BERLIN (dpa) — Es geht ums Einge­mach­te. Der Verkehrs­be­reich ist ein Sorgen­kind beim Klima­schutz. Im Koali­ti­ons­aus­schuss prallen grund­le­gend andere Positio­nen aufein­an­der. Es könnte ein langer Abend werden.

Die Spitzen der Ampel-Koali­ti­on wollen am Donners­tag versu­chen, einen langen Streit zu lösen. Es geht um mehr Tempo bei Planungs­ver­fah­ren im Verkehr und im Kern um die Frage: sollen auch Autobah­nen schnel­ler gebaut werden? Das will Verkehrs­mi­nis­ter Volker Wissing (FDP). Die Grünen lehnen das ab, für sie ist es eine heikle Frage. Umwelt­ver­bän­de laufen Sturm und warnen vor einer Aushöh­lung des Umweltschutzes.

Darum geht es: Wissing will, dass künftig der Bau und die Sanie­rung von Autobah­nen, für die ein vordring­li­cher Bedarf festge­stellt ist, im «überra­gen­den öffent­li­chen Inter­es­se» liegt. Das soll Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren beschleu­ni­gen und Gerichts­ver­fah­ren erleichtern.

Ein überra­gen­des öffent­li­ches Inter­es­se gilt bereits für den Bau von Windrä­dern und Solar­an­la­gen. Und im politi­schen Berlin ist in diesen Tagen oft von mehr «LNG-Tempo» die Rede: Neue Termi­nals für Flüssig­erd­gas (LNG) im Norden waren in weniger als einem Jahr gebaut worden, Grund war auch ein Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung.

Autoin­dus­trie macht Druck

Wissing will wesent­li­che Elemen­te des LNG-Beschleu­ni­gungs­ge­set­zes aufgrei­fen, wie es im Entwurf heißt. Eine leistungs­fä­hi­ge Verkehrs­in­fra­struk­tur sei für die Wirtschafts­kraft und damit verbun­den für Wachs­tum und Wohlstand von grund­sätz­li­cher Bedeu­tung. Im Minis­te­ri­um heißt es, der Straßen­ver­kehr werde laut Progno­sen zuneh­men, Staus sollen verrin­gert werden. Dabei geht es dem Minis­ter vor allem um Nadel­öh­re im Netz.

«Die Koali­ti­on muss den Hebel bei den Infra­struk­tur­vor­ha­ben umlegen», sagte FDP-Frakti­ons­chef Chris­ti­an Dürr. «Das gilt für erneu­er­ba­re Energien, für den Ausbau der Schie­ne, aber eben auch für Autobah­nen.» Frakti­ons­vi­ze Carina Konrad sagte, die bröckeln­de Infra­struk­tur führe zu immer größe­ren Einschrän­kun­gen in der Mobili­tät der Bürger und zu einer Schwä­chung des Wirtschafts­stand­orts Deutschland.

Auch die Automo­bil­in­dus­trie macht Druck. «Um ein attrak­ti­ver Investitions‑, Innova­tions- und Produk­ti­ons­stand­ort zu bleiben, ist eine ausge­zeich­ne­te analo­ge und digita­le Infra­struk­tur Grund­vor­aus­set­zung», beton­te die Präsi­den­tin des Branchen­ver­ban­des VDA, Hilde­gard Müller. Sie forder­te dafür «maximal beschleu­nig­te Planungs- und Genehmigungsverfahren».

Grüne bestehen auf Einhal­tung der Klimaziele

Umwelt­mi­nis­te­rin Steffi Lemke (Grüne) hat nichts gegen eine notwen­di­ge Sanie­rung vor allem von Brücken. Der Erhalt von Bioto­pen und Ökosys­te­men aber dürfe nicht zurück­tre­ten gegen­über dem Straßen­bau. Lemke aber verweist darauf, dass das Kabinett im Juni beschlos­sen habe, bei Beschleu­ni­gungs­maß­nah­men zentra­ler Vorha­ben müssten Projek­te im Fokus stehen, die dem Klima­schutz dienen: «Der Neu- und Ausbau von Autobah­nen, Straßen oder Wasser­stra­ßen gehört nicht in diese Katego­rie. Neue Autobah­nen dienen nicht der Errei­chung der Klima­zie­le, das Gegen­teil ist der Fall.»

Grünen-Chefin Ricar­da Lang monier­te, im Verkehrs­sek­tor klaffe bei der Errei­chung der Klima­zie­le eine riesi­ge Lücke. «Statt über weite­re klima­schäd­li­che Maßnah­men, etwa die Beschleu­ni­gung von Autobahn­neu­bau­ten zu speku­lie­ren, braucht es jetzt dringend einen Plan, wie der Verkehr seine Klima­zie­le erreicht», forder­te Lang in der «Süddeut­schen Zeitung» in Richtung Wissing. Der Grünen-Verkehrs­po­li­ti­ker Stefan Gelbhaar sagte, für die Elektri­fi­zie­rung der Schie­ne oder den Bau von Windkraft­an­la­gen sei eine Privi­le­gie­rung im Umwelt- und Natur­schutz­recht im Koali­ti­ons­ver­trag vorge­se­hen. «Eine solche Privi­le­gie­rung ist für klima- und umwelt­schäd­li­che Projek­te wie Autobah­nen weder sinnvoll noch vereinbart.»

Und der Kanzler? Olaf Scholz (SPD) hielt sich in dem Streit bisher öffent­lich zurück. Bei einer Befra­gung im Bundes­tag am Mittwoch sagte er, man wolle generell, etwa auch wenn es Verkehrs­leis­tun­gen betref­fe, zu weite­ren Beschleu­ni­gun­gen kommen. «Da sind wir hart dran, da zu einem gemein­sa­men Ergeb­nis zu kommen.»

«Großan­griff auf den Klimaschutz»

Die Indus­trie mahnt mehr Tempo an. Mit Blick auf die LNG-Termi­nals sagte die Haupt­ge­schäfts­füh­re­rin des Bundes­ver­band der Deutschen Indus­trie, Tanja Gönner, das vom Kanzler propa­gier­te «Deutsch­land-Tempo» müsse genau­so für indus­tri­el­le Anlagen sowie die Verkehrs- und Digital­in­fra­struk­tur zum Einsatz kommen. Unions-Frakti­ons­vi­ze Ulrich Lange schrieb in einem Brief an Lemke, er beobach­te die «Blocka­de» wichti­ger Vorha­ben mit großer Besorg­nis. Es seien auch Straßen mit ausrei­chen­der Kapazi­tät und in einem guten Zustand nötig.

Umwelt­ver­bän­de dagegen warnen. Der Präsi­dent des Natur­schutz­bunds Nabu, Jörg-Andre­as Krüger, sagte: «Es darf keine carte blanche für einen schnel­le­ren Neubau von Autobah­nen geben.» Der Nabu erwar­te von den Grünen einen Fokus auf Klima­schutz und Biodi­ver­si­tät. «Alles andere wäre eine massi­ve Enttäu­schung und eine Neujus­tie­rung der Grünen-Politik.»

Im Verkehrs­be­reich gebe es eine desas­trö­se CO2-Bilanz. Wissing habe bisher keine wirksa­men Maßnah­men vorge­legt. «Wir halten eine Priori­sie­rung des Autobahn-Neubaus für grund­falsch.» Der Geschäfts­füh­rer der Allianz pro Schie­ne, Dirk Flege, sagte: «Mehr Platz für Perso­nen und Güter auf der Schie­ne, das ist im überra­gen­den öffent­li­chen Inter­es­se — und nicht neue Autobah­nen.» BUND-Geschäfts­füh­re­rin Antje von Broock sagte: «Mit dem absur­den Vorschlag, den Neu- und Ausbau von Autobah­nen zu beschleu­ni­gen und ihn zum überra­gen­den öffent­li­chen Inter­es­se zu erklä­ren, startet die FDP einen weite­ren Großan­griff auf den Klimaschutz.»

Beim Klima­schutz sucht die Ampel seit Monaten vergeb­lich nach einer Lösung, wie ein im Koali­ti­ons­ver­trag angekün­dig­tes Klima­schutz­so­fort­pro­gramm auf den Weg gebracht werden kann. Haupt­knack­punkt ist der Verkehrs­be­reich. Die Grünen wollen unter anderem den Abbau umwelt­schäd­li­cher Subven­tio­nen und ein Tempo­li­mit auf Autobah­nen — beißen damit aber bei der FDP auf Granit. Umstrit­ten sind auch Pläne Lemkes zum Biosprit: Sie will bis zum Jahr 2030 einen schritt­wei­sen Verzicht von Biokraft­stof­fen, die aus Pflan­zen für Nahrungs­mit­tel und Tierfut­ter gewon­nen werden.

Im Vorfeld des Koali­ti­ons­aus­schus­ses war hinter den Kulis­sen von einem Gesamt­pa­ket die Rede. Als eine mögli­che Kompro­miss­li­nie bei schnel­le­ren Planungs­ver­fah­ren für Autobah­nen gilt: die Koali­ti­on könnte sich auf einige ausge­wähl­te, dring­li­che Projek­te verstän­di­gen. Klar scheint außer­dem, dass es für die Sanie­rung des maroden Bahnnet­zes deutlich mehr Geld gibt.

Von Andre­as Hoenig, dpa