Macht Läden und Gaststät­ten auf, Impfun­gen und Tests werden uns helfen, sagen die einen. Helfen schon, aber nicht schnell genug, die Infek­ti­ons­wel­le rollt doch schon, sagen die anderen.

BERLIN (dpa) — Einen Tag vor den Beratun­gen von Bund und Ländern über das weite­re Vorge­hen in der Corona-Pande­mie erschei­nen die Positio­nen unver­söhn­lich: Locke­rungs­be­für­wor­ter trommeln ebenso wie Vertre­ter eines vorsich­ti­gen Kurses massiv für ihre Linie.

Handel, Mittel­stands­po­li­ti­ker und ein Teil der Minis­ter­prä­si­den­ten werben für zeitna­he Locke­run­gen. Ärzte und ein anderer Teil der Landes­re­gie­rungs­chefs hinge­gen warnen vor übereil­ten Schrit­ten — sie weisen auf die steigen­den Infek­ti­ons­zah­len und das Anrol­len einer dritten Welle hin. Die Entschei­dung dürfte am Mittwoch kaum vor dem Abend fallen.

Was war vereinbart?

Zielmar­ke der Politik war ein Wert unter 50 Neuin­fek­tio­nen je 100.000 Einwoh­ner und Woche (Sieben-Tage-Inzidenz). Bei der letzten Beratung am 10. Febru­ar hatten Kanzle­rin Angela Merkel (CDU) und die Landes­re­gie­rungs­chefs verein­bart, Kitas, Grund­schu­len und Friseu­re im Abstand von einer Woche zu öffnen, die Schutz­maß­nah­men ansons­ten bis zum 7. März zu verlän­gern und bei einer stabi­len Neuin­fek­ti­ons­ra­te von höchs­tens 35 einen nächs­ten Öffnungs­schritt zu gehen: für Handel, Museen und weite­re körper­na­he Dienstleistungen.

Wie ist die Lage aktuell?

BISHERIGE ÖFFNUNGEN: Kitas und Grund­schu­len haben vor einer Woche geöff­net, an diesem Montag sind die Friseu­re hinzu­ge­kom­men und je nach Land auch Garten­märk­te, Blumen­lä­den, Fußpfle­ge­stu­di­os und mehr. Die Auswir­kun­gen der Schul- und Kitaöff­nung dürften erst in etwa zwei Wochen abseh­bar sein, die der anderen Öffnun­gen noch später.

INFEKTIONEN: Obwohl die Folgen der Öffnun­gen sich darin noch nicht abbil­den, steigen die Werte seit über einer Woche bereits wieder: Am 19. Febru­ar lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 56,8, am Montag bei 65,8. Am Diens­tag ging der Wert auf 65,4 leicht zurück. Verant­wort­lich machen Wissen­schaft­ler die anste­cken­de­re und wohl auch tödli­che­re Mutati­on B.1.1.7, die sich von Großbri­tan­ni­en aus verbrei­tet hat. Für die erste April­hälf­te gelten bereits Werte um 200 als möglich.

GEGENMITTEL: Bis einschließ­lich Sonntag wurden laut Robert Koch-Insti­tut 8,8 Millio­nen Dosen Impfstoff gelie­fert und über 6,1 Millio­nen verab­reicht. Bis Donners­tag sollen weite­re 1,1 Millio­nen von Astra­ze­ne­ca hinzu­kom­men. Das Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um schlägt zudem vor, kosten­los für alle wöchent­lich zwei Schnell­tests bereit­zu­stel­len, die geschul­tes Perso­nal abnimmt, wie aus einem der dpa vorlie­gen­den Minis­te­ri­ums­pa­pier hervor­geht. Daneben sollen Selbst­tests für zu Hause kommen, die ersten sind zugelassen.

Wer will weiter öffnen?

Der Handels­ver­band HDE warnt vor einer Pleite­wel­le. Haupt­ge­schäfts­füh­rer Stefan Genth sagte der Düssel­dor­fer «Rheini­schen Post» (Diens­tag): «Das Argument, mit geschlos­se­nen Geschäf­ten die Mobili­tät der Menschen gering zu halten, zieht nicht mehr. Die Innen­städ­te sind bei gutem Wetter trotz­dem voll. Die Hygie­ne­schutz­kon­zep­te der Geschäf­te reichen aus.»

Der Hotel- und Gaststät­ten­ver­band (Dehoga) verlangt, von den bishe­ri­gen Krite­ri­en abzurü­cken. «Wir fordern einen klaren Fahrplan, mit dem Restau­rants und Hotels noch vor Ostern wieder öffnen können», sagte Haupt­ge­schäfts­füh­re­rin Ingrid Hartges dem Berli­ner «Tages­spie­gel» (Diens­tag). «Die ausschließ­li­che Ausrich­tung am Inzidenz­wert muss aufge­ge­ben werden und andere vom RKI empfoh­le­ne Messwer­te berück­sich­tigt werden.»

Der Vorsit­zen­de des Parla­ments­krei­ses Mittel­stand der Union, Chris­ti­an von Stetten (CDU), sagte der «Augsbur­ger Allge­mei­nen» (Diens­tag): «Die Minis­ter­prä­si­den­tin­nen und Minis­ter­prä­si­den­ten müssen einen Öffnungs­pfad definie­ren und diesen dann auch einhal­ten.» Und: «Wir können nicht bis Ostern warten.»

Sachsen-Anhalts Minis­ter­prä­si­dent Reiner Hasel­off (CDU) möchte auch über einer Inzidenz von 50 lockern. Viele Menschen seien nach dem Lockdown erschöpft, sagte er den Zeitun­gen der Funke-Medien­grup­pe. «Daher sollten wir mehr erlau­ben — mit stren­gen Hygie­ne­maß­nah­men, Tests und Impfangeboten.»

Wer will vorsich­ti­ger vorgehen?

Ärzte­ver­bän­de warnen vor vorei­li­gen und unkoor­di­nier­ten Locke­run­gen. «Es wäre falsch, einfach einige Berei­che zu öffnen, weil die Menschen lockdown­mü­de sind», sagte die Vorsit­zen­de des Bundes­ver­bands der Amtsärz­te, Ute Teichert, der «Rheini­schen Post» (Diens­tag). Öffnun­gen sollten nur in Verbin­dung mit einer geziel­ten Test- und Nachver­fol­gungs­stra­te­gie erfol­gen. «Das Virus ist im Augen­blick immer noch schnel­ler als unsere Maßnah­men, wir reagie­ren nur.»

Auch der Marbur­ger Bund mahnte, langsam und nur stufen­wei­se zu öffnen. «Es ist wichtig, Folge­wir­kun­gen abzuwar­ten, bevor man den nächs­ten Schritt macht», sagte die Vorsit­zen­de Susan­ne Johna den Funke-Zeitun­gen. Die Gefahr einer dritten Infek­ti­ons­wel­le mit hochan­ste­cken­den Varian­ten betref­fe auch jünge­re Menschen, beson­ders Risiko­pa­ti­en­ten. «Wir reden hier von einem Viertel der Bevölkerung.»

Hamburgs Bürger­meis­ter Peter Tschent­scher (SPD) warnte vor einem raschen Lockdown-Ende. «Wir würden die Krise eher verlän­gern, wenn wir jetzt zu viele Beschrän­kun­gen gleich­zei­tig aufhe­ben», sagte er der «Neuen Osnabrü­cker Zeitung». «Wir müssen eine starke dritte Welle verhin­dern, bevor uns die Impfun­gen ausrei­chend Schutz vor Corona bieten.»

Gibt es einen Kompromiss?

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder versucht, beides mitein­an­der zu verein­ba­ren. «Wir brauchen eine Perspek­ti­ve für den Handel und auch für die Frage der Kontakt­be­schrän­kun­gen», sagte er RTL/n‑tv. Aller­dings sei eine regio­na­le Diffe­ren­zie­rung für dieje­ni­gen notwen­dig, die sehr niedri­ge Inziden­zen hätten — und umgekehrt eine Notbrem­se und Hotspot-Strate­gie für die Berei­che, die sehr weit oben seien. Man müsse mit Vorsicht und Umsicht öffnen, forder­te Söder.