gab es kaum. «Da die Zweit­imp­fun­gen nun zum größten Teil abgeschlos­sen sind, werden wieder viele Termi­ne für Erstimp­fun­gen frei», heißt es dazu im Minis­te­ri­um. «Außer­dem erhal­ten wir vom Bund diese und nächs­te Woche mehr Astra­ze­ne­ca-Impfdo­sen.» Die «Welle» sei nun größten­teils «abgear­bei­tet», sagt auch Kai Sonntag, der Sprecher der Kassen­ärzt­li­chen Verei­ni­gung. Der Impfstoff könne jetzt wieder stärker für Erstimp­fun­gen genutzt werden.

HAUSÄRZTE

Laut und deutlich waren Klagen und Kritik der Hausärz­te zu verneh­men in den ersten Wochen, in denen Impfun­gen auch von nieder­ge­las­se­nen Medizi­nern übernom­men werden konnten. «Wir haben zu Beginn mitun­ter die Botschaft verkün­det, es gebe keinen Impfstoff mehr, die Leute sollten nicht mehr anrufen», sagt KV-Sprecher Sonntag. «Nun haben wir in den kommen­den Tagen erstmals die Situa­ti­on, dass es genug Impfstoff gibt und keine Bestell­gren­ze nach oben.» Auch er kenne aber Beispie­le von Ärzten, die zuletzt wegen fehlen­den Inter­es­ses der Patien­ten auf Bestel­lun­gen verzich­tet hätten.

SOMMERFERIEN

Ende des Monats begin­nen in Baden-Württem­berg die Ferien. Spät, im Vergleich zu den anderen Bundes­län­dern. Zu früh dagegen für den einen oder anderen, der noch für eine Impfung in Frage käme. Denn wer derzeit die erste Sprit­ze erhält, bekommt seinen zweiten Termin erst in vier oder sechs Wochen. Das durch­kreuzt die eine oder andere Urlaubs­pla­nung, heißt es unter anderem im Aalener Impfzen­trum. Und auch eine Spreche­rin der Stadt Karls­ru­he vermu­tet in der Ferien­zeit einen Grund: «Manche Impfwil­li­ge könnte das daran hindern, jetzt einen Termin zu buchen, wenn der Zweit­ter­min in der Urlaubs­zeit liegt», sagte sie. Dehalb fordert Stutt­garts Klinik-Geschäfts­füh­rer Alscher auch kürze­re Impfin­ter­val­le: «Wir müssen reduzie­ren auf drei oder vier Wochen zwischen den beiden Termi­nen, sonst schaf­fen wir es nicht recht­zei­tig vor den Ferien.»

SICHERHEITSGEFÜHL

Fachleu­te haben schon vor Wochen voraus­ge­sagt, Unent­schlos­se­ne könnten nach einiger Zeit nur noch schwer von den Vortei­len einer Impfung überzeugt werden. Das scheint der Fall zu sein. «Manche Menschen denken offen­sicht­lich, dass bei niedri­gen Inziden­zen eine Impfung nicht mehr notwen­dig ist», sagt auch eine Spreche­rin des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums. «Doch dieser Schein trügt.» Das Virus werde leich­tes Spiel haben, «wenn wir ihm nicht mit einer größt­mög­li­chen Durch­imp­fung die Stirn bieten». Markus Rose, Leiter des Impfzen­trums des Klini­kums Stutt­gart, stimmt zu: Durch die Impfkam­pa­gne und die wieder­ge­won­ne­ne Freiheit schei­ne vielen Menschen eine Corona-Impfung nicht mehr so dring­lich wie bisher. «Hier müssen wir als Gesell­schaft alles tun, die aktuel­len Impfan­ge­bo­te zu nutzen, möglichst viele Mitmen­schen umgehend zu impfen und die Verbrei­tung des Virus zu stoppen.»

UNWISSEN

Ab einer bestimm­ten Impfquo­te sind wieder mehr Aufklä­rung über das Impfen und eine geziel­te Anspra­che notwen­dig, um Menschen vom Impfen zu überzeu­gen. Das Land will deshalb die Werbe­trom­mel stärker rühren: «Wir berei­ten Maßnah­men vor, um die Impfbe­reit­schaft zu steigern und breiter fürs Impfen zu werben», sagt die Minis­te­ri­ums­spre­che­rin. Der Appell von Gesund­heits­mi­nis­ter Manne Lucha (Grüne) dazu ist eindring­lich: «Die vierte Welle können wir verhin­dern. Wir haben es selbst in der Hand», sagte er.

SONDERAKTIONEN

In den Landkrei­sen versu­chen die Behör­den, mit beson­de­ren Ideen weite­re Menschen von einer Impfung zu überzeu­gen. Unter anderem im Kreis­impf­zen­tren in Aalen wurden Sonder­ak­tio­nen für Erstimp­fun­gen ohne Voranmel­dung angebo­ten. Das Ravens­bur­ger Impfzen­trum warb bis zum (morgi­gen) Sonntag für 1000 freie Termi­ne. Und der Kreis Heiden­heim geht stärker auf die Menschen zu: Termin­ver­ga­ben waren zuletzt unter anderem vor Super­märk­ten in Heiden­heim und Giengen geplant. Im Kreis sind laut Landrat Peter Polta erst 29,2 Prozent der Menschen vollstän­dig geimpft, das sind deutlich weniger als die landes­wei­te Impfquo­te von rund 34 Prozent.

Von Martin Oversohl, dpa